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Baby-Tagebücher von Marie-Luis

Hautnah. Intensiv. Liebenswert. Folgt hier den Babytagebuch-Bloger:innen und erlebt regelmäßig, wenn frischgebackene Mütter und Väter ihr Leben mit euch teilen. Jede Woche lassen sie euch an ihrer neuen Lebenszeit mit Baby teilhaben und geben ganz persönliche Einblicke: Was hat der Sprössling diese Woche Tolles gelernt? Wie geht es den jungen Eltern mit dem kleinen Knirps? Welche Herausforderungen begegnen den Neu-Mamas und Neu-Papas mit ihrem Neugeborenen? In den Baby-Tagebüchern seid ihr live dabei, von ersten Arztbesuchen bis zu holprigen Gehversuchen. Ob liebenswert chaotisch oder rührend besinnlich: Immer erhaltet ihr einen unverfälschten, authentischen und persönlichen Einblick in das aufregende Leben einer Jungfamilie.

48. Woche

Das Leben geht weiter

Über mein Vorstellungsgespräch und Eddie, der zum ersten Mal Fieber hat

Hallo,

und eine schöne neue Woche.

Diese Woche war nicht gut Kirschen essen mit Eddie. Das ganze begann schon am Montag. Der Sport endete mit einem zeitigeren Abbruchs meiner Sportstunde und einem weinenden Eddie. Ich unterhielt mich zu Beginn der Stunde nett mit einer anderen Mama. Ihre Tochter war drei Wochen älter als er und ziemlich aufgeschlossen. Sofort mopste sie Eddie’s Regenmacherstab und versuchte sich an mir hoch zu ziehen. Beides passte ihm so gar nicht und seine Unterlippe verzog sich nach unten. Er zog dieses typische enttäuschte Gesicht und mir war klar, dass er gleich weinen würde. Eddie war an diesem Tag sehr sensibel. Traute sich nicht durch den Raum zu robben, wie die Wochen zuvor. Nicht einmal der Heizkörper war an diesem Tag interessant. Er wich mir keinen Moment von der Seite. Der Sport ging los und das „Guten Tag“ - Lied startete. Es erweckte dieses Mal geringes Interesse. Ich dachte nur „Oh je, ich glaube das wird heute nichts.“ Ich war selbst auch nicht ganz bei der Sache, sondern voll fokussiert auf das Vorstellungsgespräch, welches am Dienstag stattfinden sollte. Der V-Schritt wurde dieses mal im Kreis gemacht. Ich kreiselte halb motiviert vor mich hin und versuchte irgendwie im Takt zu bleiben. Eddie klebte an meinem Bein. Als es auf die Matte ging, war nichts mehr zu machen. Zu allem Überfluss hatte ich noch den Schnuller vergessen. Er weinte und weinte. Die Trainerin wollte ihn abnehmen und sofort machte er sich steif und weinte noch lauter. Kaum hatte er sich mit einem Spielzeug beruhigen lassen, kam ein anderes Baby und nahm es ihm weg. Er weinte wieder. Vorwurfsvolle Blicke anderer Mütter streiften mich. Ich beschloss eher zu gehen, weil es keinen Sinn mehr machte. Einer anderen Mama ging es an diesem Tag ähnlich wie mir. Zu Hause verschlief Eddie den Mittag und wir liefen los um Ella zu holen. Ich fragte Eddie warum er so schlechte Laune hatte. Kein Lächeln war an diesem Tag in seinem Gesicht zu sehen. Er rollte mit den Augen, ganz so als hätte er verstanden, was ich von ihm wollte.

Am Dienstag, Eddie war immer noch bei schlechter Laune, war es soweit: das Vorstellungsgespräch. Am Vormittag weinte Eddie jedes Mal, wenn er mich sah. Bei meinem Mann war er ruhig. Er spielte sogar allein mit Ellas Ghostbusters-Auto oder mit dem Brummkreisel. Der Vormittag schwankte bei mir zwischen tiefenentspannt, todmüde und Aufregung. Dabei hatte ich mich ausgiebig mit der Stadtverwaltung beschäftigt, wusste sogar wie der Leiter des Sozialdezernates mit Vornamen hieß und dass er drei Kinder hatte. Ich hatte mich sogar mit dem Ablauf bei Kindswohlgefährdung beschäftigt und den Paragraphen des Sozialgesetzbuches gelernt. Mein Mann hatte frei und beschallte mich an diesem Morgen mit Donald Trump Dokus. Eddie weinte wieder. Und dann war es endlich soweit Nachmittag. Ich war viel zu früh da und drehte noch einige Runden um das Verwaltungsgebäude. Die Gärtner vor dem Haus fragten sich sicher schon bei meiner zweiten Runde warum die Frau im roten Mantel schon wieder an ihnen vorbei lief. Im Gebäude selbst durfte man nur in Begleitung eines Securitys unterwegs sein. Man musste Maske tragen, obwohl keiner der Angestellten eine trug. Vor dem Zimmer hörte man schon, wie sich Männer und Frauen angeregt unterhielten. Ich hatte damit gerechnet, dass ein anderer Bewerber vor mir im Raum saß. Dem war nicht so. Sie sprachen angeregt über mich. Im Stimmwirrwarr konnte ich nur nicht heraus finden was sie sagten. Im Raum saßen Jan Böhmermann, Herbert Grönemeyer, eine Frau, die so nett wirkte, dass ich sie gern als Mama gehabt hätte und ein junges Mädchen, welches mich stark an meine Nichte Chanti erinnerte. Ich hängte meine Jacke auf den Stuhl stopfte irgendwie meinen Schal in den Mantel und spürte die Blicke auf mir kleben. Wenn ich etwas nicht mag dann definitiv Vorstellungsgespräche. Ich setzte mich hin und vor lauter Aufregung hatte ich fast meinen Namen vergessen. Marie-Luis heiße ich. Ich bin derzeit als MTA tätig und habe mich beworben, weil ich mich beruflich weiter entwickeln möchte...Bla bla bla. Ich hatte alles vergessen was ich mir vorher zurecht gelegt hatte. Die Leute gegenüber stellten sich vor. Entweder hatte Herbert Grönemeyer einen schlechten Tag erwischt, oder er war nur gekommen um mich nervös zu machen. Ausgerechnet er stellte die Stressfragen. Er war Leiter des Jugend- und Kindernotdienstes. Er krakelte auf dem Blatt herum. Es machte mich wahnsinnig und ließ mich alles vergessen. Den Aufbau der Stadtverwaltung. Der Oberbürgermeister fiel mir noch ein. Den hatten wir am Sonntag noch gewählt. Ella hatte ihn gleich drei Mal gewählt. Ich glaube aber, dass ihre Stimmen nicht wirklich zählten. Dann sollte ich ein Fallbeispiel bearbeiten. Eine besorgte Nachbarin hätte beim Jugendamt angerufen. Ein Baby würde seit drei Tagen weinen und wir sollten vorbei schauen. Dort angekommen würde mir ein angetrunkener, aggressiver Mann öffnen und mich bepöbeln und Gewalt androhen. Wie würde ich reagieren? Ich sagte, ich würde wieder kommen, weil es nichts bringt sich mit dem Mann anzulegen gegebenenfalls mit Sicherheitspersonal. Er verdrehte die Augen und ich wurde wieder unsicher. Ich erzählte, dass es viele verschiedene Gründe haben könnte, warum ein Baby weint. Das müsse alles abgeklärt werden, bevor man ein Kind entzieht. Er schaute streng. Er fragte, wie der rechtliche Begriff heißt. Inobhutnahme. Klar wusste ich das. Ich war aber so durch den Wind, dass mir nicht einmal das einfiel. Am Ende kam ich nicht einmal mehr auf meine Hobbies. Schön blöd. Ich dachte an Ella, die auch ein Schreibaby war und an die Nachbarin, die gemeint hätte, dass wir etwas dagegen tun sollten. Was hätte ich getan, wenn plötzlich das Jugendamt vor meiner Tür gestanden hätte? Ich wäre auch außer mir gewesen.

Ein weiteres Fallbeispiel. Ich hätte schon drei Tage lang Überstunden gemacht und wäre schon völlig geschafft. Ich wollte heim und das Telefon klingelt. Es kam noch ein Fall herein. Ich sagte man müsse abwägen. Es gäbe zwei Möglichkeiten. Je nachdem ob ich noch Ressourcen hätte, würde ich entscheiden. Ich würde eine Kollegin fragen, wenn ich den Fall wirklich nicht übernehmen kann. Dafür erntete ich halben Applaus. Dann stotterte ich noch, wenn ich niemanden finden würde, der mir hilft, dann würde ich ihn selber übernehmen, weil man niemanden in einer Notlage im Stich lassen dürfte. Wieder Augenrollen und blöder Mist. Egal nächste Frage.

Ich sollte von einer Krise aus meinem Leben berichten und wie ich da raus gefunden hätte. Ich erzählte aus der näheren Vergangenheit, über unseren Umgang mit Corona und wie wir es geschafft hatten uns damit anzufreunden. Mir fielen noch mehr Krisen ein. Den Abbruch meines Studiums und wie ich halb aus Mainz geflüchtet war oder den Tod meiner Mutter. Ich beließ es bei Corona. Zum Schluss durfte ich Fragen stellen. Diese hatte ich ebenfalls sorgfältig vorbereitet. Ich fing mich endlich und entspannte mich. Mit durchmischten Gefühlen und der Gewissheit, dass das Leben immer weiter geht, verließ ich den Raum und sagte "Tschüß" nicht "auf Wiedersehen". Was soll’s. Ich habe einen Job, auch wenn er nicht immer Spaß macht und alles in meiner Abwesenheit komplizierter geworden ist. Zum Schluß starrte das Mädchen auf meinen roten Mantel. Ich glaub, sie fand ihn schick. Herbert Grönemeyer blickte finster drein. Die freundliche Frau war weiter freundlich, genau wie Jan Böhmermann. Die Tür ging zu und sie unterhielten sich angeregt. Ich dachte blöder Mist. Unten wartete meine Familie. Eine todmüde Ella, die hoffentlich nicht krank werden würde.

Ganz am Ende der Woche dachte ich nicht mehr viel an das Gespräch. Ich hatte andere Sorgen. Es begann am Freitag Mittag. Eddi fasste sich wärmer an als gewöhnlich. Na toll. Meine Schwester erzählte gerade, dass meine Nichte gerade arg mit Fieber zu kämpfen hatte. Just als ich schon dachte, hoffentlich bleiben wir alle gesund, bekam Eddie Fieber. Es war nicht besonders hoch nur 38,5. Ich dachte erst, dass es die Zähne wären. Mit 11 Monaten hatte er zwar ein paar Mal vorgetäuscht, dass er welche bekommen würde, doch wirklich gekommen waren sie nie. Mein kleiner zahnloser Otto. Vielleicht wäre es dieses Mal soweit. Oder es kamen gleich mehrere auf einmal? Ich hoffte darauf, denn wenn es schon bei einem Zahn so ein Drama gab, wie sollten wir das 20 Mal aushalten? Eddie weinte und weinte. Ella buhlte um Aufmerksamkeit. Gerade in letzter Zeit war sie besonders anstrengend. Sie tat alles für Aufmerksamkeit. Sie schrie, bockte, fing an zu treten. Oder sie nahm Eddies Spielzeug und versteckte es. Vor allem Eddies Brummkreisel war das Objekt der Begierde. Ich freute mich schon auf die Nacht. Wir waren allein zu Hause. Hoffentlich würde alles gut gehen. Ich hatte Angst vor einem Fieberkrampf. Er hatte das erste Mal Fieber und wer weiß wie Eddie reagieren würde. Sein Fieber stieg. Er wollte alle halben Stunde stillen. Was einerseits gut ist, denn es wirkt ja durch das Kuschelhormon schmerzlindernd und wenn er trinkt, ist das ja ebenfalls ein gutes Zeichen. Er fieberte hoch bis auf 39,9. Na toll. Ich machte mir Sorgen. Ich schickte meinen Mann in die Apotheke ins Einkaufszentrum. Das Zentrum war total überfüllt gewesen. Die Leute hier kümmerten sich nicht um die Maßnahmen. Dann gab ich Ibu und Paracetamol Zäpfchen im Wechsel. Es half, doch das Fieber kam immer wieder. Was sollten wir jetzt machen? Zum Kinderbereitschaftsdienst und uns noch Schlimmeres weg holen? Aushalten und weiter Zäpfchen geben? Die Frage war, was würde der Arzt beim Bereitschaftsdienst machen? Wahrscheinlich nichts anderes. Also fuhren wir fort mit unseren Maßnahmen. Konnte uns nicht mal jemand sagen, wie wir es richtig machen sollten? Inzwischen hatte auch Ella Husten bekommen, beziehungsweise tat sie so. Immerhin war sie schlau und hatte gemerkt, dass man so Aufmerksamkeit bekam. Eddie ließ sich kaum ablegen. Ich hatte ihn ins Tragetuch gesteckt. Ich hoffte auf baldige Besserung.

Am Sonntag kam endlich nach einer gefühlten Ewigkeit die Sonne raus. Die Tage davor hatte es nur geregnet und ich hatte Eddie im Wagen geschoben, dass er nicht nur an mir hing und endlich mal schlief. Schlafen war ein Kampf und hatte er es mal geschafft, weckte ihn Ella. Ich war kurz vor dem Wahnsinn. Wir ließen mit ihr Drachensteigen. Dann wäre sie wenigstens ausgepowert. Eddie fieberte weiter. Wir haben uns dafür entschieden gleich am Montagmorgen zum Arzt zu gehen. Natürlich hat unser Arzt Urlaub, wie immer wenn eines meiner Kinder krank ist. Ich denke, er hat Drei-Tage-Fieber. Hoffentlich ist es nichts schlimmes. Wenn man im Labor arbeitet, kennt man einfach zu viele Krankheiten.

Wie dem auch sei, macht es gut.

Liebe Grüße,

Marie

Foto: Privat

 

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Kommentare von Lesern:

Marie-Luis 24.10.2020 17:30

Danke für deine lieben Worte ❤
Liebe Grüße

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Sandra, Ringgau23.10.2020 14:27

Liebe Marie-Luis,
ich hoffe, Eddie geht es wieder gut und ihr seid alle gesund geblieben. Ich drücke dir fest die Daumen für dein Vorstellungsgespräch! Du hast die Situation so plastisch beschrieben , dass ich mich so gefühlt habe, als hätte ich selbst auf deinem Platz gesessen. Ich kann dir die Situation so gut nachfühlen!
Ich finde deinen Schreibstil toll! Danke, dass du hier deine Erlebnisse mit uns teilst.
Liebe Grüße Sandra

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In diesem Beitrag geht's um:

Vorstelleungsgespräch, Fieber, Erkältung