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Märchen - Geschichten über die Schwangerschaft

Wer schwanger ist, darf sich wie im Märchen fühlen. Allerdings hat der Weg durch den Zauberwald so seine Tücken. Und wer am Ende den hübschesten Prinzen bekommt, ist noch lange nicht raus. Trotzdem lohnt sich das Abenteuer. Vielleicht wirst du einige der Märchen, die dir begegnen, richtig lieb gewinnen. Vielleicht wirst über ein paar lachen können. Die anderen darfst ruhigen Gewissens in den dunkelsten Schrank sperren und vergessen.

In diesem Artikel:

1001 Ammenmärchen über die Schwangerschaft

Du hast geglaubt, die Zeit der Märchen und Mythen kommt erst, wenn dein Kind sprechen kann und du ihm allabendlich von guten Feen und fiesen Geistern erzählen darfst? Irrtum. Du hast das Wunderland bereits mit dem ersten Tag der Schwangerschaft betreten, und wie in jedem echten Märchen ist hier alles säuberlich getrennt in Gut und Böse. Deine Aufgabe ist es, zum Wohl des Nachwuchses immer schön auf der Seite der Guten zu bleiben. Wie das geht? Ganz einfach. Du findest alle nötigen Gebote und Verbote verpackt in literarisch einprägsamen Ammenmärchen.

Vorsicht Märchen! Hier biegen sich die Balken!

Gut, inhaltlich ist das, was einem da so empfohlen wird, nicht frei von Widersprüchen. Eine Schwangere soll keinen Sport machen, das könnte dem Kind schaden, sich aber möglichst viel bewegen, weil dann die Geburt leichter wird. Oft lässt sich auch der Sinn hinter diesen Märchen nur mit Mühe erschließen. Das Baby darf auf keinen Fall in Mamas Bett schlafen, sonst wird es zu verwöhnt. Aber eigentlich sehnen sich Mutter und Kind einfach nur nach Nähe. Mitunter spricht auch der eigene Körper eine andere Sprache. Eine Wöchnerin darf wegen des Wochenflusses angeblich nicht baden. Dem verspannten Rücken würde ein Bad aber gerade jetzt besonders gut tun. Das zählt aber nicht. Schließlich handelt es sich ja nur um eine Befindlichkeit der Mutter.

Sport oder nicht Sport, das ist hier die Frage!

„Und die zählt doch“, sagt Renate Egelkraut. Die Kölner Hebamme kennt all die Märchen, die sich um das Thema Schwangerschaft ranken und hartnäckig von Generation zu Generation weitergegeben werden. Die Hebamme ermutigt Mütter, sich von diesen Märchen frei zu machen. Beispielsweise konnten im lange als hochinfektiös eingestuften Wochenfluss keine Bestandteile nachgewiesen werden, die das Kind auf irgendeine Weise schädigen könnten und die gegen ein Vollbad der Mutter nach der Geburt sprechen. Auch an dem Tipp, mittels Sex die Geburt auszulösen, ist nicht viel dran. Die Konzentration des Wehen fördernden Hormons Prostaglandin im Sperma ist viel zu gering, um damit den Geburtsvorgang anzutriggern. Tatsache ist aber: Irgendwann setzen die Wehen ein, und irgendetwas hat die Mutter immer vorher gemacht.

„Hier werden scheinbare Ursachen und Wirkungen verknüpft, die nichts miteinander zu tun haben“, erklärt Renate Egelkraut. Genau dies ist jedoch das Strickmuster vieler Ammenmärchen. Schwangerschaft und Geburt sind Schwellenereignisse, die im Grunde genommen unsere menschliche Vorstellungskraft übersteigen. Das macht Angst, und darum suchen wir Erklärungen. Wenn wir die Guten sein wollen, muss es irgendwo das Böse geben. Wenn etwas in unseren Augen schief geht, wollen wir einen Schuldigen haben.

Märchen gut für Moral

Der Ursprung der Märchen ist so bunt wie die Geschichten selbst. Viele Ammenmärchen fußen auf der christlichen Morallehre, die Sex und alles, was damit zusammenhängt, als unrein betrachtet. Eine Schwangerschaft als sichtbar gewordener Sex bietet da viel Angriffsfläche. Vor diesem Hintergrund wurde Schwangeren untersagt, Hefeteig anzufassen, weil er sonst angeblich nicht aufgeht, und Blumen umzutopfen, weil diese dann nicht wachsen würden. Und bis weit in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert hinein wurde in der Hebammenausbildung noch gelehrt, dass das Baby auf keinen Fall dort abgelegt werden darf, wo die Mutter zuvor mit ihrem Po gelegen hat. Und das selbst, wenn diese bekleidet war.

Auch für die Stillzeit gibt es eine ganze Märchensammlung

Etwa, dass Babys wie einer Stechuhr folgend nur alle vier Stunden gestillt werden dürften. Bei Unterschreitung dieser Zeit würde sonst im Magen des Kindes frische Milch auf bereits anverdaute treffen und zu Unwohlsein führen. Tatsächlich werden beim Stillen Hormone freigesetzt, die helfen, die Mutter-Kind-Bindung zu stärken und bei Mutter und Kind ein Wohlempfinden auslösen können. Körperliche Lust zu empfinden, galt in der christlichen Morallehre aber als höchst verdächtig.

Als Druckmittel war es da gut, Mütter vor der Gefahr zu warnen, sich durchs Stillen die Figur zu ruinieren. Tatsächlich hilft das Stillen dem Körper, sich nach einer Schwangerschaft wieder umzustellen. Den befürchteten Hängebusen verursacht nicht das Stillen, sondern die Schwäche des eigenen Bindegewebes. Dieses wird im Übrigen in der Schwangerschaft weit mehr beansprucht als in der Stillzeit.

Einige Ammenmärchen wurden jedoch auch zum Schutz von Mutter und Kind in die Welt gesetzt. So verspüren die wenigsten Frauen unmittelbar nach der Geburt Lust auf Sex. Da kommt das Märchen vom bösen, infektiösen Wochenfluss mitunter ganz gelegen. In vielen Völkern dienten die langen Sex-Tabus, teilweise bis zu zwei oder drei Jahre nach einer Geburt, zudem der Verhütung und sicherten dem Baby auf diese Weise über die gesamte Stillzeit hinweg die Milch der Mutter.

Oft ist was Wahres dran

Andere in vielen Kulturen verbreitete Verbote wie, eine Schwangere darf die Arme nicht über den Kopf heben und keine Wäsche aufhängen, weil sich sonst die Nabelschnur verknotet, oder, eine Schwangere darf nicht zu lang in der Sonne bleiben, weil sonst das Kind schmilzt, sollten die werdenden Mütter vor zu schwerer körperlicher Arbeit im Haushalt und auf dem Feld schützen. Teilweise basieren diese Verbote sogar auf tatsächlichen physiologischen Beobachtungen, wie etwa, dass eine Schwangere nicht auf dem Rücken schlafen darf. Zwar wickelt sich dadurch nicht, wie im Märchen verkündet, die Nabelschnur um den Fötus. Aber bei vielen Schwangeren drückt in der Spätschwangerschaft in der Rückenlage die Gebärmutter auf die Vena cava, die untere Hohlvene, was den Blutfluss zum Herzen stört und Kreislaufschwierigkeiten begünstigt.

Mancher Aberglaube schützt die Mutter

Bedenklich findet Renate Egelkraut den derzeit auflebenden Trend zur Psychomär, dass allein die Mutter durch ihre Verhaltensweisen und Gefühlszustände in der Schwangerschaft vollständig verantwortlich für das spätere Wohl und Wehe ihres Kindes sei. „Unsinn. Kinder zerbrechen nicht daran, wenn die Mutter auch mal weint und sich unglücklich fühlt“, meint Renate Egelkraut. Dass es wichtig ist, werdende Mütter emotional zu unterstützen, wurde in allen Kulturen erkannt. Daraus resultiert das Märchen, dass eine Schwangere nur Schönes ansehen und sich nur mit schönen Dingen umgeben soll. Doch entgegen einem Ansatz, der die Verantwortung dabei komplett den Müttern überlässt, heißt es beispielsweise bei den Akamba in Kenia, dass die gesamte Gemeinschaft für den Gemütszustand der werdenden Mutter Sorge zu tragen hat.

Wie soll nun eine Schwangere mit den Märchen umgehen, die ihr auf dem Weg ins Muttersein begegnen? Am besten frei nach dem Aschenputtel-Prinzip. Die Guten kommen ins Töpfchen und die Schlechten, die sie unter Druck setzen, verschwinden im nächstbesten Kröpfchen.

Die schönsten Ammenmärchen aus aller Welt

  • Eine Schwangere soll keine Blumen umtopfen, sie werden nicht gedeihen.
  • Eine Schwangere darf keine Wäsche aufhängen, sonst verknotet sich die Nabelschnur. (Navaho-Indianer, USA)
  • Eine Schwangere darf nicht den Reis essen, der sich als Bodensatz im Topf gesammelt hat, sonst verklebt die Gebärmutter. (Lepcha, Himalaya)
  • Eine Schwangere darf sich nicht lange in der Sonne aufhalten, sonst schmilzt das Kind in ihr. (Ibo, Nigeria)
  • Eine Schwangere darf keine heißen Speisen essen, sonst verbrennt sich das Kind. (Ostafrika)
  • Eine Wöchnerin darf nicht baden. Ein Neugeborenes darf auf keinen Fall dort liegen, wo zuvor der Po der Mutter gelegen hat. Denn diese ist, solange der Wochenfluss fließt, unrein.
  • Nur Frauen mit einem großen Busen haben ausreichend Milch.
  • Schreien kräftigt die Lungen.
  • Zwischen den Stillmahlzeiten müssen vier Stunden liegen, weil sonst neue Milch auf alte Milch stößt, was dem Baby nicht bekommt.
  • Frauen, die eine Brustentzündung (Mastitis) haben, dürfen nicht mehr weiter stillen.
  • Wer stillt, kann nicht schwanger werden.

Der Klassiker: Mädchen oder Junge?

Die Pränataldiagnostik mit bunten 3D-Bildern aus den Inneren der Gebärmutter macht dem Orakelspiel ums Geschlecht Konkurrenz – doch so ganz vom Tisch sind die Märchen vom Jungen und Mädchen nicht. Sieht die Mutter rosig aus, wird es ein Stammhalter, ist sie eher käsig um die Nase, wird es ein Mädchen. Mädels liegen links, Jungs rechts. Jungs sind bereits im Mutterleib die Aktiveren, strampelt ein Mädchen viel, wird es eine Zappelliese. Hat die Mutter einen runden Bauch, bekommt sie einen Jungen, ist der Bauch spitz, wird es ein Mädchen. „Ich bin seit über zwanzig Jahren Hebamme“, sagt Renate Egelkraut dazu, „aber die Schwangeren in meiner Praxis hatten vor allem Bäuche, und es wurden etwa gleich viel Jungen und Mädchen.“