aber sonst alles bestens.
Wie ihr sicher mitbekommen habt, gab es in der Nähe von Santiago ein starkes Erdbeben gefolgt von einer Tsunamiwarnung für den ganzen Pazifikraum in Südamerika. Arica war ebenfalls davon betroffen und ich habe meine erste und hoffentlich letzte Evakuierung miterlebt.
Ich hatte gerade Carlo bettfertig gemacht und war ihn noch am Stillen, als plötzlich eine Sirene aufheulte. Unten saßen noch die anderen und haben gegessen und geredet. Ich dachte mir zunächst: Komisch, der Probealarm ist doch sonst immer um 14.00 Uhr? Plötzlich wurden aber auch die anderen still und mir stieg das Blut in den Kopf. Erst dachte ich eine Erdbebenwarnung, aber dann kam mein Freund hoch gerannt und rief: "Tsunamiwarnung, wir müssen raus." In dem Moment schaltete mein Kopf auf Autoplay. Das einzige was ich im Kopf hatte war Carlo. Ich packte ihn mir, die Bondolino und eine Decke und lief raus. Der Rest war mir egal. Mein Freund lief derweil kopflos im Haus herum und suchte Sachen zusammen. Auch in seinem Kopf spukte nur Carlo herum. Bei Evakuierungen muss man damit rechnen, dass man stundenlang auf dem Berg ausharren muss. Er packte Klamotten für Carlo ein, Milchpulver und Hustensaft. Nicht gerade die allerwichtigsten Sachen. hehe. Für sich selber vergaß er alles. Er trug nur Flipflops, Shorts und ein T-Shirt, was für die Nacht recht kalt ist. Im Nachhinein recht lustig, denn damit wären wir nicht weit gekommen.
Gott sei Dank (wie ich jetzt weiß) wohnen wir nur ca. 500 Meter von der Sicherheitszone entfernt. So war die Gefahr recht gering. Aber das wusste ich ja nicht.
Da saßen wir also oben am Berg und warteten auf die Welle. Um uns herum klingelten die Handys immerzu. Die Chilenen haben einen automatischen Alarm in ihren Handys, die dann klingeln, wenn eine Welle droht zu kommen. In der Stadt heulten die Sirenen und überall sah man die Leute den Berg hochfahren und gehen. Carlo war derweil eingeschlafen und wir spekulierten darüber, wie lange wir hier wohl ausharren müssen. Nach drei Stunden löste sich die Menge langsam auf und wir gingen auch zurück, denn die Welle, so hieß es, wäre bis zu 5 Meter hoch und das würde uns eh nicht betreffen.
Etwas nervös bin ich dann ins Bett gegangen. Inzwischen ist alles wieder normal und ich bin erstaunt darüber, wie wenig man an sich selber denkt und nur sein eigenes Kind im Kopf hat, wenn man in Panik gerät.
Früher habe ich mir immer gewünscht mal ein Erdbeben mitzuerleben, aber inzwischen kann ich gut darauf verzichten. Es war ja noch nicht mal ein Erdbeben (bei uns). Wie auch immer. Für heute haben wir uns vorgenommen, eine Tasche zu packen, die in der Ecke bereit steht, um im Falle des Falles mehr als nur Hustensaft trinken zu müssen.
Carlo hat das Ganze verpennt. Er ist hier ein richtig guter Schläfer geworden. Er schläft über den Tag verteilt bestimmt 5 Stunden und abends geht er zwar erst gegen neun ins Bett, schläft dann aber bis 4 Uhr. Ich habe abends jetzt auch mehr Freiheit, dadurch das Ana, meine Schwiegermutter, ihn ins Bett bringt und geduldig in den Schlaf schaukelt.
Am Donnerstag waren alle in wilder Vorbereitung für Fiesta Patria, den Nationalfeiertag von Chile. Die Schwester meines Freundes probte den traditionellen Tanz Quecka. Carlo guckte zu. Er ist, glaube ich, jetzt taub, weil die Musik hier immer so LAAUUUT ist. Der Umgang mit Kindern hier ist ganz ganz anders. Sie laufen einfach mit. Hier denkt keiner über Weichmacher in Plastik, schädliches Fernsehen, über Öko oder Bioprodukte nach. Auch nicht, ob etwas zu laut oder zu stressig ist. Ich sehe auch ständig Mütter mit ihren einjährigen Kindern, die Cola im Fläschchen und Chips zum Snacken kriegen. Aber auch diese Kinder werden irgendwie groß. Carlo wird hier natürlich nicht so ernährt aber laufende Fernseher und Lautstärke (begrenzt) und andere Dinge muss er mitmachen und es scheint mir, dass es ihm sehr gut gefällt.
Den Fiesta Patria habe ich dann mit Brechdurchfall im Bett bzw. auf der Toilette verbracht. Ich habe mich noch nie so elend gefühlt und zwischendurch hatte ich das Gefühl zu verdursten. Aber egal wie viel Wasser ich getrunken habe, es kam eins zu eins wieder heraus. Jetzt liege ich mit Fieber im Bett und habe Carlo seit zwei Tagen nicht mehr richtig zu Gesicht bekommen. Die Familie meines Freundes kümmert sich rührend um ihn und er quietscht vergnügt und weint viel weniger als sonst. Voll doof. Da bekommt man glatt das Gefühl, dass er ohne mich glücklicher ist. Was natürlich nicht stimmt. Gestillt habe ich ihn nun auch seit 24 Stunden nicht mehr und meine Brüste platzen gleich, aber er hat keinen Hunger. Jetzt übe ich mich im Ausstreichen, bin aber nicht besonders erfolgreich. Also hoffe ich, dass er später doch noch Lust auf Mamas Milch bekommt. Wenn nicht, wird er schneller abgestillt, als ich dachte.
Mich hat es durch die Krankheit auch prompt mit ein bisschen Heimweh erwischt. Einfach, weil ich meine Ruhe haben will, aber in diesem Haus keine Türen existieren und somit alle Geräusche zu mir herauf dringen. Und meine Schwiegermutter hat ein Organ, dass man von hier bis Deutschland hören kann. Sie könnte die Tsunami Sirene gut ersetzen. Hinzu kommen die doofen Hunde, die ständig bellen und die doofen Katzen, die sich nachts abschlachten. Gesund ist das alles kein Ding, aber mit Fieber, Kopf und Gliederschmerzen ist es schon grenzwertig als spröde Deutsche.
Nächste Woche kommen meine Eltern schon und ich freue mich total. Vor allem weil wir ein paar Tage nach Santiago bzw. Valparaiso fahren werden. Da habe ich dann eine Auszeit von der Latino Welt.
Das war eine ereignisreiche Woche und ich hoffe, dass, wenn ich dann wieder fit bin, der Urlaub richtig beginnt.
Liebe Grüße
eure Susi
PS: Carlo macht jetzt übrigens seine ersten Krabbelversuche. Zwei Schritte hat er schon geschafft.