Vielleicht kann ich nächste Woche endlich über die Geburt schreiben?! Ich habe mir gedacht, meine letzten Worte der letzten Woche können auch die ersten Worte der neuen Woche sein. Etwas unkreativ, da nur minimal verändert, aber so wahr! Tatsächlich sitzen wir immer noch hier und warten, dass sich etwas tut.
Wobei sitzen in dem Fall gar nicht richtig ist. Weiterhin bin ich viel unterwegs und befolge brav den hot Tipp der Woche meiner Frauenärztin: Spazierengehen. Auch beim letzten Termin hat sie diesen Ratschlag wieder betont, als wäre es der heißeste Tipp of the week, frisch über den Ozean nach Deutschland geschwappt, directly in ihre Praxis: Spazierengehen. Kann helfen, die Geburt anzustoßen. Better than auf dem Sofa zu sitzen – oder schlimmer noch, zu liegen! Believe me, probieren Sie es aus! Ob es hilft? Daaaas kann man leider nicht… äh… abwarten.
Dieses Mal habe ich aber ganz mutig geantwortet, dass ich dies ja nun schon seit Anbeginn der Zeit, äh, also seit Anfang der Schwangerschaft praktiziere, in dem ich mehrmals pro Tag mit dem Hund rausgehe und nicht selten mehrere Stunden am Stück unterwegs bin. Ich hatte sogar den Eindruck, dass die Ärztin sich tatsächlich erinnerte, denn ihr „Achso, ja, machen sie ja eh“ klang gar nicht so überrascht, sondern wie eine echte Erinnerung. Sie stellte dann noch fest, dass sich „zumindest etwas“ getan hat. Möchte das jetzt nicht näher beschreiben, aber es besteht die Hoffnung, dass es tatsächlich doch irgendwann losgeht. Außerdem ist der Kleine nun endlich etwas ins Becken abgesackt und ich muss nicht mehr liegend ins Krankenhaus, falls die Blase springt.
Nervös oder aufgeregt bin ich weiterhin nicht, nur manchmal merke ich, dass ich nicht mehr denke „Jetzt könnte es bald losgehen“ sondern eher „Jetzt wird es bald losgehen“. Aber immer noch kann es sich um Tage handeln, die ich ungern nur wartend verbringen möchte und dankbar über jede Ablenkung bin.
Ich möchte an dieser Stelle kurz anmerken, dass es gar nicht so einfach ist, ein Baby-Tagebuch zu schreiben, wenn der Protagonist nur in der zweiten Ebene anwesend ist. Und diese ihn außerdem in seinen Aktivitäten so beschränkt, dass es eventuell etwas langweilig werden könnte, jedes Mal nur von Tritten und Bewegungen zu berichten, die wir Nebendarsteller nur passiv miterleben. Beziehungsweise verwende ich die Tatsache, dass Baby Walter nun also immer noch keine Anstalten macht, endlich das Licht der Welt zu erblicken, jetzt gegen alle da draußen, die sich fragen, ob dieses hier ein Schwangerschaftstagebuch werden soll, bei dem die Schwangere wochenlang über die „letzte“ Schwangerschaftswoche berichtet und dabei die ganze Zeit von Hunden quatscht… Also liebe Leute: es tut mir schrecklich leid, aber nix Baby, nix Baby-Tagebuch.
Weiterhin müsst ihr also mit mir und meinen Gedanken vorlieb nehmen. Und auch mit meinen Plänen, die ich ganz blauäugig und naiv weiterhin schmiede. Obwohl wir ein Baby erwarten, habe ich nämlich tatsächlich eigene Zukunftspläne. Und eines kann ich euch sagen: ich bin mindestens genauso gespannt wie alle anderen, wie sich diese Pläne verändern oder sogar in Luft auflösen. Aus heutiger Sicht, und das heißt aus Sicht einer Nicht-Mutter, kann ich mir natürlich nur schwer vorstellen, dass man irgendwie so nichts mehr richtig auf die Kette bekommen soll. Da fass ich mir doch an den Kopf und frage euch: warum zur Hölle tut ihr euch das denn dann alle an, mit dem Kinderkriegen? Was ist so toll daran, sein Leben plötzlich fremdbestimmen zu lassen von einem Wesen, was noch ganz grün hinter den Ohren ist und anfangs nicht mal unsere Sprache beherrscht?!
Bevor ich jetzt mit Steinen beworfen werde, möchte ich aber schnell den Wind aus den Segeln nehmen. Ich meine damit, dass ich mich sehr wohl damit fühle, Wünsche und Vorstellungen zu haben und meine Zukunft zu planen. Natürlich mit Kind, aber nicht ausschließlich für das Kind. Mir ist aber selbstverständlich bewusst, dass sich viele Sachen anders gestalten werden, als angenommen. Und ich freue mich auf den Moment, in dem ich feststelle, dass Mutterliebe über alles geht und viel mehr ist, als man, als ich mir jetzt vorstellen kann. Dass man ohne groß nachzudenken, ohne Wehmut oder sogar Wut, seine vorher so schön geschmiedeten Pläne über Bord wirft. Für sein Baby. Für unser Baby. Aber dieses Gefühl kann eben nur eine Mutter haben. Und obwohl ich ganz kurz davor stehe eine zu werden, ist eben dieses Gefühl noch nicht ausgereift. Vermutlich muss es auch gar nicht lange reifen, sondern ist einfach irgendwann da. Frisch gebackene Muttis aus unserem Freundeskreis haben mir nämlich neulich erklärt, dass es wie Verlieben auf den ersten Blick abläuft. Nicht zwangsläufig sofort nach der Geburt. Aber irgendwann in den Stunden oder Tagen danach. Man guckt sein Baby an und plötzlich ist man verliebt. So richtig. Mit Herzklopfen und so. Oh, das wird schön :o) Ich freue mich ja so sehr darauf!
Im Moment trauere ich noch ganz schön viel meinem „alten“ Leben nach. Das, in dem ich in meiner Traumstadt Hamburg gelebt habe, jede Menge toller Menschen kennen gelernt habe, die Vorzüge der Großstadt genossen und einen anspruchsvollen Job hatte. Ich habe die kaufmännische Leitung einer kleinen Werbeagentur gehabt, u.a. Fotoshootings im In- und Ausland organisiert und begleitet und als Ausbilderin auch die Verantwortung für den Nachwuchs gehabt. So oft mir damals der Kopf geraucht hat und ich mir mehr Ruhepausen gewünscht habe, so sehr wünsche ich mir jetzt manchmal diesen Stress zurück.
Die Entscheidung zurück in unsere alte Heimat Südniedersachsen zu ziehen, haben wir zu einem Zeitpunkt getroffen, in dem wir, überspitzt ausgedrückt, emotional etwas verwirrt waren. Ich wurde schwanger, hatte aber in der zehnten Woche eine Fehlgeburt. Als wir uns damit gerade arrangiert hatten, wurde bei Julian Hodenkrebs festgestellt. Von einem auf den anderen Moment ist einem plötzlich alles egal, was nicht mit dem Menschen und seiner Gesundheit zu tun hat. Job, Karriere, Geld, Freizeit… dies alles ist nichts wert, wenn man nicht gesund ist. Julian wurde damals direkt nach der Diagnose operiert, wir mussten in den Stunden zwischen Diagnose und OP noch schnell „Dinge erledigen“ wie Sperma einfrieren – „falls Kinderwunsch besteht“ sagte die Ärztin damals. (Zur Erklärung: Der Hodenkrebs war zwar nur einseitig tastbar, es sollte aber erst während der OP beschlossen werden, wie viel und was entfernt werden sollte). Das war so kurz nach einer missglückten Schwangerschaft ein doppelter Schlag ins Gesicht, denn wir hatten uns diesbezüglich damit getröstet, dass wir noch jung sind und noch ganz viel Zeit für’s Kinderkriegen haben. Dass wir nichts überstürzen wollen, dass sich das Leben jetzt nicht nur noch um das unbedingte Schwangerwerden dreht, sondern wir unser Leben genießen und alles auf uns zukommen lassen wollen. Pustekuchen. Auf einmal musste ausgerechnet das Schwangerwerden zu so einem Thema werden. Zum Glück hat sich diesbezüglich alles sehr entspannt, auch nach Julian’s OP ist es für uns weiterhin möglich, uns auf natürlichem Wege zu vermehren :o)
Außerdem sind wir sehr optimistisch, dass Julian gesund bleibt. Dank engmaschiger Nachsorgetermine würde früh genug erkannt werden, ob der Krebs wiedergekommen ist, bisher ist dies glücklicherweise nicht der Fall.
Jetzt bin ich wohl ganz schön vom Thema abgekommen. Oder auch nicht. Dies ist ja mein Tagebuch. Solange Baby Walter nicht rauskommt, nehme ich es mir also nicht übel, über andere Sachen zu schreiben ;o)
Um den Kreis zu schließen: ich freue mich also auch aus dem Grund so sehr auf unser Baby, weil damit neue Aufgaben und Herausforderungen einhergehen. Ich werde dann in erster Linie Mutti sein und im Hier und Jetzt sein, leben und denken. Dann werde ich den Arbeitsstress vielleicht nicht mehr so vermissen und mich endlich auf mein Leben, wie es jetzt ist, einlassen können. Und dann kann ich wieder sagen: „Alles ist für irgendetwas gut.“ Das ist nämlich so etwas wie mein Lebensmotto, weil es so unkompliziert ist und einfach in jeder Situation passt. Egal was passiert, wie schlimm, wie doof, wie schön. Alles hat seinen Sinn und irgendwann erkennt man ihn.
Ich muss allerdings zugeben, dass ich nicht die geringste Vorstellung davon habe, für was es gut sein soll, dass Baby Walter nicht aus meinem Bauch raus kommt. Die Nächte sind wirklich anstrengend und regelmäßig werde ich abends ganz schön nölig. Ich hoffe sehr, dass es jetzt endlich losgeht und ich um eine Einleitung herumkomme.
In diesem Sinne…
Wenn ich weit, weit weg bin
Ob in Northeim oder Rom
dann denk ich "Hamburg meine Perle" und singe:
home sweet home!
“Hamburg meine Perle” (Lotto K. Karl)
Liebe Grüße, die immer noch schwangere Patrizia