Sich aufs Stillen vorbereiten?
Theresa ist Ende dreißig, lebt in einem kleinen Ort bei Göttingen mit ihrem Mann Stefan, Sohn Theo und Tochter Charlotte. Für sie stand von Beginn der ersten Schwangerschaft an fest, dass sie stillen wollte. Das habe nie außer Frage gestanden, sagt sie. Wenn es nicht funktionieren würde, hätte die Natur es nicht so vorgesehen, ist die junge Mutter überzeugt. „Allerdings habe ich mich ganz bewusst nur über das Wichtigste informiert und mich dazu entschieden, auf mein Bauchgefühl zu hören“, erklärt sie auf die Frage, ob und wie sie sich aufs Stillen vorbereitet habe. Theresa ist eigentlich ein Mensch, der Dinge gerne plant. Sie arbeitet in einer Werbeagentur, da ist strukturiertes Arbeiten bei der täglichen Flut an Aufträgen das A und O. Das Thema Stillen nahm in der ersten Zeit ihrer Schwangerschaft jedoch keinen allzu großen Raum ein. „Auch im Nachhinein denke ich, dass man sich nicht zu verrückt machen sollte“, sagt sie.
„Hör auf dich!“, lautet der Rat der Hebamme
Aus gesundheitlichen Gründen rieten die Ärzte dann zu einem Kaiserschnitt, und Theresa beschäftigte nun die Frage, ob sie trotz eines Kaiserschnitts ihr Baby direkt in die Arme würde schließen und stillen können. Ihre Hebamme, die sie von Anfang begleitete und ihr bei der Geburt als Beleghebamme zur Seite stand, konnte sie beruhigen: „Nach der Geburt bleibt das Baby bei dir, sodass ihr euch gleich beschnuppern und kennenlernen könnt.“ „Und so war es auch, dafür bin ich heute noch sehr dankbar", sagt Theresa. „Für mich war es sehr wichtig zu wissen, ob die Klinik mir das Bonding direkt nach der Geburt ermöglichen würde. Das hat mich lange beschäftigt.“
Theo war in Sachen Trinken ein absolutes Bilderbuch-Baby: Kaum hatte er das Licht der Welt erblickt, arbeitete er sich schon in Richtung Brustwarze und legte los. „Meine Hebamme war begeistert, dass Theo gleich so gut trank. Sie hat mir von Anfang an das Gefühl gegeben, alles richtig zu machen“, erinnert sich Theresa. Dieses positive Gefühl habe sie in der gesamten Stillzeit begleitet. Die Beziehung zu ihrer Hebamme war sehr eng. Sie hat Theresa die gesamte Schwangerschaft, unter der Geburt und auch im Wochenbett darin bestärkt, ihre Intuitionen ernst zu nehmen: „Hör auf dich!“, lautete ihr Rat. „Statt mit erhobenem Zeigefinger Ratschläge zu geben, zeigte sie mir Wege auf und half mir im Gespräch, meine Gedanken zu ordnen und meinen individuellen Weg zu finden.“
Buchtipp - Intuitives Stillen
Wenn Mütter auf ihre Intuition hören und ihrem Baby vertrauen, kann Stillen einfach sein. Neben einer Stillhaltung, die mit der Schwerkraft arbeitet, setzt das „Intuitive Stillen“ auf die angeborenen Reflexe des Babys und das naturgegebene „richtige Gefühl“ der Mutter. Auf diese Art lassen sich Stillprobleme fast immer vermeiden.
Regine Gresens, Kösel Verlag 2016, 15,99 Euro, ISBN 978-3-466-31061-6
Besser früh als zu spät Hilfe bei einer Stillberaterin suchen
Die erste Zeit lief alles wie am Schnürchen. Theo war ein gieriger Trinker: In kürzester Zeit schaffte er es, sich satt zu trinken. „Die ersten vier Wochen ging alles gut. Theo entwickelte sich prächtig, er nahm kräftig zu und war stets gut gelaunt. Zum Stilltreff im Krankenhaus ging ich dann hauptsächlich, um andere Mütter kennenzulernen und um ein paar Fragen zu klären, nichts Weltbewegendes.“ Auf viele Fragen, die sie hatte, bekam sie Antworten von stillenden Müttern, aber auch von der die Stillrunde betreuenden Stillberaterin.
Entwicklungsschub: Wenn das Baby ganz oft trinken möchte
Doch mit der Zeit, etwa zehn Wochen nach der Geburt ihres Sohnes, verspürte Theresa heftige Schmerzen an ihren Brustwarzen, sobald sie Theo anlegte. „Das Trinken an sich fühlte sich gut an. Wenn er erst einmal angedockt hatte, ließ der Schmerz schnell nach.“ Manchmal gab es Tage, an denen Theo aber alle anderthalb Stunden an die Brust wollte. „Das ist ein ganz normales Verhalten des Kindes. Gerade bei einem Entwicklungsschub will der Säugling häufig in kurzen Abständen an die Brust“, erklärt Regine Gresens, Hebamme und Still- und Laktationsberaterin IBCLC aus Hamburg.
Doch der Schmerz nahm mit jedem Anlegen zu. Theresa suchte Rat bei der Stillberaterin der Klinik. „Es dauerte einige Zeit, bis ich eine Lösung fand. Die erste Idee: ein Schnuller für Theo, um meine Brust zu entlasten.“ Doch Fehlanzeige – Theo lehnte die Attrappe ab, er konnte sehr wohl Mamas Brust vom Schnuller unterscheiden. Das war also nicht die Lösung.
Stillproblem: Darüber reden und sich helfen lassen
Theresa hat es sehr geholfen, über ihr Problem zu sprechen. Von anderen Müttern zu hören, was ihnen geholfen hat. „Klar, es gibt immer Menschen, die dich und deine besondere Situation nicht verstehen und dich fragen: ‚Warum tust du dir das noch an?‘“ Natürlich brachte das Theresa ins Grübeln. Das Resultat: „Ich habe mich ganz bewusst noch einmal fürs Stillen entschieden.“ Aufzuhören war für sie keine Alternative. Zu intensiv war das Gefühl, dass das Stillen sich dennoch richtig anfühlte.
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Stillen: Muttermilch ist viel mehr als nur Ernährung
Für solch eine Entscheidung braucht es Optimismus und Mut – und Menschen, die einem Mut zusprechen. Die hatte Theresa: Ihr Mann und ihre Mutter waren ihr eine große Stütze. „Stefan hat mir Zuversicht gegeben, an mich geglaubt, mich nie unter Druck gesetzt. Er hat mich entlastet, wo es nur ging und liebevoll umsorgt. Bei jeder Stillmahlzeit brachte er mir eine Kleinigkeit zum Essen und ein Getränk.“ „Letztlich“, war seine Meinung, „musst du die Entscheidung treffen. Ich trage sie mit.“
Wenn das Baby während der Stillmahlzeit einschläft
Theresa blieb dran, ließ nicht locker und suchte wieder die Stillberaterin auf. Sie empfahl, abends Muttermilch abzupumpen und Theo diese im Fläschchen zu geben, um die Brust vorerst etwas zu schonen. Würde sie den Rat befolgen, bedeutete das auch, Theo seine liebgewonnene Angewohnheit, abends beim Stillen an der Brust einzuschlafen, zu nehmen. „An diesen Gedanken musste ich mich erst einmal gewöhnen“, erinnert sich Theresa. Die Stillberaterin machte ihr Mut, Theo von ihrem Mann füttern zu lassen. „Theo war nicht gerade begeistert, im Gegenteil: Er war enttäuscht und wütend“, erzählt Theresa. Und natürlich habe sie sich gefragt: „Machen wir alles richtig?“ Auch wenn es schwer war: Die Schmerzen ließen nach, es fühlte sich richtig an.
Eine tiefe Mutter-Kind-Bindung ist ein unerschöpflicher Kraftquell
Im Nachhinein sind Theresa und ihr Mann froh, die zweiwöchige Durststrecke zu dritt gemeistert zu haben. Auch dank ihrer Mutter und ihren beiden Freundinnen, die sie mit ihrem „Mach weiter, du machst alles richtig“ ermutigten. Theresas Fazit: „Auch wenn es mir schwerfiel, das Fläschchen zu geben: Es war in dieser Situation die einzige Möglichkeit, unsere Stillbeziehung aufrechtzuerhalten.“
Was gab ihr die Kraft, ihren Weg weiterzugehen und nach einer Lösung zu suchen? „Dieser Augenblick, als Theo das erste Mal angelegt wurde, war das, was mich durchhalten ließ. Sein genüssliches Schmatzen, seine suchenden Blicke, sein friedliches Schlafen – all das hat mich alles andere vergessen lassen.“ „Das meiste“, fügt Theresa nach kurzem Überlegen hinzu, „macht man als Mutter intuitiv richtig. Und meine Erfahrung hat gezeigt: Wenn man das Gefühl hat, es stimmt etwas nicht: Bleib dran!“
Stillverhalten in Deutschland
Daran, dass Muttermilch die beste Nahrung für Babys ist, gibt es keine Zweifel. Aber wie sieht es in Deutschland mit der Stillrate aus? Wie stehen die Mütter zum Stillen? Das ergab die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (KiGGS Welle 2, 2014 – 2017) des Robert Koch-Instituts:
- 90 % der Mütter beabsichtigen, ihr Kind zu stillen,
- 40 % stillen ihr Kind vier Monate ausschließlich und nur
- 12,5 % geben ihrem Baby volle sechs Monate lang ausschließlich die Brust.
Damit hält sich nur ein Achtel der Mütter am die Empfehlung der WHO, Babys im ersten halben Lebensjahr ausschließlich zu stillen und zusammen mit Beikost bis zum Alter von zwei Jahren oder darüber hinaus. Denn das ist die optimale Ernährung und bietet den besten gesundheitlichen Schutz für dein Kind.
Experten-Interview - Jede Stillbeziehung ist individuell
Expertin
Foto: Sylvana Siebert
Regine Gresens, Jg. 1963, ist Hebamme, Still- und Laktationsberaterin IBCLC. Bis 2014 war sie Beauftragte für Stillen und Ernährung des Deutschen Hebammenverbands (DHV). Sie berät stillende Mütter in ihrer eigenen Praxis in Hamburg www.stillkinder.de
kidsgo: Ist es wichtig für einen guten Stillstart, sich mental aufs Stillen vorzubereiten? Oder macht man sich dadurch zu verrückt?
Regine Gresens: In unserer heutigen Zeit ist eine Vorbereitung wichtig, weil es nicht mehr gang und gäbe ist, dass Kinder gestillt werden. Mütter brauchen Informationen, das heißt aber nicht, dass sie sich im Vorhinein schon mit allen möglichen Stillproblemen und damit, wie man sie lösen kann, befassen sollten. Viel wichtiger ist, dass sie wissen: Was ist normal? Und was kann das Stillen beeinflussen? Eine gute Grundeinstellung ist: „Ich werde stillen.“ Bei einem: „Ich will es versuchen“ hingegen schwingt schon Zweifel mit, ob es denn wirklich klappen wird. Ich empfehle auch, im Freundes- oder Verwandtenkreis Vorbilder zu suchen, also Mütter, die erfolgreich stillen oder gestillt haben, zu befragen oder stillende Mütter zu beobachten. So stellt sich ein Vertrauen ins Baby, in den eigenen Körper und in die Fähigkeit zu stillen ein.
kidsgo: Stilltreffs sind doch bestimmt auch eine gute Alternative ...
Regine Gresens: Ja, natürlich. Hat man keine stillenden Mütter im eigenen Umfeld, rate ich durchaus schon in der Schwangerschaft zum Besuch von Stillgruppen, z.B. von der Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen (AFS), der La Leche Liga (LLL) oder von Stilltreffs in einer Klinik oder Hebammenpraxis.
kidsgo: „Intuitives Stillen“ heißt Ihr neues Buch, das im Herbst letzten Jahres erschienen ist. Was genau meinen Sie damit?
Regine Gresens: Ob wir es Intuition, Herz- oder Bauchgefühl nennen: Ich meine damit, dass Mütter im Verlauf der Stillzeit immer auf ihr Gefühl und auf ihr Baby achten sollten. Jede Stillbeziehung ist eine individuelle Geschichte zwischen der Mutter und ihrem Baby. Orientieren sich die stillenden Mütter an Aussagen anderer, kann das die Beziehung beeinträchtigen und dazu führen, dass sich das Stillen nicht gut anfühlt. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass die Frauen sich davon frei machen, aber auch den Anteil des Kindes an der Stillbeziehung erkennen und schätzen. Kinder kommen ja mit angeborenen Reflexen zur Welt, sie können und wollen saugen. Das Baby steuert den Rhythmus und kann, wenn es auf der Mutter liegt, selbst andocken.
kidsgo: Zu Ihnen kommen viele Mütter mit Stillproblemen. Gibt es Ihrer Erfahrung nach etwas, was sie verbindet?
Regine Gresens: Viele Frauen, die zu mir kommen, haben gemeinsam, dass sie stillen wollen, aber ungünstige Startbedingungen hatten. Falsche Ratschläge, eine verkehrte Anleitung, eine komplizierte Schwangerschaft oder Geburt sind einige der Faktoren. Und: Sie alle haben lange rumgedoktert, haben alles Mögliche ausprobiert, selbst recherchiert. Manches hat vielleicht ein bisschen geholfen, aber es war nicht die Lösung. Meist holen sie sich erst sehr spät professionelle Hilfe. Dann, wenn sie kurz vorm Aufgeben sind. Mein Rat: Nicht zu lange warten, sondern frühzeitig kompetente Hilfe suchen!
kidsgo: Aber wie können Mütter einen guten von einem falschen Rat unterscheiden?
Regine Gresens: Ob das richtig ist, was jemand als Lösung vorschlägt, merken die Frauen dann, wenn die Maßnahme sich richtig und gut anfühlt. Sie sollte innerhalb kurzer Zeit zu einer deutlichen Verbesserung führen.
kidsgo: Was können Mütter tun, damit es erst gar nicht zu Stillproblemen kommt?
Regine Gresens: Ausschließen lässt es sich nicht. In meinen Geburtsvorbereitungskursen gebe ich den Schwangeren als wichtigste Botschaft mit: Wenn das Stillen wehtut, nehmt die Schmerzen ernst! Sie sind immer ein Warnsignal.
kidsgo: Wie wichtig ist die Unterstützung des Partners? Wie kann er zu einer glücklichen Stillbeziehung beitragen?
Regine Gresens: Der Partner ist enorm wichtig für die junge Mutter. Er ist der wichtigste Unterstützer, das zeigen auch Ergebnisse aus der Forschung. Gut ist es, die Väter über die Vorteile des Stillens und das Verhalten des Kindes zu informieren. Wunderbar finde ich, wenn die Männer bei einem Problem mit dem Stillen die Initiative ergreifen, sagen: „So geht‘s nicht weiter, jetzt mache ich einen Termin!“, und eine Stillberaterin anrufen. Männer sind da pragmatischer, und das ist dann in dieser Situation oft auch genau richtig.
Frau Gresens, vielen Dank für das Gespräch!