Geburt früher und heute: Auf die innere Stimme hören
„Herzchen, hab man keine Sorgen, das machen wir schon, drin geblieben ist bei uns noch keins“, Henriette W. (82) lacht in der Erinnerung an diese recht deftigen Worte, mit denen eine nicht mehr ganz junge und offensichtlich etwas „rustikale“ Hebamme aus dem Sauerländischen ihr vor 53 Jahren die Angst vor der Geburt nehmen wollte. 1954 brachte sie in einer Hagener Privatklinik ihre Tochter Elke zur Welt. „Dabei hatte ich überhaupt keine Angst“, erinnert sie sich.
Inzwischen ist aus dem Baby von einst längst eine erwachsene Frau geworden, die zwei Kinder bekommen hat und demnächst zum ersten Mal Großmutter wird. Elkes jüngste Tochter Britta (22) ist im sechsten Monat schwanger und möchte in dieser Runde etwas mehr über die Geburtserlebnisse von Mutter und Oma wissen. „Ihr seid doch heute viel aufgeklärter“, meint Henriette. „Ich wusste gar nicht, was mich erwartet. Eine Nachbarin hatte mir irgendwann gezeigt, was in den Klinikkoffer kommt, das war’s.“ Und die Nachbarin war es auch, die in den vermeintlichen Blähungen die ersten Wehen erkannte. „Ich bin ganz entspannt in die Klinik gegangen, hab mich ein bisschen erschrocken, als die Fruchtblase sich öffnete und unter mir alles nass wurde. Als die Presswehen begannen, die mir damals wie ein ungeheurer Stuhldrang vorkamen, habe ich mir eine Maske mit Lachgas auf die Nase setzen dürfen. Ich kann mich nur noch erinnern, dass irgendwann der Herr Professor persönlich im Raum stand und mir zum strammen Mädel gratulierte.“
Mit ihrer damaligen Unbefangenheit und der absolut unkomplizierten Geburt, begleitet von einer erfahrenen, ein bisschen derben, aber liebevollen Geburtshelferin, bestätigt Henriette, was die Hebamme Ina May Gaskin in ihrem Buch „Die selbstbestimmte Geburt“ beschreibt: „Ängstliche Mütter schütten genau die Hormone aus, die eine Geburt verzögern oder verhindern. Dies gilt für alle Säugetiere und ist von der Natur so vorgesehen. Wenn eine Mutter keine Angst hat, ist es viel wahrscheinlicher, dass sie Hormone im Überfluss produziert, die die Wehen und die Geburt leichter und weniger schmerzhaft – manchmal sogar angenehm machen.“
Die Macht der Hormone
In erster Linie sind das Prostaglandine, Oxytozin, Adrenalin und Endorphine. Diese Hormone spielen bei der Steuerung und dem zeitlichen Ablauf der Gebärmutterkontraktionen während der Wehen und der Geburt eine wesentliche Rolle.
Während die Prostaglandine die Entfaltung der Zervix in der Vorbereitung auf die Wehen bewirken, löst Oxytozin Gebärmutterkontraktionen aus. Adrenalin hingegen kann die Wehen zum Stillstand bringen. „Die Wirkung von Adrenalin sollte nicht unterschätzt werden, besonders in Kliniken, in denen es hektisch zugeht“, sagt Ina May Gaskin und erklärt damit, warum viele Frauen, die mit Wehen ins Krankenhaus fahren, plötzlich keine Wehen mehr haben, wenn sie dort angekommen sind. Das alles hat die Natur weise eingerichtet, und kann einer Antilopenmutter und ihrem ungeborenen Kalb das Leben retten, wenn sie unter der Geburt von einem Raubtier angegriffen wird. Ina May Gaskin: „Ein hoher Adrenalinspiegel beschleunigt den Herzschlag und macht uns stärker, schneller, sodass wir entweder kämpfen oder fliehen können.“ Dieser Effekt kann also eine Geburt durchaus verzögern, wenn eine werdende Mutter beispielsweise auf eine hektische Umgebung oder einen unsensiblen Geburtshelfer reagiert. Für ihren Körper ist Flucht angesagt.
Die Endorphine hingegen sind natürliche Opiate. Gaskin: „Bei großer körperlicher Anstrengung steigt der Endorphinspiegel an, auch dann, wenn uns warm ist, wir uns geliebt und unterstützt fühlen und vor allem, wenn wir keine Angst haben.“ Endorphine, erklärt die Autorin weiter, seien gerade unter der Geburt ein Segen, weil sie das Schmerzempfinden unterdrücken können.
Zurück zu Henriette. Sie hatte Glück. Sie fühlte sich sicher, hatte keine Angst und konnte ihrem Körper vertrauen. Moderne Frauen sind natürlich weit informierter als sie es war, und das ist gut so. Nur wer verschiedene Möglichkeiten miteinander vergleicht, ist in der Lage, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Doch die wurden ihrer Tochter Elke beim ersten Kind komplett abgenommen. „Ich hatte mir eine Wassergeburt vorgestellt und mich mit meinem Mann auch darauf eingestellt.“ Doch alles verlief anders, als geplant. Elke kam gleich ans CTG. Angebliche Unregelmäßigkeiten führten zu einer Hektik, mit der sie nicht gerechnet hatte. „Mit Tropf am Arm und Stress beim Ungeborenen war von Baden und Wasser keine Rede mehr.“ Elke bekam ihr erstes Kind auf dem Rücken liegend und traute sich nicht, den Wunsch nach einem Positionswechsel zu äußern: „Zeitweilig hatte ich den starken Wunsch, auf alle Vieren zu gehen.“
Schade. Gebärende haben ein Gefühl dafür, was ihnen gut tut, wenn man sie lässt. Richard Hirsch, der auf wunderschöne Weise beschreibt, wie seine Frau Bettina die gemeinsame Tochter Sagara im Indischen Ozean zur Welt bringt (www.geburtskanal.de), drückt es so aus: „Jede Schwangerschaft und jede Geburt ist ein so einmaliges Erlebnis, ein solch großes Geheimnis, das nur von den Eltern und am meisten von der Mutter verstanden wird. Sie ist auch die Person, die den engsten Kontakt zum Baby hat und daher auch am sichersten weiß, was für beide gut ist.“
Tiermütter als Vorbild
Was für sie gut war, das konnte Elke beim zweiten Kind leichter durchsetzen: „Britta wurde zu Hause geboren. Zu dem Zeitpunkt war das noch ungewöhnlich, aber ich hatte glücklicherweise eine Hebamme, die mich darin unterstützt hat. Die Nähe der Familie, die eigenen vier Wände, das alles hat mich völlig entspannt. Ich brauchte diesmal kein Schmerzmittel, obwohl ich beim ersten Mal eine PDA hatte. Dafür konnte ich mich wirklich gehen lassen und habe nicht darüber nachgedacht, was andere über mich denken.“
Wie wichtig dieses „Sich gehen lassen“ ist, schildert Ina May Gaskin in ihrem Buch anhand eines eindrucksvollen Beispiels: „Egal wo Sie gebären wollen, …überlassen Sie Ihrer inneren Affenmutter die Führung. Wenn Sie sich während der Wehen auf Ihren inneren Affen verlassen, verhindern Sie, dass sich Ihr hektischer Verstand in die uralte Weisheit Ihres Körpers einmischt.“ Sodann beschreibt die Autorin anschaulich den Unterschied zwischen Affen- und Menschenmüttern. Hier ein paar Beispiele:
- Affenmütter halten technologische Unterstützung beim Gebären für unnötig.
- Affenmütter machen sich keine Sorgen darüber, ob ihr Körper auch richtig funktioniert.
- Affenmütter nehmen während der Wehen die Körperhaltung ein, die für sie am angenehmsten ist, und nicht die Lage, die man ihnen vorschreibt.
- Affenmütter machen sich keine Sorgen darüber, ob sie während der Wehen laut sind, furzen oder Stuhlgang haben.
Nun mag sich nicht jede Schwangere gern als Affenmutter fühlen, eines steht jedoch fest: je mehr sie in sich hinein und auf ihren eigenen Körper hört, je mehr Vertrauen sie in die natürlichen Abläufe einer Geburt entwickeln kann, desto entspannter wird sie sein.
Elke brachte ihre Tochter Britta 1985 zu Hause zur Welt. Während Hausgeburten bis Anfang des 20. Jahrhunderts an der Tagesordnung waren, ging man danach mehr und mehr zur Klinikgeburt über. In den 80er Jahren erlebte die Hausgeburt eine Renaissance. Auch wenn die Zahl im Vergleich zu anderen europäischen Ländern niedrig ist – nur etwa zwei Prozent der Entbindungen fallen in Deutschland auf die außerklinische Geburtshilfe – so wächst doch die Zahl der Frauen, die über Alternativen nachdenken. Dennoch werden auch heute noch weit über 90 Prozent aller Babys in Krankenhäusern geboren. Erfreulicherweise gehört mittlerweile – zumindest auf den Säuglingsstationen – in den meisten Kliniken die Zeit einer unpersönlichen Atmosphäre der Vergangenheit an
Die Hebamme – versierte Hilfe bei der Geburt
Wo immer eine Frau ihr Kind zur Welt bringt, eine Person ist neben dem werdenden Vater, auch emotional, besonders wichtig: Die Hebamme. Henriette und Elke hatten das Glück, eine erfahrene und liebevolle Geburtshelferin an ihrer Seite zu haben.
Die Hebamme („Die Hebende“) begleitet und unterstützt damals wie heute die werdende Mutter mit ihrem Fachwissen in allen Phasen der Geburtsarbeit. Sie untersucht, beobachtet und dokumentiert, wie es ihr und dem Kind geht. Eine gute Hebamme unterstützt das erste Kennen lernen von Mutter und Kind direkt nach der Geburt und ist der Mutter beim Stillen behilflich. Sie übernimmt die erste Vorsorgeuntersuchung beim Kind.
In den ersten zehn Tagen nach einer Geburt hat jede Mutter einen Anspruch auf tägliche Hilfe einer Hebamme. Auch nach der Klinikentlassung erlischt dieser Anspruch nicht und kann sich bis zum Ende des Wochenbettes oder bis zur Abstillzeit verlängern, wenn Probleme auftreten. „Hebamme sein bedeutete früher ein Maß an Mühe und Sorge, wie wir es uns heute nicht mehr vorstellen können“, schreibt die weit über 80-jährige Hebamme Therese Schlundt in ihrem Buch „Geschichten einer Kölner Hebamme“. Kein Fortschritt in der Geburtshilfe, so sagt sie, sei ohne die unermüdliche Arbeit der Hebammen denkbar.
Während früher eine Hebamme fast ausschließlich freiberuflich arbeitete, (1952 waren es in Deutschland noch etwa 12.000, allerdings 1958, also nur sechs Jahre später, nur noch 8.500), sind viele Hebammen heute im Krankenhaus angestellt. Die Arbeit in der Klinik brachte den Hebammen schließlich geregelte Arbeitszeiten, einen gesicherten Monatslohn, und die Altersversicherung. Einige sind aber auch nach wie vor freiberuflich tätig. Manche arbeiten mit Gynäkologen zusammen oder gründen eine Gemeinschaftspraxis mit Kolleginnen. Sie können, wenn sie freiberuflich arbeiten, auch als Beleghebammen auf eigene Rechnung in einer Klinik tätig sein. Hinzu kommt die Arbeit im Geburtshaus. Laut §4 Abs. 1 Sat 2 des HebG (Hebammengesetz) besteht die „Hinzuziehungspflicht einer Hebamme“, das heißt dass ein Arzt nur im Notfall eine Geburt ohne die Anwesenheit einer Hebamme durchführen darf. Umgekehrt ist das nicht so: Eine Hebamme darf eine normale Geburt ganz selbstständig ohne einen Arzt durchführen.
Die Doula – emotionale Unterstützung der Frau
Das veränderte, immer anspruchsvoller gewordene Berufsbild und die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder brachten es mit sich, dass die Hebamme bei der Begleitung der Frau nicht mehr für alles allein zuständig sein kann. Doch wo der Schwangeren oder Wöchnerin früher die Schwester, Mutter, Tante, oftmals auch Frauen aus dem Dorf, hilfreich zur Seite standen, für Essen und Trinken sorgten, sich um die Kinder kümmerten, Trost und Streicheleinheiten spendeten, da gibt es seit einigen Jahren spezielle Frauen, die gemeinsam mit der Hebamme ein perfektes Team bilden. Diese Frauen nennt man „Doulas“.
An diesem Punkt meldet sich die schwangere Britta zu Wort. Sie hat den Berichten von Mutter und Oma aufmerksam zugehört. Noch hat sie zwar nicht entschieden, wo sie ihr Kind zur Welt bringen möchte, aber sie hat schon jetzt einen ganz besonderen Menschen an ihrer Seite. Vor zwei Wochen hat sie ihre „Doula“ kennen gelernt.
Die Aufgabe einer Doula, abgeleitet vom altgriechischen douleia, was so viel bedeutet wie „Dienerin der Frau“, ist es, der Schwangeren die Entbindung so angenehm wie möglich zu machen, sie und ihren Partner zu unterstützen, ohne allerdings medizinisch einzugreifen. Sie handelt ausschließlich im Sinne der werdenden Mutter und versteht sich als emotionale Ergänzung zur Hebamme und dem Klinikpersonal.
Die Betreuung beginnt bereits in der Schwangerschaft. Die Doula spricht mit der werdenden Mutter beziehungsweise den werdenden Eltern über ihre Wünsche und Bedürfnisse rund um die Geburt. Durch die Gespräche und den engen Kontakt entsteht ein echtes Vertrauensverhältnis. Die beruhigende Präsenz einer Doula verbessert erwiesenermaßen die Wehentätigkeit und wirkt sich auf das Schmerzempfinden der Gebärenden aus. Wissenschaftliche Untersuchungen (Klaus, Kennell, Klaus 1993; Hodnet et al., 2003) belegen, dass die Begleitung einer Doula die Kaiserschnittrate um 50 Prozent, die Geburtsdauer um 25 Prozent, die Verabreichung von Wehenmitteln um 40 Prozent und die medikamentöse Schmerzbekämpfung um 30 Prozent reduzierten kann.
Der inneren Stimme folgen
John H. Kennell, einer der Autoren des Buches „Doula. Der neue Weg der Geburtsbegleitung“, bedauert: „Wären die mit einer Doula erzielten Ergebnisse mit einem Medikament oder einem neuen Apparat zu erreichen, dann gäbe es eine ungeheuere Nachfrage nach dieser Neuerung, aber leider entspricht die Doula noch nicht der medizinischen Lehrmeinung.“ Nichtsdestotrotz kann man in letzter Zeit immer mehr über diese Geburtsbegleiterinnen hören, die in Deutschland inzwischen einen eigenen Dachverband haben (doulas-in-deutschland.de).
Es gibt heute viele Möglichkeiten, ein Kind zur Welt zu bringen, individuell und liebevoll umsorgt. Richard Hirsch, der seiner Tochter im Indischen Ozean auf die Welt half, drückt es so aus: „Ratschläge und Informationen sind oft widersprüchlich und nicht immer hilfreich. Nur wenn Sie sich danach besser fühlen, wenn Sie gestärkt und voller Mut sind, fühlen Sie sich frei und sind in der Lage, Ihre eigenen und für Sie persönlich richtigen Entscheidungen zu treffen. Lassen Sie sich nicht verunsichern und vermeiden Sie alles, was Ihnen Angst macht. Fördern und konzentrieren Sie sich hingegen auf alles, woran Sie Freude haben und was Sie aufbaut. Hören Sie auf Ihre eigene innere Stimme, auf Ihre Intuition und auf Ihr Kind.“