Was spricht für ein spätes Abnabeln?
In den meisten Kliniken ist es Usus, zügig abzunabeln. Zügig bedeutet: Noch bevor die Plazenta geboren ist. Denn dann können sich Mutter und Baby freier bewegen. Ein abgenabelter Säugling lässt sich einfacher wiegen und versorgen.
Die Natur hat diesen Ablauf allerdings anders geplant – diese Ansicht vertritt Dr. Sven Hildebrandt, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Dresden. Er spricht sich für ein spätes Abnabeln aus. Warum? „Der Geburtsvorgang ist ein durchdachtes System“, so der Gynäkologe.
Frühes Abnabeln stört den natürlichen Verlauf der Geburt
„Das Abnabeln vor der Geburt der Plazenta stellt einen Eingriff in den natürlichen Verlauf dar, der nur dann gerechtfertigt ist, wenn er eindeutige Vorteile für das Kind bringt“, sagt er. Geht es dem Baby gut, spricht vieles dafür, die Verbindung aufrecht zu erhalten, bis der komplette Geburtsvorgang abgeschlossen ist. Das Baby wird erst abgenabelt, wenn die Plazenta geboren ist und die Gefäße in der Nabelschnur aufgehört haben zu pulsieren – das verzögert das Abnabeln etwa zehn bis 30 Minuten. Das Kind soll beim Auf-die Welt-kommen noch Ressourcen für seine Sauerstoffversorgung haben, bis es selbstständig atmen kann – diese Ressource stellt die Plazenta dar. Das Baby kann der Plazenta das Signal geben: „Ich bin raus, mir geht es gut, du kannst dich jetzt lösen.“ Dr. Hildebrandt hat diese Zusammenhänge wissenschaftlich untersucht, viele Hebammen haben positive Erfahrungen damit gemacht. Dennoch ist das späte Abnabeln in den Geburtsstationen noch wenig verbreitet. Es lohnt sich, das Thema im Krankenhaus oder bei den Vorgesprächen mit der Hebamme anzuschneiden. Oft ist das, was sich die Natur ausgedacht hat, nämlich die bessere Lösung – auch wenn sie wenig Anerkennung findet.