Ich vermisse meinen Vater und feiere das Leben.
Vor vier Jahren feiern wir ein letztes Mal Geburtstag. Eine gute Woche später stellen die behandelnden Ärzte fest, dass der verdammte Krebs im Körper meines Papas eine fette Party feiert. Dieses Mal ist niemand mehr optimistisch. Die beste Prognose liegt bei noch einem Jahr. Weitere sechs Wochen später stehe ich früh morgens im Pyjama neben meinem Papa im Hospiz. Ich war nur kurz eingenickt, die Kerzen flackern, draußen geht gerade die Sonne auf. Eine Stunde zuvor atmete er noch. Jetzt ist er tot. Mir ist eiskalt, Tränen laufen über mein Gesicht, während ich seine Hand streichele und verzweifelt daran denke, dass ich nie wieder seine Stimme hören, nie wieder seine Nummer wählen, nie wieder seinen Rat einholen werde. Ich öffne das Fenster, damit seine Seele den Raum verlassen kann und nehme Abschied. Dann wappne ich mich für alles, was nun kommt und verlasse das gemütliche Zimmer, in dem wir die letzte Zeit verbracht haben. Ich sage dem Frühdienst Bescheid, trete danach hinaus in den neuen Tag, laufe auf den kleinen Hügel in die Morgensonne und rufe meinen Bruder an: „Papa ist tot.“
In diesem Jahr singe ich mit Smilla zusammen Happy Birthday. „Für wen ist es?“, fragt sie. „Für meinen Papa“, erkläre ich. „Er ist leider nicht mehr da.“
Exakt ein Jahr nach dem Morgen im Hospiz kommt Smilla zur Welt. Todestag und Geburtstag sind seither eins. Und die Zeit zwischen Ende März und Mai fühlt sich jedes Jahr seltsam an; nach Abschied und Ankunft, die schlimmste und die beste Zeit, Trauer und Freude als Einheit.
Die meisten Geburtstage in unserer Familie fallen in die erste Jahreshälfte. Geburtstag ist für mich schon immer ein besonderer Tag. Das möchte ich auch unseren Kindern weitergeben. Und so gehören Geburtstagstisch, Blumen, Kuchen, Deko und ein Ständchen ebenso zum Programm, wie eine Party und ein lustiger Ausflug. Wenn Jeppe in weniger als einem Monat ein Jahr alt wird, werden wir das gebührend feiern. Und Smillas spezieller Tag wenige Wochen später ist schon eine ganze Weile ein Thema. Ich wusste nicht, wie schwierig es offenbar ist, eine Drei mit den Fingern zu zeigen. So wie es aussieht, ist es überaus schwer. Auf den Kuchen sollen Smarties als Verzierung und zur Party kommen nach Möglichkeit alle großen und kleine Freunde, am liebsten wirklich alle. Mal sehen…
Mein Vater war immer derjenige, der als erstes gratulierte. Schon, als ich längst ausgezogen war, schickte er mir kurz nach Mitternacht eine kurze Nachricht auf mein Handy, um dann am Morgen anzurufen, und spätestens am darauffolgenden Wochenende vorbei zu kommen. Jedes Jahr schaue ich auf mein Display und weiß, dass diese Nachricht mich niemals wieder erreichen wird.
Aber ich werde Smilla und Jeppe Nachrichten schicken. Und wer weiß, vielleicht gibt es ja ganz andere Erinnerungen, die ihnen später wichtig sind. Jedes Jahr zu ihren Geburtstaggen schreibe ich einen Brief, und lege diesen in ihre jeweiligen Erinnerungskisten. Es ist meine Liebe auf buntem Papier, die sie lesen können, wenn sie älter sind.
Keine Ahnung, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, ein Jenseits, oder eine höhere Macht. Als ich das Fenster an jenem Morgen öffnete, um meinen Papa gehen zu lassen, kam ich mir ungeheuer esoterisch vor. Und doch erschien es mir die einzig logische Handlung zu sein. Später erfuhr ich, dass auch das Fachpersonal genauso verfährt.
Leben kommt und Leben geht. Smilla und Jeppe sind zauberhaft und erhellen jeden dunklen Tag. Irgendwann werde ich ihnen von ihrem Opa erzählen, den sie nie kennenlernen durften und der viel zu früh starb. Und immer, wenn die Forsythien gelb erblühen und die ersten Blätter die noch kahlen Bäume schmücken ist wieder sein Geburtstag.
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