Resumé von zwei Monaten Besuch der chilenischen Schwiegermutter
Heute schreibe ich mal nicht so sehr von Carlo, sondern eher von meinem persönlichen Fazit der zwei Monate mit meiner chilenischen Schwiegermama.
Durch unseren Besuch der Schwiegermama aus Chile, die eine ganze Menge festgefahrener Ansichten und Einstellungen hat, ist mir bewusst geworden, wie schwierig Toleranz ist. Insbesondere, wenn das Gegenüber nicht besonders tolerant ist. Und ich glaube, genau das ist die Kunst der Toleranz. Eine für mich erfolgreiche Strategie ist, nicht zu genau über bestimmte Dinge nachzudenken, sie hinzunehmen und einfach mit der Schulter zu zucken, mit dem Wissen es ist nur temporär; und nicht zu versuchen, etwas zu ändern, was sich nicht ändern lässt. Natürlich gibt es Grenzen, die man nicht hinnehmen sollte, aber bei den meisten Dingen klappt es. Und das Wichtigste dabei: Vom Gegenüber nicht das Gleiche zu erwarten. Das ist für mich ein wesentlicher Bestandteil der Toleranz.
Man toleriert etwas, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Dabei kommt mir manchmal die Frage: Was hab ich eigentlich davon? Was habe ich davon, wenn meine Schwiegermutter mir zwei Monate wortwörtlich zur Seite steht, während ich Carlo füttere, stille, ins Bett bringe, trage, schiebe? Was habe ich davon, dass sie mich den ganzen Tag, während mein Freund arbeitet, vollquatscht? Was habe ich davon, ihr zuzuhören und so zu tun als verstehe ich alles, obwohl ich kein Wort verstehe. Warum versteht sie nicht, dass ich ihr Spanisch-Kauderwelsch nicht verstehe und warum versucht sie nicht ernsthaft langsamer zu sprechen? Was habe ich davon, dass sie mir den ganzen Tag Ratschläge gibt, wie ich was besser machen kann oder dass sie mir ihre Theorien vermittelt, warum Carlo welchen Pups quersitzen hat? Was habe ich davon, jedes Jahr teure Flüge zu bezahlen, um nach Chile zu fahren, um Zeit mit der Familie zu verbringen statt den Jahresurlaub für richtige Urlaube zu nutzen?
Eigentlich habe ich nichts davon, könnte man meinen. Zumindest nichts rational Erklärbares. Man könnte sagen: So ist das nun mal mit der buckeligen Verwandtschaft. Sie machen nichts als Ärger und Stress. Eine Freundin der Familie beklagt das öfter. Sie sagt: „Ich gebe mir so viel Mühe“ (ob das stimmt, sei dahin gestellt) „...und was habe ich davon? Die Chilenen gucken noch nicht mal dankbar oder versuchen uns zu verstehen oder etwas für uns zu tun.“ Sie denkt, sie sind undankbar, weil keine Gegenleistung und kein Verständnis kommt. Aber die „Gegenleistung“ kommt auf andere Weise, die sie nicht sieht. Sie haben ihre eigene Art, die man sieht, wenn man sie kennt. Abgesehen davon, gibt es zumindest für mich andere schöne Effekte.
Angenommen, wir würden das alles nicht auf uns nehmen. Die Verbindung meines Freundes zu seiner Familie würde sich ganz wesentlich verschlechtern. Sie würden nicht mehr so sehr mitfiebern und wären nicht so neugierig auf unser Leben hier in Deutschland. Meinem Freund ginge es damit sehr schlecht, da er sowieso oft zwischen beiden Ländern hängt. Carlo hätte als Ergebnis einen zwiegespaltenen Papa und eine chilenische Familie, die zwar existiert, zu der er aber keine richtige Verbindung hätte. Ich habe schon öfter die angespannte Situation zwischen (Schwieger)-Mamas und Enkeln erlebt, weil jeder auf seinem Standpunkt klebt und für mich entschieden, dass ich das nicht möchte. Daher beiße ich lieber die Zähne zusammen und lasse meine Schwiegerfamilie näher an mich herankommen, als ich das eigentlich möchte. Mein Trick dabei: Nicht darüber nachdenken! Bald ist sie wieder weg und das ganze Vergangenheit. Es sind immer nur ein paar Wochen. So sind alle glücklich und solange ich das Ganze mit ganz viel Humor nehme, ist das in Ordnung.
Als Beispiel: Was bringt es meiner Schwiegermama ständig vorzuhalten, dass sie Carlo nicht ständig hinsetzen soll, obwohl er es selbst noch nicht kann? Ich hatte es ein oder zweimal gesagt, aber sie macht es trotzdem ständig, auch weil sie keine Kraft hat, ihn ständig zu tragen. Wenn ich darauf bestehen würde, immer und immer wieder, würde sie unsicher werden und sich beobachtet fühlen und die Stimmung würde kippen. Carlo wird durch ein bisschen sitzen sicher keinen Schaden davon tragen, denn es ist nur eine sehr begrenzte Zeit. Andere Kinder sitzen immer und werden auch groß. Aber eine angespannte und unangenehme Atmosphäre würde Carlo viel mehr negativ beeinflussen.
Am schwersten ist mir das "Hinnehmen" bezüglich ihrer nicht vorhandenen Grenze an Intimität (Zugucken beim Stillen), und ihrer Engstirnigkeit bzgl. der Tauftorte, die unbedingt blau-weiß hätte sein müssen, gefallen. Ihr Wahn immer alles immer blitzeblank zu putzen und jeden einzelnen Sabbertropfen von Carlo wegwischen zu wollen, war auch nicht einfach zu ertragen. Oder das: „CARLITO, QUE PASOOOO?? POR QUE ESTAS ENOJADOOO????“ (Carlo was ist los? Wieso ärgerst du dich?) wenn er auch nur einen klitzekleinen Mucks von sich gegeben hat.
Aber ab heute ist das vorbei und je näher dieser Moment rückt, desto komischer sind meine Gefühle. Ich freue mich sehr darauf wieder ein eigenes Leben und auch wieder eine normale Beziehung mit meinem Freund führen zu dürfen. Das lernt man dadurch zu schätzen. Gleichzeitig bin ich aber auch traurig, dass sie morgen fährt. Denn alles in allem war es eine schöne Zeit. Ich konnte endlich mal wieder ausgehen, ich konnte mit meinem Freund alleine ausgehen und ich konnte viele Dinge für mich alleine tun.
Und das Allerwichtigste: Carlo hat seine Oma kennen und lieben gelernt und es bricht mir schon ein bisschen das Herz, dass er sie ab morgen ganz sicher sehr doll vermissen wird.
Was die Toleranz angeht, haben sich wieder die schlauen Worte einer Freundin bestätigt, die da sagte: Wie soll auf der Welt Frieden herrschen, wenn innerhalb einer Familie das Tolerant-Sein schon so schwierig ist?
Ab nächste Woche dann wieder Berichte über Carlo, der schon fleißig übt seinen Popo zu heben, um los zu krabbeln.
Eure Susi