Resümee der zwei Monate in Chile im Haus ohne Türen mit meiner Schwiegermutter, der Schwester meines Freundes, meines Freundes, Carlo, mir und dem Hund Pitufa
Das Zusammenleben
Das gemeinsame Leben unter einem Dach in einem Haus fast ohne Türen mit fünf Personen und einem Hund hat erstaunlich gut funktioniert. Zumindest die meiste Zeit. Die Mutter, eine Hausfrau durch und durch, war tagein tagaus damit beschäftigt, zu waschen, zu kochen, zu spülen, zu putzen und Carlo zu bespaßen und sich vom Hund und ihren Kindern verrückt machen zu lassen.
Die Schwester, eine kleine Diva, war tagein, tagaus arbeiten und abends in der Uni.
Ich war tagein, tagaus damit beschäftigt Carlo zu bespaßen und das Haus zu verlassen.
Und mein Freund war tagein, tagaus damit beschäftigt möglichst viele Freunde wieder zu sehen, es allen recht zu machen. Während der Zeit mit meinen Eltern organisierte er tagein, tagaus ein Sightseeing Programm für uns.
Jeder hatte seine täglichen Herausforderungen und öfter haben wir auch etwas gemeinsam unternommen. Jeder für seinen Teil hat immer mal etwas vermisst. Die Schwester ihre Mama, die sie nun teilen musste, mein Freund die Ruhe, zu der er nie richtig kam, die Mutter ihre Ruhe, und ich die Kommunikation mit meinem Freund in deutscher Sprache. So kam es immer mal wieder vor, dass die Stimmung explodierte. Hätte es Türen gegeben, wäre wohl öfters mal eine zu Bruch gegangen.
Meine Schwiegerfamilie ist ständig damit beschäftigt, dass nach außen alles perfekt wirkt. Das macht es nicht einfacher. Pragmatismus ist dort ein Fremdwort und unglücklicherweise meine Lebensweise. Dennoch, für die Länge und Enge haben wir die Zeit ganz gut herumgekriegt. Der einzige, der die Zeit uneingeschränkt genossen hat war Carlo. Er liebte den Trubel, die ständige Aufmerksamkeit und den Hund.
Der Besuch
In der zweiten Woche hatten wir eine Woche Besuch von einem Arbeitskollegen meines Freundes, der dann auch mit bei uns wohnte. Meine Eltern waren drei Wochen da, in einem Appartment in der Nähe und in der vorletzten Woche war noch ein Freund aus Deutschland zu Besuch. Diese Besuche haben mich, neben diesem Tagebuch (danke an kidsgo) ein wenig gerettet, denn sie waren mein einziger Kontakt zur Außenwelt und mein "Mülleimer". Telefonieren habe ich nie geschafft. Jedenfalls konnte ich mich bei ihnen ordentlich ausko**en und so ungünstige Energien des Zusammenlebens loswerden. Das Wichtigste: Alle Besucher waren hellauf begeistert von Chile bzw. von der Stadt Arica, nicht zuletzt weil mein Freund sich super um sie kümmerte und ihnen ordentlich Programm bot.
Carlo
Carlo fand es toll in Chile! Er wurde sehr lebendig und der ganze Trubel gefiel ihm. In Deutschland würde man von kontinuierlicher Überreizung sprechen, aber temporär ist das verkraftbar und Carlo hat dort richtig brabbeln gelernt und bis heute tanzt er nur zu lateinamerikanischer Musik und HipHop. Deutsches Radio ruft bei ihm keinerlei Reaktion hervor.
Zeitweise war es ein harter Kampf komisches Essen wie Chemiebombenjoghurts von ihm fernzuhalten, aber alles in allem hat die Familie unsere Wünsche bzgl. Ernährung toleriert. Zuletzt mussten wir auch mal Sprüche einstecken, aber sie waren sicher nicht böse gemeint.
Ich lernte während der Zeit in Chile, mein Hirn bzgl. möglicher Gift- und Schadstoffe in allen möglichen Produkten auszuschalten. Wenn man ständig Bedenken äußert, macht man sich nicht unbedingt beliebt und letztendlich weiß man nie was wo in welcher Menge drin ist. Außerdem stößt man auf taube Ohren. Und ich habe in Chile schätzen gelernt, was man in Deutschland geboten bekommt.
Meine Schwiegermutter missbilligte insgeheim einige Umgangsweisen mit Carlo unsererseits. Sie mochte es nicht, wenn er einen Fleck auf dem Hemdchen hatte, wenn er gegessen hatte oder er mit den Fingern in Essen matschte. Manchmal habe ich ihn nackt ausgezogen und ihn selbst essen lassen. Ein Alptraum für sie. haha. Aber sie konnte auch darüber lachen.
Sie hasste es auch, wenn wir ihn mal länger quengeln lassen haben. Mitunter stand sie nachts auf einmal neben uns und fragte was wir mit Carlo anstellen. Wenn ich jetzt daran denke muss ich lachen. Vor Ort hätte ich sie am liebsten vor die Tür gesetzt. Aber es gab ja keine. Umso mehr freute sie sich immer, wenn sie mal einen ganzen Tag auf Carlo aufpassen durfte und alles so machen konnte wie sie es mag. ;-) Dennoch hält sie uns natürlich nicht für schlechte Eltern.
Partnerschaft
Meine Erwartung war, dass mein Freund und ich in Chile endlich mal wieder zu zweit Zeit verbringen würden. Leider traf genau das Gegenteil zu. Wir waren insgesamt zwei Mal abends aus. Das waren die einzigen Momente, in denen wir ungestört unter vier Augen reden konnten. Ohne diese beiden Male wären wir wahrscheinlich als getrenntes Paar zurückgekehrt. Im Haus meiner Schwiegermutter konnten wir nicht in Ruhe reden. Wenn ich mal etwas auf Deutsch zu ihm sagte, kam gleich die Nachfrage, was ich gesagt hätte und auf spanisch fehlen mir die Kenntnisse. Abends waren wir meist zu müde oder mein Freund war unterwegs. Hinzu kam, dass meine Sprachkenntnisse nicht ausreichten, um die Gespräche zu verstehen. Das ständige Nachfragen bei meinem Freund, was denn jetzt die Agenda sei, fiel ihm auch irgendwann auf den Geist. Er musste ständig die Verantwortung für alle übernehmen und oft den Vermittler spielen.
In der letzten Woche habe wir es dann geschafft uns so laut zu streiten, dass die ganze Straße zuhören konnte. Peinlich, peinlich. Jedenfalls bestand die letzte Woche nur aus Warten auf die Abreise. Beladen mit einem großen Rucksack Gesprächsbedarf sind wir dann letzten Sonntag in Deutschland angekommen. Ich war fast überzeugt, dass wir es nie wieder schaffen uns zusammen zu raufen, weil wir uns sehr voneinander entfernt hatten. Der Spagat zwischen den Kulturen ist doch sehr schwer. Erst recht für meinen Freund , der ständig damit beschäftigt war, das Tun seiner Mutter vor mir zu rechtfertigen und zu verteidigen und andersherum.
Inzwischen haben wir mehrere Abende mit Reden verbracht und haben nun endlich wieder zueinandergefunden und in Spitzenteamarbeit eine schlichte Geburtstagsparty für Carlo organisiert.
Zukunft und zur Zeit
Sollten wir noch einmal für so eine lange Zeit nach Chile reisen, so werden wir uns ein eigenes Apartment mieten. Zwei Monate waren einfach zu lang, um zu fünft unter einem Dach zu leben. Ich bin sehr glücklich wieder zu Hause zu sein, wobei mich die Dunkelheit und der Regen schon nerven. Dafür freue ich mich auf meine neue Arbeit.
Carlo hat sich super eingelebt und ist bestens gelaunt. Wenn wir allerdings mit den Chilenen skypen, versucht er immer in den Bildschirm zu krabbeln, um zu seiner Oma zu gelangen. Das bricht mir das Herz. Er hat sie sehr ins Herz geschlossen und jedes mal, wenn er ihre Stimme hört, fängt er an zu lächeln.
Die letzten Worte meiner Schwiegermutter am Flughafen waren: "Und wenn ich das nächste Mal nach Deutschland zu Besuch komme, dann für ein halbes Jahr!"
In diesem Sinne.
Eure Susi
PS: Danke an gutmarkiert für den Gutschein. In der letzten Woche meiner Elternzeit, werde ich mich mit dem vielfältigen Angebot beschäftigen und schauen was ich noch markieren muss, damit Carlo seine Klamotten bei der Tagesmutter nicht verliert.
Bild: privat