Wird Anton jemals "Mama" sagen?
Mit der sprachlichen Förderung kann man bestimmt nicht früh genug anfangen, oder? Denn jeder Ratgeber gibt den Hinweis, möglichst zeitig mit dem Vorlesen zu beginnen. Um ein Ritual zu schaffen und – noch wichtiger – den kindlichen Wortschatz vielfältig zu prägen. Ich halte mich natürlich daran und lese abwechselnd „meine liebsten Gute-Nacht-Geschichten“, „Bauernhoftiere“ und manchmal auch den Roman, den ich gerade selbst lese: Kaiserschmarrn-Drama von Rita Falk. Manchmal hört Anton lange gebannt zu, – besonders dann, wenn ich mir Mühe mit der Tonfarbe gebe. Denn klar, die Babys freuen sich, wenn sich die Stimme hebt und senkt. Ob er irgendwas mit den Worten anfangen kann?
Ich halte nichts von Babysprache und habe kein einziges verniedlichendes Wort in meinen Wortschatz aufgenommen. Es gibt bei uns kein „Jam-Jam“ beim Essen und kein „Duzzi-Duzzi“ beim Spielen. Ich spreche mit Anton in ganzen Sätzen und über alles, was mir im Alltag so unterkommt. Deswegen hört mein Sohn Tausende Wörter am Tag. Denn wir besprechen die Objekte im Garten, während wir durch das Gras laufen. Ich erzähle ihm von all den Farben in der Natur und benenne alle Tiere, die mir einfallen, die derzeit Winterschlaf halten. Ich bespreche mit Anton wirklich alles. Willi findet das befremdlich. Und meint, dass Anton nichts damit anfangen kann, wenn ich ihm nach der Liste der Kräuter in meinem Tee auch noch den Unterschied zwischen heiß, warm und lauwarm erkläre.
Ich halte daran fest. Bin aber trotzdem immer wieder ein bisschen beleidigt, wenn ich mitbekomme, dass Anton auf einfaches Männer-Gegrunze von Willi spätabends noch mit einem quirligen Giggeln reagiert und meine Ausführungen zum Filterwechsel beim Staubsauger keinerlei Reaktion hervorbrachte.
Und außerdem frage mich schon, ob es einen Grund gibt, warum so viele junge Mütter mit ihren Kindern Wortneuschöpfungen kreieren. Fällt den kleinen Würmern mit „einfacheren“ Worten das Kommunizieren leichter? Können sie damit früher in die Welt der Sprache eintauchen?
Doch da gibt es noch eine "Sorge", die mich umtreibt:
Welches wird wohl sein erstes Wort sein? Vermutlich „Mama“, richtig? Denn das ist wahrscheinlich bei nahezu allen Kindern das erste Wort, über das die Eltern entzückt die Hände über den Kopf schlagen. Dafür muss er diese vier Buchstaben aber ja erstens öfter hören und zweitens irgendwie eine Verlinkung zu mir herstellen. Oder? Ich bin mir mittlerweile sicher, dass Toni das Wort „Bienenhotel“ häufiger gehört hat als „Mama“.
Denn ich bin "ich". Ich benenne mich selbst nicht als "Mama". Und ich tue einen Teufel und rede über mich in der dritten Person. Demnach fallen Sätze zur Raubtierfütterung wie „Anton, ich bringe dir gleich deinen Pastinakenbrei.“ Die Abwandlung: „Mama bringt dir gleich den Brei“ hört sich für mich total affig an. Wieso soll ich denn als Erzähler aus der hinteren Reihe die Situation beschreiben und mich plötzlich in der dritten Person benennen?
Denkt mein Kind also, dass das Wort „ich“ für seine Mama steht?
Und ja, auch Willi nennt mich nicht plötzlich „Mama“ vor unserem Sohn. Warum auch? Für ihn bin ich „du“. Oder „Maike“ oder „Schatz“. Und ja, er sagt schon mal „Anton, deine Mama bringt dir gleich den Brei.“ Aber Butter bei die Fische … Meistens hat Anton den Brei lange vor Willis Ankunft zu Hause gegessen. Also hört Toni das Wort "Mama" eigentlich nie.
Welches Wort wird es also sein? Wird Platz 1 etwa von „Papa“ belegt sein? Oder „Brei“? Kann ich das bestimmen oder wird es aus einer wundersamen Fügung heraus immer irgendwie „Mama“ sein? Ich zerbreche mir den Kopf darüber, während ich Anton schlafend betrachte. Ich bin so gespannt, ob du eloquent oder wortkarg sein wirst, Anton. Ob du viele Worte brauchst oder mit wenigen Sätzen trotzdem den richtigen Ton triffst. Ob du in Diskussionen immer gut argumentieren wirst, oder ob einfach deine Blicke Ausdruck genug sein werden? Fest steht: Es wird keine Babysprache bei uns geben. Heute nicht und morgen auch nicht. Dann spricht er eben später. So.
Aber wer jetzt glaubt, dass ich hier dieses Erwachsenen-Ding bis zum Schluss durchziehe, der hat sich gewaltig geirrt. Denn wer quittiert jede Bewegung beim Babyschwimmen mit einem lauten „Huuuiiii“? Und quietscht entzückt, wenn sie Anton in einem zuckersüßen Walkanzug sieht? Und wer benennt sein Baby täglich mit den kitschigsten Kosenamen à la Spatzi, Spätzchen, Bärchen, Hase? Ja, ich. Oder äh … Ja, die „MAMA“. Ach Gott, er wird’s schon irgendwann lernen.
Bis nächste Woche
Maike