Bunte Gedanken im Januargrau
Im Wartezimmer sitzen Menschen mit medizinischen Unterlagen auf dem Schoß. Die Luft riecht nach Desinfektionsmittel, auf dem Gang kommen mir Menschen mit Infusionsständern entgegen. Einige sitzen im Rollstuhl, in einem geparkten Bett liegt ein Mann, der offenbar zu einer Untersuchung gefahren werden soll. Immer wieder kommt jemand hinzu, nach und nach werden die Wartenden aufgerufen und entschwinden durch einen langen Gang mir vielen Türen.
Baby Jeppe ist bei Tim. Ein Arztbesuch mit Krabbelkind ist nämlich unheimlich anstrengend. Manchmal geht es nicht anders. Dann passt ein netter Assistent oder eine Praktikantin auf, sofern verfügbar. Aber heute ist Jeppe mit im Homeoffice.
Ich bin gesund. Aufgrund eines erhöhten Krebsrisikos in der Familie habe ich allerdings regelmäßig einen Termin in einer renommierten Hamburger Klinik. Die Vorstellung, es könnte irgendwann auch mich treffen, macht mich wahnsinnig. Gut, dass es diese Art der Prävention gibt.
Bereits vor der Geburt unseres ersten Kindes machen wir uns Gedanken. Was, wenn mal irgendetwas passiert? Ein Unfall? Eine Krankheit? Wir setzen Verfügungen auf: Patienten- und Betreuungsverfügung, verschiedene Vollmachten, testamentarische Anordnungen. Auch für unsere Kinder gibt es klare Regelungen. Geltendes Recht sieht vor, dass in der Regel die nächsten Verwandten für eine Vormundschaft infrage kommen. Wir bestimmen die Vormundschaft, sprechen alles zuvor ab, halten relevante Punkte schriftlich fest. Auch gegenseitig sichern wir uns ab. Als unverheiratetes Paar sind wir in Deutschland von vielen Privilegien ausgeschlossen, von denen verheiratete Personen profitieren. Wir müssen alles extra bedenken und ebenfalls schriftlich fixieren, am besten notariell beglaubigt und regelmäßig überarbeitet. Von der Schweigepflichtsentbindung bis zu Passwortlisten gibt es eine Menge Themen, bei denen wir damals schnell landen. Dabei ging es doch am Anfang um das Baby, das wir erwarten.
Wenn ich daran denke, dass gerade jetzt, in diesem Gebäude, Menschen um ihr Leben kämpfen, wird mir ganz anders. Es sind Mütter und Väter, die ihren Kindern das mit dem Leben und dem Tod erklären müssen.
Ich habe unlängst die erste Unterhaltung zum Thema geführt. Ein kleiner toter Vogel auf dem Weg - meine Tochter Smilla stellt Fragen. Sie kennt genau dieses Szenario aus einem Kinderhörspiel und weiß, dass dieser kleine Piepmatz vermutlich nie wieder piept. Auch bei Fotos fragt sie nach. Der Mann auf dem Foto? Das ist der Opa und der ist leider nicht mehr da. Die Frau dort? Auch schon gestorben. Alles nicht so leicht und doch reichen manche Antworten. Die großen Erklärungen, die ich mir zurechtgelegt habe, braucht unser Kleinkind nicht. Die liefere ich dann nach, wenn sie älter ist und mehr Informationen fürs Verständnis benötigt und einfordert.
Exakt auf den Tag genau ein Jahr vor der Geburt unserer Tochter stirbt mein Vater. Ich schlafe neben ihm im Hospiz, als er für immer geht. Damals entscheide ich mich fürs Leben, für eine eigene Familie und für proaktive Entscheidungen. Wer weiß schon, wie viel Zeit uns bleibt? Morgen ist auch noch ein Tag? Manchmal eben nicht! Es gibt so vieles, wofür es sich lohnt zu kämpfen. Das Wichtigste ist die eigene Einstellung. Das, was von mir weiterlebt, ist das, was ich heute bin und tue.
Freut sich irgendjemand später, weil ich so gut lohngearbeitet habe? Oder ist die gemeinsame Zeit mit Familie und Freunden nicht sehr viel wertvoller? Denke ich an Abenteuer und Reisen, wenn ich alt bin, oder an das gut geputzte Fenster oder gebügelte Bettwäsche? Ärgert mich der Konflikt in fünf Jahren noch? Oder ist es eine Lappalie?
All das sind Dinge, die unsere Kinder von uns lernen. Jeppe und Smilla dürfen später selbst entscheiden. Um das zu können, ebnen wir heute den Weg.
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