Eine Woche mit der schwangeren Nada
Hallo,
Carlo hat so kurz vor unserer Abreise eine schwierige Phase angetreten. Es sind entweder wieder die Zähne oder ein neuer Schub oder beides. Jedenfalls schreit und brüllt er bei jeder Gelegenheit. Essen ist auch ein Kraftakt. Er dreht sich jetzt immer mit dem Rücken zu mir und nimmt nur ein paar Löffel zu sich. Mittags kriege ich ihn nicht zum Schlafen. Er hat ein super Durchhaltevermögen. Statt zu schlafen schreit er zwei Stunden. Wenn ich ihn stille, ist er innerhalb weniger Minuten eingeschlafen, obwohl wir das eigentlich hinter uns gelassen hatten. Die Woche war allerdings so anstrengend, dass ich ein paar Mal auf meine Schlafwaffe Brust zurückgegriffen habe um wenigstens ein bisschen pausieren zu können. Ich hoffe, dass diese Phase nächste Woche vorbei ist. Ansonsten ist er aber wie immer wahnsinnig süß und liebenswert.
Ich habe diese Woche damit verbracht einem syrischen Studentenpaar bei den Vorbereitungen für die Niederkunft ihres Babys zu helfen. Sie wohnen neben einer Freundin und die Frau (Nada) wollte lernen, wie man eine Torte backt und da hat meine Freundin sie an mich verwiesen. So haben wir uns kennengelernt. Nada erwartet Ende Oktober ihr Baby. Die beiden sind seit 5 Monaten in Deutschland und machen zur Zeit einen Sprachkurs, bevor sie dann ihr Studium zu Ende bringen können. Sie sind quasi Flüchtlinge, haben aber den Status nicht und entsprechend weniger Unterstützung. Ihre Schwangerschaft wird durch ihre Versicherung nicht abgedeckt und somit ist noch unklar, wo sie ihr Baby entbinden wird. In Syrien kostet eine Entbindung im Krankenhaus 50 Euro. Hier ist es wohl etwas teurer. Zum Glück hat sie immerhin Hilfe von der AWO, was die Vorsorge angeht. Und sie versuchen noch ein Krankenhaus zu finden, dass sie aufnimmt.
Ich habe ihr dann ein paar Babyklamotten organisiert und gefragt, was sie noch so braucht. Ihre Antwort: Eigentlich alles. Kinderwagen, Stubenwagen, Erstausstattung usw. Also habe ich mich mit ihnen auf den Weg gemacht, auf der Suche nach möglichst günstigen Dingen. Bei Kleinanzeigen habe ich dann Kinderwagen gesucht und nach vier Besichtigungen mit den beiden sind wir endlich fündig geworden. Außerdem bin ich mit ihr in die Stadt gegangen und habe ihr Geschäfte gezeigt, die günstig sind. Es ist schon lustig eine Führung durch C & A zu machen. Die vielen Babyklamotten, die wir zusammengetrommelt haben, führten bei ihr zu der Frage, warum in Deutschland die Kleider so "farblos" sind. In Syrien sei immer alles ganz bunt.
Ich bin dann auch mit ihr zum Drogeriemarkt gegangen, um für ihr Wochenbett die nötigen Dinge zu holen. Ich habe ihr die berühmten "Pelzys" eingepackt. Sie bekam riesige Augen als ich ihr erklärte warum man so riesige Einlagen braucht. haha.
Dann fragte sie nach Babyparfum. Sie will so etwas unbedingt. Ich habe versucht eine Creme zu finden, die etwas riecht. Aber für Säuglinge sind die natürlich alle ohne Parfum. Ich habe ihr erklärt, dass das eigentlich nicht gut für die Haut ist. Sie sieht das anders. ;-) Andere Länder andere Sitten.
Als ich mit ihr und ihrem Mann unterwegs war, haben sie mich viele Dinge über das Leben hier gefragt. Warum ich nach einem Jahr wieder arbeiten gehe? Das wäre sehr schlecht für´s Kind. Und warum ich nicht länger stille? Das wäre gut für´s Kind. Und warum Deutsche so wenig Kinder haben? Und ob hier die Familie auch so einen hohen Stellenwert hat usw. Alle meine Antworten kamen mir etwas komisch vor. Ich gehe arbeiten um Geld zu verdienen, weil es sonst nicht reicht. Hätte ich gesagt, dass man auch arbeiten geht, um mal wieder anderweitig gefordert zu werden, hätten sie mich wahrscheinlich für verrückt erklärt. Auf die Frage mit dem Stillen kam ich mir etwas blöd vor. Ich will nicht mehr stillen, damit ich mehr Freiheit habe, hört sich so wahnsinnig egoistisch an. Aber so ist das nun mal. Auch der Versuch ihnen das Familienleben in Deutschland zu erklären, machte bei ihnen große Augen. Es gibt Unverheiratete, die Kinder haben? Und die Kinder ziehen schon so früh aus? Warum? Wieso leben Familien nicht alle unter einem Dach, sondern in vielen Städten verteilt? Weil jeder sein eigenes Leben führen will. Hört sich auch egoistisch an... Von gleichgeschlechtlichen Ehen habe ich sie erst einmal verschont.
Jedenfalls sind die beiden sehr interessiert, offen und glücklich über Kontakt zu Deutschen. Gleichzeitig fiel mir auf, wie schwer Integration ist. Wie schwer es für die beiden sein muss, das alles hier zu verstehen und andersherum natürlich auch. Und wie viel Eindrücke hier auf die beiden einprasseln. Während sie mit Kopftuch und langem Mantel neben mir bei einem Fest im Park bei 40 Grad schwitzt, sitze ich neben ihr und stille Carlo im Trägertop (Ich hatte natürlich vorher gefragt, ob das okay ist). Jedenfalls war ich diese Woche fast täglich mit Nada unterwegs und habe alles, was sie für ihr Baby und die Zeit im Winter braucht, besorgt. Bei Ikea hat sie ganz aufgeregt ihren Mann angerufen um ihm zu erzählen, was das für ein lustiger Laden ist. Er hat es direkt bereut zu Hause geblieben zu sein um zu lernen. Sie fragte mich außerdem, wo sie günstig einen Pelzmantel kaufen könne? Sie findet so etwas sehr schön. Ich habe versucht ihr zu erklären, dass das hier verpönt und auch sehr teuer ist, wegen der Tiere und so. Aber das versteht sie nicht. Das ganze läuft mit sehr gebrochenem Deutsch ab, da ist es schwer, den Begriff Tierschutz zu vermitteln.
Jedenfalls hat diese Woche sehr viel Energie gekostet. Besonders weil die Sprachbarriere noch relativ hoch ist. Sie sprechen zwar auch Englisch, vermeiden das aber bewusst um die Sprache zu lernen. Die Erstausstattung könnte man natürlich auch ganz schnell zusammen kramen, aber sie möchte natürlich auch schöne Dinge für ihr Baby. Sie waren in Syrien wohl sehr wohlhabend bis alles verloren ging. Und selbst wenn sie es nicht wären, verstehe ich sehr gut, dass man ungern abgeranzte Dinge akzeptiert. Daher haben wir in dieser Woche gemeinsam viele Läden und Kleinanzeigen abgeklappert. Und Internetshopping haben sie auch kennengelernt.
Wir haben jedenfalls das Nötigste besorgt, was sie für den Kleinen brauchen und wenn ich aus Chile wieder da bin, ist er hoffentlich gesund zur Welt gekommen, in welchem Krankenhaus auch immer.
Heute durfte ich übrigens das allererste Mal seit der Geburt ausschlafen. Mein Freund hat sich morgens um sechs Carlo geschnappt und hat ihn bespaßt ohne mich zu wecken. Ich konnte so bis elf Uhr im Bett herumgammeln. Das war Spitze!
Nächste Woche gibt es dann den ersten Bericht aus Chile, vorausgesetzt wir überstehen das alles heile ;-) Wahrscheinlich werde ich etwas später schreiben. Wir kommen Samstag Abend an und wenn ich dann erholt bin, werde ich gerne berichten.
Liebe Grüße, Susi