Uromi, Unfall, Krankenhaus: Wir sind wieder zuhause und definitiv noch nicht im Alltag angekommen.
Das Auto ist voller Krümel: Reiswaffel, Keks, Sand, kleine Steinchen, getrockneter Matsch. Unter den Sitzen liegen restliche Gepäckstücke, die Dachbox ist noch montiert. Wir haben Zeitstress. Die Uroma kommt in einer halben Stunde in Hamburg-Altona an. Tim befestigt Jeppes Maxi Cosi auf dem Rücksitz, ich schmeiße Wickelsachen und Leihbücher in den Kofferraum. Als wir gestern Abend von unserer langen Reise heimkehrten, fielen uns sofort die ausgeliehenen Kinderbücher ins Auge. Natürlich hatten wir unterwegs vergessen sie zu verlängern. Das war irgendwie klar und trotzdem ist es ärgerlich. Mal sehen wie hoch die Rechnung sein wird, denke ich. Jetzt aber schnell los.
Jeppe ist entspannt. Er hat noch gar nicht verstanden, dass wir nun wieder zuhause sind. Für ihn ist ein Tag, an dem wir einfach wieder irgendwo hinfahren. Zuerst zur Kita, denn Smilla war heute direkt wieder dort. Sie hatte sich sehr auf ihre Freunde und das gemeinsame Spielen gefreut. Zusammen düsen wir durch den dichten Stadtverkehr. Die Uroma ruft an. Sie ist am Hamburger Dammtor gelandet. Wir sind inzwischen beinahe am Altonaer Bahnhof. Ich fahre, Tim telefoniert. Omi nimmt sich ein Taxi. Wir parken und befüllen als allererstes den Schlund der Rückgabemaschine der Stadtteilbibliothek mit allerlei Klassikern der Kinderbuchliteratur. Als die kleine Hummel Bommel von der Maschine verschluckt wird, protestiert unsere Tochter lautstark. Um neue Bücher auszuleihen bleibt leider keine Zeit. Omi ist jetzt da.
Was für ein Chaos. Dabei sind wir doch erst seit ein paar Stunden wieder zurück. Smilla will von der Kita erzählen, Omi von ihrer Irrfahrt, Jeppe möchte kuscheln und alle haben Hunger. Aus irgendeinem Grund landen wir in der ersten Eisdiele. Smilla will Schokoeis. Ich habe kein Bargeld. Das Lätzchen haben wir auch vergessen. Mist. Ich renne los; mit dem Buggy, in dem jede Menge Gepäck liegt, idiotischer Weise aber kein Kind. Also hätte ich das Ding auch einfach bei den anderen stehen lassen können. Ich will ein Lätzchen oder Ersatzklamotten holen. Im Shoppingcenter fällt mir auf, wie unglaublich dämlich die Aktion ist. Im zweiten Laden gibt es auch keine Ärmellätzchen. Mit dem Buggy bis aufs Parkdeck zu fahren würde ewig dauern. Ich gebe auf. Ich bin sauer und genervt von mir selbst. Smilla hat sich inzwischen bestimmt ohnehin schon von Kopf bis Fuß vollgekleckert. Egal. Die Jogginghose mit Loch und das Shirt mit Flecken vom letzten Snack sind eh nicht die Uromi-trifft-Enkel-Vorzeigeklamotten, in die ich Smilla eigentlich noch gerne schnell gesteckt hätte.
Wir haben knappe drei Stunden. Dann geht Omis nächster Zug. Auch sie kommt aus dem Urlaub und macht bei uns einen kurzen Zwischenstopp. Omi ist 86 und verdammt gut drauf. In der Straße, in der wir einkehren möchten, haben alle Restaurants am Nachmittag geschlossen. Es regnet, wir vertrödeln wertvolle Zeit auf der Suche nach einem Ort zum gemeinsamen Essen. In der Pizzeria knuddelt die Omi Jeppe und schäkert mit Smilla. Wir erzählen von unserer Zeit in Slowenien und kroatischem Meer, Omi vom Nordseewind auf Sylt.
Mit der restlichen Pizza im Karton bringen wir Omi zum Bahnhof. Jeppe sabbert im Schlaf und Smilla ist total überdreht. Bestimmt schläft sie gleich im Auto. Aber der Zug fährt nicht. Was ist denn heute nur los? Es sind einige Alternativen auf der großen Tafel der Deutschen Bahn angeschlagen. Aber Omi hat eine Fahrkarte mit Zugbindung. Der nette Mann hinterm Schalter knallt seinen Stempel aufs Ticket und behebt das Dilemma mit einem Schulterzucken. Zugbindung aufgehoben, Omi kann gleich mitfahren. Smilla eskortiert Omi bis zum Platz. Sie möchte auch mit. Als ich ihr erkläre, dass wir das jetzt nicht vorhaben, eskaliert unser süßes Kleinkind und wird zur Furie. Mit Bestechung verlassen wir im strömenden Regen das Bahngleis. Es ist wirklich kalt in Deutschland.
Tim möchte aus selbigem Grund Unterhemden für Smilla kaufen. Seitdem wir die Windeln weglassen trägt sie auch keine Bodys mehr. Zeit die Garderobe aufzurüsten. Im Shoppingcenter finden wir das Gesuchte. Mitten in der Debatte über Einhornprints und Stückzahl verkündet sie den Wunsch nach einem WC-Besuch. Wir sind im Untergeschoss des Gebäudes. Ich habe keine Ahnung, wo hier die Toiletten sind. Tim, Jeppe, Buggy und die Unterhemden bleiben im Laden, Smilla und ich rennen eine Treppe hinauf. „Schneller!“, heize ich die Situation an. Ich habe absolut keine Lust auf einen Pipi-Unfall.
Wir rennen schneller. Unterwegs scanne ich mit den Augen die Beschilderung des Gebäudes, suche nach dem Örtchen. Kein Hinweis weit und breit. Ich steuere auf eine Tür zu, die offenbar zu einem Innenhof führt. Notfalls geht auch das, befinde ich, und deute für Smilla in die entsprechende Richtung. Sie greift nach meiner Hand, wir sind schnell, umrunden eine Frau mit Einkaufstrolly und einen Mann mit Basecap und Bierflasche. Die Tür ist vor uns, dann passiert es: Statt durch die Öffnung zu laufen, rennt Smilla direkt vor dem Einfang vor einen metallenen Mülleimer. Es scheppert heftig. Der Mülleimer fliegt, das Kind auch. Geschrei. Ich hebe sie auf, trage sie aus dem Gebäude, völlig geschockt von der Situation. Im Nieselregen begutachte ich die Stirn. Die Beule ist riesig. Es sieht aus wie ein Fremdkörper in der Größe einer Zitrone, der aus dem Inneren ihres Schädels gegen die Stirn drückt. In der Mitte ist die Haut etwas aufgeplatzt. Ich kuschele, tröste, untersuche. Was macht man jetzt zuerst? Krankenhaus? Pipi? Erstmal beruhigen! Ein Mann kommt zu uns. Er hat das Ganze gesehen, will helfen und wirkt aufgeregt. Anscheinend sah die Situation ähnlich fies aus, wie ich sie wahrgenommen habe. Puh!
Einige Minuten später pieselt Smilla ins nächstgelegene Gully. Dann trage ich sie zurück in den Laden, in den Tim noch immer nichtsahnend mit den Einhorn-Unterhemden wartet. Er deutet meinen Gesichtsausdruck falsch. „Ein Unfall?“, fragt er und vermutet, dass wir es nicht mehr rechtzeitig zum Klo geschafft haben. „So ähnlich“, sage ich und drehe Smilla um. Die Beule ist inzwischen noch größer geworden und schimmert lila. Es sieht verflixt böse aus.
Das Universitätsklinikum Eppendorf liegt auf dem Heimweg. Smillas erstes Mal im Krankenhaus. Tim und Smilla gehen in die Notaufnahme, Jeppe und ich parken. Baby rein ist die Trage, Rucksack, Wasserflasche, mit den Fahrstuhl nach oben. Im Foyer erreicht mich eine Nachricht: falsches Gebäude. Wir kehren um, Baby wieder rein ins Auto, auf zur Kinderklinik. Wir waren wirklich noch nie hier, sonst wäre uns das jetzt erspart geblieben. Jeppe weint. Er hat keine Lust mehr. Bis zum nächsten Parkplatz hat sich die Tonlage geändert. Ich befördere ein hart schreiendes Baby abermals in die Trage. Es regnet schon wieder. Die Leute auf dem Parkplatz schauen interessiert. Vermutlich denkt hier jeder, dass ich wegen eines kranken Säuglings in Richtung Notaufnahme laufe.
Im Wartezimmer spielt eine fröhliche Smilla. Sie hat den Fischen in Aquarium Namen gegeben, bereits zwei Bilder gemalt und baut gerade einen Turm aus bunten Bausteinen. Ihr Einhorn auf der Stirn schimmert inzwischen in allen bunten Farben des Blutergusses. Unser Kind sieht, bis auf die optische Anomalie im Gesicht, sehr gesund aus. Das bestätigt auch der diensthabende Mediziner, der uns nach einer kurzen Begutachtung nach Hause entlässt.
Beide Kinder schlafen auf der kurzen Fahrt im Auto ein. Wir tragen sie die Treppe hinauf und direkt ins Bett. Omis Zug steht noch auf einem Gleis südlich der Elbe bei Harburg. Irgendetwas brennt und die Züge dürfen nicht passieren. Ich bin müde, erschöpft, und in unserer Wohnung herrscht das Chaos. Halb geöffnete Koffer und Taschen, Beutel voller Schmutzwäsche, Schuhe und Kinderspielzeug – vorsichtig steige ich darüber, umarme Tim und knipse das Licht aus. Morgen ist schließlich auch noch ein Tag.
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