… und meiner – glücklicherweise – vergesslichen Art.
Ich sitze allein im sterilen Behandlungszimmer. Vor mir der große Stuhl, links all die riesigen Instrumente: Sauger, Laser und Bohrer. Am Telefon mein Willi, der mich versucht zu besänftigen.
Es wäre am Ende meine Entscheidung. Seiner Meinung nach allerdings „Machen!“. Mir laufen die Tränen und ich presse meinen Anton stärker an mich. Ich entscheide mich für beide Eingriffe und unterschreibe die Unterlagen. Dann klingle ich nach dem Arzt, damit die Behandlung starten kann.
Für mich klingt das auch in der Rückschau wie ein Krimi – und genau so fühlte sich es an. Was war geschehen?
Unser Kleiner wurde mit einem verkürzten Zungenband geboren. Und wenn man so in die Runde fragt, hat jeder, der zu Beginn etwas zögernd zunehmende Babys zu Hause hat, schon davon gehört: Vermutlich liege das daran. Ich konnte die gespannte Schnur in Antons Mund gut sehen und auch den Umstand, dass durch die Spannung Tonis Zunge nicht in einer Spitze, sondern herzförmig endete. Könnte also tatsächlich sein, dass ihn das beim Trinken behindert. Und ja, auch nach drei Wochen empfinde ich noch Schmerzen beim Stillen. Aber ist das denn nicht normal?
Außerdem konnten wir beobachten, dass Anton sich niemals mit der Zunge über die Lippen hätte fahren können. Keinen Millimeter hätte er den Lappen nach außen strecken können. Aber gleich ein Eingriff in so jungen Jahren? Notwendig? Oder eher eine lahme Erklärung dafür, dass eben nicht jedes Baby nach Schema F zunimmt?
Willi und ich scherzten schon, dass er wohl kein guter Küsser werden würde und das sicherlich im Datingdschungel einmal ein Problem geben könnte.
Oder die Frage, ob man eine Bierflasche ohne starken Zungenschlag überhaupt auf ex trinken kann? Ihr seht, Antons zeitgerechte Entwicklung steht für uns an erster Stelle. ;)
Informiert haben wir uns zumindest: Da gibt es Fraktion 1 der Ärzte, die so ein Band einfach durchknipsen. Oder Fraktion 2, der ganzheitliche Ansatz: Mit Stillberaterin und CO2-Laser – schonender soll das sein und vorher abgewogen werden. Und Fraktion 3, die erstmal nichts unternimmt und abwartet, ob es zu späteren Einschränkungen kommt.
Denn ganz ohne ist die Wunde im Mund bei Säuglingen dann doch auch nicht. Denn das „aktive Wundmanagement“ ist kein neumodischer Studiengang an einer privaten Uni, sondern drei Übungen, die zum idealen Verheilen im Nachgang für 4 Wochen durchgeführt werden müssen. 4 Wochen … alle 4 Stunden.
Angeblich ist die Wunde im Mund für die Neugeborenen nicht übermäßig schmerzhaft, die Stelle ja sofort verödet - Paracetamol-Zäpfchen werden trotzdem verschrieben. Und eine plötzlich lose Zunge im eigenen Mundraum stellt eben auch einen ungewohnten Fremdkörper dar, ist ja klar. Deshalb muss das Trinken an der Brust neu gelernt werden. Das kann hart werden – für das Baby und für die Mama. Und wenn es dann den neuen Saugmodus erlernt hat, kommt vermutlich der Muskelkater.
Irgendwas ist ja immer.
Entschieden haben wir uns für die absolute Koryphäe aus Fraktion 2, wenn man den hiesigen Experten glauben darf. Alles als Privatleistung, man zahlt sogar für die Beratung ganz ordentlich. Aber mir war das wichtig, um abzuprüfen, ob es denn wirklich notwendig sei. Also ab gehts!
Zusammen mit der Stillberaterin legte ich Anton an und zeigte stolz, dass das Stillen doch eigentlich ganz gut klappt. Voll des Lobes war aber scheinbar nur ich für unseren Sprössling. Arzt und Hebamme fanden den Versuch nicht ganz so optimal und änderten einiges an meiner Position sowie an Antons Haltung. Mist!
Nach einer zusätzlichen Untersuchung war klar: Das Zungenband muss ab. Nicht nur des Stillens wegen, sondern auch, um die Schlafqualität zu verbessern.
Anschließend hob der Arzt Antons Oberlippe, um das Lippenband zu begutachten. Um ehrlich zu sein, hatte ich mir das noch nie angesehen. Und da war sie, seine für mich verblüffende Einschätzung: Das wäre wohl eine starke Ausprägung und müsse auch getrennt werden.
Wie? Was? Das Lippenband auch?
Das war mir zu viel. Ganz ruhig erklärte mir der Arzt die Notwendigkeit. Noch nicht jetzt, aber irgendwann einmal im Leben. Auf jeden Fall nach den Milchzähnen. Denn dort, wo das Lippenband ansetzt, ist das Zahnfleisch so beeinträchtigt, dass eine Lücke entstehen wird. Ein Schneidezahn links davon, ein Schneidezahn rechts.
Man könne das jetzt gleich zusammen erledigen. Oder einfach warten. Die Übungen zur Wundheilung wären aber die Gleichen. Wir gingen noch einmal Pro und Contra durch. Ein Gespräch auf Augenhöhe, ohne Druck seinerseits. Aber mit der rationalen Dringlichkeit eines Spezialisten.
Wirklich beides auf einmal? Ich brauche Bedenkzeit und werde dafür vom Oberarzt allein gelassen. Keiner drängt mich, keiner nimmt mir die Entscheidung ab. Das wäre gerade gar nicht so übel. Also telefoniere ich mit Willi. Und der sagt: Lass es uns in einem Aufwasch machen.
Hätte ich vielleicht auch gesagt, wenn ich 40 Kilometer entfernt lässig im Homeoffice säße. Tue ich aber nicht.
Ich rieche das Desinfektionsmittel im Behandlungszimmer, sehe die Mini-Brille, die Anton gleich über die Augen geklebt werden soll und fühle das kalte Leder des Behandlungsstuhls, auf den wir unseren Sohn legen werden, sobald wir ihn fixiert haben.
Aber es ist wohl klar. Irgendwann muss es gemacht werden. Also jetzt. Und nach 10 Minuten ist schon alles vorbei. Die Bänder sind durchgetrennt und sehen nach bösen Brandwunden aus. Unter dem Winden des kleinen Babykörpers und einem Tränenmeer meinerseits ist es geschafft. Ich darf Toni trösten, in Ruhe anlegen und mich selbst beruhigen. Und Tatsache: Das Stillgefühl ist ein absolut Neues. Schmerzfrei und irgendwie anders. Besser. Irre!
Außerdem lasse ich mir sagen, dass fast alle Mütter weinen. Es sei also gar kein Problem.
Trotzdem verlässt mich nicht das dumpfe Gefühl, dass ich mich emotionaler anstelle als die Mehrheit der Patienteneltern. Aber wie sollte das auch anders sein. Weinen ist mein Hobby.
Sprung zur nächsten Baustelle: Ich möchte dem Gebärmutterblutstau nicht noch unnötig Raum verleihen. Habe ich es doch in den letzten beiden Berichten schon thematisiert. Ich bin es fast schon leid, dass es mich drei Wochen begleitet hat. Nur so viel: Ich bin durch, es ist geschafft. Dank weiterer Eingriffe und nicht durch ein Wunder. Letzten Donnerstag war ich dafür das letzte Mal in der Klinik. Thema abgehakt. Wie schon gesagt: Irgendwas ist ja immer.
Und ein weiterer Arzt stand auf unserer Liste: Die Kinderärztin zum Schallen von Antons Hüfte. Denn eine Beckenendlage führt offensichtlich oftmals zu einer unreifen Hüftposition. So kann die Hüfte unter Umständen nicht richtig in der Hüftpfanne liegen. Hoffentlich liest hier jetzt keiner vom Fach mit und ärgert sich über schwammige Erklärungen dazu meinerseits.
Wie dem auch sei: Seit Geburt stecken wir Anton in zwei Windeln – übereinander. Damit wir Anton breit wickeln und die Beine in einer Froschposition bleiben.
Ein Ultraschall noch vor der U3 war also notwendig, um zu prüfen, ob diverse Übungen notwendig seien. Oder eine Spreizhose. Uff, das würde ich gerne umgehen. Aber mich fragt ja keiner. Also Daumen drücken. Und siehe da: Die Kinderärztin bescheinigte uns eine tippitoppi Hüfte. Gute Beweglichkeit und schön ausgeformt.
Auch hier: Thema abgehakt. Kapazitäten und Ängste hat mich das Thema trotzdem gekostet. Ich wiederhole mich: Irgendwas ist ja immer.
Somit war ich in den ersten 3 Lebenswochen unseres Schatzes öfter bei Ärzten als im Supermarkt. So war das nicht geplant. Glücklicherweise reicht mein Gedächtnis oft von 12 bis Mittag. Und so ist es irgendwie schon fast wieder vergessen. Also stapfe ich trotzdem als Susi Sonnenschein heute mit meinem Baby durch die Mainzer Innenstadt und erfreue mich daran, dass alles in Summe doch so gut gelaufen ist. Denn auf meiner Schrittzähleruhr sind heute 10.000 Schritte. Weil ich schmerzfrei bin. Und mein Baby nicht weint. Ach, was ist die Welt doch schön…
Wir hören uns nächste Woche
Maike