Stammzellen als Lebensversicherung?
Der Geburtstermin rückt immer näher. Und damit auch die Frage, ob für den Nachwuchs alles bestens vorbereitet ist. Ausstattung, Formalitäten, alles ist bedacht. Wie aber sieht es mit der gesundheitlichen Vorsorge aus?
Nabelschnurblutbank
Öffentliche Nabelschnurblutbank
Die Deutsche Knochenmarkspenderdatei DKMS vermittelt Stammzellspenden an Patienten, die an Blutkrebs erkrankt sind.
www.dkms.de
Private Nabelschnurblutbanken
Möchtest du sichergehen, dass deine Spende ausschließlich deiner eigenen Familie zu Gute kommt, bieten sich private Nabelschnurblutbanken zur Einlagerung an. Sie sind mit der entsprechenden Logistik ausgestattet, Nabelschnurblut individuell einzulagern. Die Einlagerung wird auf eine bestimmte Anzahl von Jahren vertraglich festgelegt. Private Nabelschnurblutbanken
Hier bietet sich den werdenden Eltern am Tag der Geburt – und eben nur dann – die einmalige Gelegenheit, Stammzellen aus dem Blut der Nabelschnur zu gewinnen. Manche Ärzte und Forscher sehen darin großes Potenzial, Krankheiten zu lindern oder gar zu heilen. Der Grund: Die jungen Stammzellen aus dem Nabelschnurblut sind „multipotent“, das heißt, sie sind enorm teilungsfähig und besitzen die Fähigkeit, sich in fast alle Gewebearten zu transformieren. All unsere verschiedenen Zelltypen wie zum Beispiel Blut-, Nerven- oder Knochenzellen haben ihren Ursprung in diesen Stammzellen. Sie entstehen in der fötalen Entwicklungsphase der Schwangerschaft – dann also, wenn alle wichtigen Organe um die 9. oder 10. Schwangerschaftswoche angelegt und (fast) vollständig entwickelt sind.
Welche Heilungschancen könnte es in Zukunft geben?
Vor allem für die Heilung von Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose, in der Gentherapie und in der regenerativen Medizin knüpfen Ärzte und Wissenschaftler hohe Erwartungen an diese Alleskönner. Sie hoffen darauf, bisher unheilbare Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson besser behandeln und die Züchtung neuer Organe bei schweren Verletzungen vorantreiben zu können.
Auch wenn noch viele Laboruntersuchungen, medizinische Tests und Studien bis zum therapeutischen Einsatz notwendig sind, lohnt es sich, das Für und Wider einer privaten Nabelschnurblut-Einlagerung individuell abzuwägen.
Spätes Abnabeln
Dr. Sven Hildebrandt, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Dresden, spricht sich für ein spätes Abnabeln aus. Warum? „Der Geburtsvorgang ist ein durchdachtes System“, so der Gynäkologe. Mehr auf kidsgo: Was spricht für ein spätes Abnabeln?
Mehr Informationen dazu auch auf www.greenbirth.de
Eine andere Möglichkeit: das Nabelschnurblut einer öffentlichen Nabelschnurblutbank wie zum Beispiel der Deutschen Knochenmarkspenderdatei DKMS spenden. Gerade bei Leukämie können fremde Stammzellen das Leben anderer Menschen retten.
Wichtig ist das Auspulsieren der Nabelschnur, da das Neugeborene von der größeren Menge an transportiertem Blut profitiert. Bei der Entnahme für private Einlagerungen ist dies möglich. Informiere dich in der Klinik und bei den Anbietern, wie sie es handhaben.
Erste Forschungserfolge: mitwachsende Herzklappen
Marie gehört zu den ein bis zwei Prozent der Neugeborenen, die mit einem Herzklappenfehler auf die Welt kommen. Schon vor der Geburt kannten Maries Eltern die Diagnose. Sie wissen: Auch wenn es mittlerweile gute künstliche Herzklappen aus tierischem Gewebe gibt, bleibt ein Problem: Ihre Haltbarkeit ist begrenzt und sie wachsen nicht mit. Gerade für Kinder ist das ein großes Manko, da der Klappenersatz irgendwann zu klein ist und dann eine weitere Operation nötig sein wird. Jetzt gibt es einen Hoffnungsschimmer: Möglicherweise können in weiterer Zukunft mitwachsende Herzklappen auf Basis von Stammzellen aus Nabelschnurgewebe „gezüchtet“ werden. Hierfür bringen diese Allroundtalente aus der Nabelschnur wichtige Voraussetzungen mit. Sie teilen sich schnell und können sich unter anderem in Gewebe, die Blutgefäße auskleiden, entwickeln. Noch hört sich das ganze wie Zukunftsmusik an, doch im Labor konnten Forscher schon erste vielversprechende Erfolge verzeichnen.
Raten Sie zu einer Nabelschnurblut-Entnahme?
kidsgo fragte bei zwei Ärztinnen nach.
JA - sagt Dr. med. Kerstin Hagen, Gynäkologin am Klinikum Südstadt Rostock
kidsgo: Sollte ihr Kind einmal schwer erkranken, hoffen Eltern, dass es mit eigenen Stammzellen aus dem Nabelschnurblut geheilt werden könnte. Ist die Hoffnung berechtigt?
Anfangs, als die Forschung noch in den Kinderschuhen steckte, war auch ich skeptisch, ob das Ganze nicht nur Zukunftsmusik ist. Doch mittlerweile gibt es Grund zur Hoffnung, dass Krankheiten wie beispielweise Diabetes oder Alzheimer mit Hilfe von Stammzellen aus dem Nabelschnurblut in ihrem Verlauf gemildert oder in ihrem Fortschreiten verlangsamt werden könnten. Ein weiteres Beispiel sind die vier mir bisher bekannten therapeutischen Anwendungen von Stammzellen bei einer akuten lymphatischen Leukämie, einer bestimmten Ausbildung von Blutkrebs – in einem Fall mit eigenen Nabelschnurblut-Stammzellen und dreimal mit Geschwister-Stammzellen. Auch wenn es sich wenig anhört, so ist es doch ein gewisser Erfolg.
Neben dem Nabelschnurblut kann man inzwischen auch Nabelschnurgewebe entnehmen lassen, um weiter zu erforschen, ob gewisse Gewebearten wie zum Beispiel Muskel-, Haut- oder Knorpelzellen gezüchtet werden können.
Was empfehlen Sie werdenden Eltern: Nabelschnurblut privat einlagern, spenden oder nichts von beidem?
Wenn Eltern mich fragen „würden Sie das machen?“, antworte ich, dass ich mir heute diese Chance nicht entgehen lassen würde. Natürlich in der Hoffnung, nie darauf angewiesen zu sein, aber auch mit dem Gedanken, dass in 15 bis 20 Jahren eventuell schon einiges mehr in der Therapie mit Stammzellen machbar sein wird als zurzeit. Aber ich beruhige auch die Eltern, die unsicher sind, Geld für eine Sache auszugeben, deren Ergebnisse noch offen sind. Vieles, was wir uns medizinisch erhoffen und wünschen, wird vielleicht nicht in Erfüllung gehen. Es bleibt also eine Ungewissheit. Dieses ist Trost und nimmt Eltern den Druck, wenn sie diese Möglichkeit nicht nutzen können oder wollen, nichts verkehrt gemacht zu haben. Wichtig ist hier die Balance: Nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig zu versprechen.
Kann die Entnahme dem Neugeborenen schaden?
Nein, Sie müssen sich das so vorstellen: Das Baby ist soeben geboren, es schreit und liegt zum Beispiel auf dem Bauch der Mutter. Das Abnabeln erfolgt dann zwar rasch, aber in aller Ruhe in den ersten 5 bis 7 Minuten nach der Geburt. Damit kann die Nabelschnur noch etwas auspulsieren. Wir durchtrennen die Nabelschnur ganz dicht am Kind, um möglichst viele Stammzellen aus dem Rest der Nabelschnur gewinnen zu können.
Wenn eine Entnahme mal nicht klappt – auch das kommt manchmal vor – dann erhalten die Eltern das bereits gezahlte Geld von ihrer Blutbank zurück.
NEIN - sagt Dr. med. Tanja Brunnert, Kinderärztin aus Göttingen
Sollte ihr Kind einmal schwer erkranken, hoffen Eltern, dass es mit eigenen Stammzellen aus dem Nabelschnurblut geheilt werden könnte. Ist die Hoffnung berechtigt?
Ich denke nicht, denn nach dem heutigen Stand der Wissenschaft haben weder Eltern noch Kind einen Nutzen davon. Aus der Nabelschnur kann nur eine sehr begrenzte Menge Blut mit nur relativ wenigen Stammzellen entnommen werden kann. Dies bedeutet, dass Stammzellen aus dem Nabelschnurblut des eigenen Kindes nur für die Therapie des Kindes bei noch geringem Körpergewicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen. Trotzdem werben die Banken mit sehr langen Einlagerungszeiten des Nabelschnurblutes.
Natürlich ist der Elternwunsch, ihr Kind von Leid fernzuhalten und zu beschützen, groß. Doch die vierstellige Summe einer privaten Einlagerung kann sich nicht jeder leisten. Was ist mit den Eltern, die nicht das Geld aufbringen können? Sie leiden unter ihrem schlechten Gewissen.
Was empfehlen Sie werdenden Eltern: Nabelschnurblut privat einlagern, spenden oder nichts von beidem?
In meinen Augen ist die Nabelschnurblutspende eine sinnvolle Möglichkeit. Denn klar ist: In Nabelschnurblut stehen ja zweifelsfrei Stammzellen zur Verfügung, die für die Heilung bestimmter Krankheiten wie beispielsweise Leukämie eingesetzt werden können. Deshalb finde ich es wichtig, dass Eltern sich diese Möglichkeit vor Augen führen und darüber nachdenken. Die eingefrorenen Stammzellen können dann für die Stammzellforschung dienen oder eben an Krebs erkrankten Menschen zu einer Therapie verhelfen. Anders als bei Zellen aus dem Knochenmark ist die Gefahr von Abstoßungsreaktionen bei Zellen aus Nabelschnurblut geringer. Spielen Eltern mit dem Gedanken der Nabelschnurblutspende, sollten sie bei der Wahl des Krankenhauses darauf achten, ob dieses eine Entnahme für eine öffentliche Spende anbietet.
Kann die Entnahme dem Neugeborenen schaden?
Nein, denn die Entnahme des Blutes erfolgt nach dem Abnabeln, so dass weder Kind noch Mutter einen Schaden davon nehmen. Was dann nicht mehr möglich ist, ist das Ausstreichen der Nabelschnur bzw. das vollständige Auspulsieren der Nabelschnur, aber das kommt auch in anderen Geburtssituationen vor.