Schwanger im Studium: Ein lächelndes Testergebnis
Lara, 23, Politik-Studentin, steckte mitten in der Klausurenphase, als es passierte: Während eines lauen Sommerabends, den sie und ihr Freund sich für ein wenig Zeit zu zweit hatten freischaufeln können, riss das Kondom. Die anfängliche Sicherheit, in der sie sich aufgrund wilder Theorien über die für eine Befruchtung notwendige Spermienanzahl bis zur zweifelhaften Fruchtbarkeit Laras wogen, wurde bereits in den ersten Tagen zunichte gemacht: Lara spürte ein starkes Ziehen in den Brüsten und übergab sich – jeden Morgen. Um sicher zu gehen, kauften sie sich extra einen Schwangerschaftstest mit eindeutiger Anzeige. Der Smiley lachte ihnen fröhlich entgegen. Nun konnten sie es nicht mehr leugnen: Lara war schwanger.
Prüfungsstress, Ausland und ein Kind?!
Während dieses Ergebnis für viele ein Grund zur Freude gewesen wäre, kochten Stimmen des Zweifels und der Angst in ihnen hoch. Eigentlich hatten sie vorgehabt nach den Prüfungen ein Semester auszusteigen, nach Neuseeland zu gehen, eine völlig neue Erfahrung zu machen, bevor man später im Beruf eh nicht mehr dazu kommt. Je länger sie auf das Testergebnis starrten, desto lauter wurden die Stimmen – Lara warf den Test in den Mülleimer. Als würde ihre bisher bewährte Kunst der Verdrängung etwas an der Situation ändern. Doch ein Kind passte derzeit überhaupt nicht zu ihrer Lebenssituation.
Erst der Schock, dann die Angst
Jetzt rappelte sich auch Laras Freund, sichtlich mitgenommen, auf und presste mit dünner Stimme eine Entschuldigung hervor, er müsse jetzt dringend zur Vorlesung. Fünf Minuten später war sie mit ihren Sorgen allein. Als alle Versuche, sich irgendwie abzulenken, scheiterten, fand Lara sich erneut im Bad wieder. Tränen schossen ihr in die Augen, ihr Herz raste. Wie sollte sie das nur ihren Eltern erklären, ihren Freunden und: Würde ihre Beziehung diese Strapazen überstehen? Sie überlegte fieberhaft: Möchte sie das Kind überhaupt behalten? Und falls ja, könnten sie sich das überhaupt leisten? Was kostet eigentlich so ein Kind? Müsste sie ihr Studium letztendlich auf Eis legen?
Die Statistik: Du bist nicht allein
Vielleicht findest du dich in einer ähnlichen Situation wie Lara wieder und diese und viele weitere Fragen gehen dir durch den Kopf. Doch sei dir sicher: Du bist nicht allein! Nach einer Sozialerhebung des deutschen Studentenwerks haben 6% der Studierenden mindestens ein Kind und rund 31.000 absolvieren ihr Studium mit Kindern. Davon leben rund 31% in einer festen Partnerschaft, 59% sind sogar verheiratet. Doch auch alleinerziehende Mütter und Väter, immerhin jeder zehnte, meistern den Spagat zwischen Studium und Elterndasein.
In der Ausbildung schwanger: Druck des sozialen Umfelds
Als Lara so zusammengekauert im Bad hockte, die Fragen sich häuften und sich wie ein Karussell in ihrem Kopf drehten, verspürte sie plötzlich das Bedürfnis, ihre Mutter anzurufen. Das Handy in der Hand, hielt sie jedoch inne: Was, wenn ihre Mutter komplett ausflippen würde? Vielleicht würde sie in dieser Situation nicht derart verständnisvoll reagieren, wie Lara es von ihr gewohnt war. Womöglich wäre sie stinksauer oder noch schlimmer: enttäuscht von ihr. Lara legte das Handy wieder zur Seite.
Verständnis für die schwierige Situation ist wünschenswert
Oft haben Eltern, Familie und Freunde einen ungeahnt großen Einfluss auf die Schwangere, wissen die Beraterinnen der Schwangerschaft- und Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen: „Das kann man positiv oder negativ werten“, sagt Elisabeth Kastner, Leiterin der pro familia Beratungsstelle in Göttingen. Eine verständnisvolle, gar unterstützende Reaktion des Umfelds ist in jedem Fall wünschenswert. Dabei nehme vor allem die leibliche Mutter eine Schlüsselrolle ein, betont wiederum Doris Winkler von der Arbeiterwohlfahrt: „Manchmal sprechen die Frauen mit der Mutter, und da habe ich den Eindruck, dass das gut ist. Sie fühlen sich gestärkt, vor allem wenn die Mütter neutral bleiben.“
Dass dies einen Idealfall darstellt, der längst nicht immer eintritt, wird den Beraterinnen bei ihrer täglichen Arbeit immer wieder vor Augen geführt. Oftmals würden gerade junge Frauen allein gelassen, die sich bewusst für das Kind entschieden, weil sich beispielsweise der Partner der Verantwortung nicht gewachsen fühle, berichtet Kastner. Oder weil sie keine Unterstützung der Eltern erwarten könnten. Diese Frauen kämen auf diese Weise ebenso in einen Konflikt wie diejenigen, die noch mit einer Entscheidung für oder gegen das Kind haderten, vielleicht sogar vom Partner zu einem Abbruch oder zur Austragung der Schwangerschaft gedrängt würden.
Der Weg zur Schwangerschaftsberatung
Letztendlich sprach Lara mit einer Bekannten, allerdings wohnte diese mittlerweile über 300 Kilometer weit weg, sie hatten ewig nichts voneinander gehört. Lara erinnerte sich jedoch, dass sie sich vor zwei Jahren in einer ähnlichen Situation befunden hatte. Offensichtlich hatte sie das Kind bekommen. Ohne Lara jedoch Vorwürfe zu machen, oder sie gar zu einer Entscheidung drängen zu wollen, empfahl sie ihr eine Beratungsstelle ganz in der Nähe. Dort hätte sie gute Erfahrungen gemacht und mit einer netten, unvoreingenommenen Beraterin über ihren damaligen Konflikt sprechen können, was ihr sehr geholfen hätte. Bereits am nächsten Tag bekam Lara dort einen Termin.
Weiterführende Links
Mehr Infos zu Unterstützungs- und Beratungsformen findest du auf den Seiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ):
Vielseitige Hilfe von Beratungsstellen für Schwangere
Für junge Frauen wie Lara, die sich in einer unsicheren Situation wiederfinden und ihre Schwangerschaft gegebenenfalls vorerst verheimlichen möchten, existieren verschiedene Hilfsangebote der Beratungsstellen. Hier greift nicht nur die Konfliktberatung. Es können ebenso gesonderte Beratungen zu allen Optionen, die der Frau offenstehen, von den finanziellen und sozialrechtlichen Hilfen bis zum Ablauf eines Adoptionsverfahrens in Anspruch genommen werden. Von Vorteil ist für die Frau schließlich vor allem der Grundsatz einer neutralen Beratung: „Beeinflussung ist nicht unsere Aufgabe“, versichert Hildegard Schütz von der Beratungsstelle für Schwangere und Familien des Caritasverbands Südniedersachsen e.V., „sondern im Gegenteil: zu gucken, was will die Frau und sie darin zu bestärken.“
Im Wartezimmer beleuchteten Deckenstrahler ein Regal mit Flyern rund um das Thema Schwangerschaft. Ihr Freund wollte sie nicht begleiten. In den letzten Tagen hatte er das Thema völlig von sich gewiesen, jedes Gespräch mit ihr gemieden. Lara fühlte sich alleingelassen. Sie ließ ihren Blick schweifen, wieder blieb sie an dem Regal mit den Flyern hängen: So viele Informationen. Sie hätte nie gedacht, dass das ganze Thema so umfangreich wäre. Dachte sie an die Erzählungen ihrer Mutter zurück, welche sie immer etwas peinlich berührt hatten, fielen ihr nur Sätze wie „Das ging alles so schnell! Schwupps warst du da“ oder „Am schönsten war ich in der Schwangerschaft. Reine Haut, volles Haar,... hach das war eine Zeit!“ ein. Kein Wunder, ihrer Mutter hatte auch während beider Schwangerschaften ihr Vater stets zur Seite gestanden. Jetzt fühlte sich Lara noch etwas einsamer. Da wurde sie auch schon von einer freundlichen Beraterin hereingebeten.
Wie die Entscheidung für oder gegen das Kind treffen?
„Manche sind sehr belastet und bedrückt, wenn sie ankommen. Und dann wenn sie gehen, geht die Sonne auf. Bei manchen fällt dann so eine Last ab, weil es eben doch einen Lösungsweg gibt“, schildert Schütz. Solch ein Lösungsweg ist niemals vorgegeben, immer individuell und ganz gleich welche Form er für dich annimmt – du gehst ihn, niemand sonst. Deswegen sei eine Beratung, die sich Zeit nimmt und genau hinhört so unwahrscheinlich wichtig, betont Winkler. Die Option, sich im Anschluss noch einmal alles durch den Kopf gehen zu lassen und gegebenenfalls wiederzukommen besteht dabei immer. „Ganz klar ist: Egal wie man sich entscheidet, die Entscheidung ist nie hundertprozentig, wenn man im Zweifel ist. Und dann ist die Frage: Was überwiegt? Womit kann ich leben?“, so Gabriele Becker von der Caritas.
In dem Leitbild des pro familia Landes-Verbands Niedersachsen heißt es: Jeder (Mensch) hat das Recht auf gute Beratung. Damit er eine gute Entscheidung treffen kann. Was aber ist eine gute Entscheidung, wenn man auf einen positiven Schwangerschaftstest blickt und nicht weiß, ob man nun lachen oder weinen möchte? „Eine gute Entscheidung ist eine, die die Frau gut in ihr Leben integrieren kann“, erläutert Kastner, „und wenn sich eine Frau entscheidet, soll sie in dieser Entscheidung unterstützt und nicht verurteilt werden.“ Es gibt viele Wege, um zu einer für dich guten Entscheidung zu finden. Ein Gespräch in einer Beratungsstelle kann helfen die Perspektive zu wechseln und den Blick für unterschiedliche Optionen zu öffnen. In jedem Fall kann es helfen, das Chaos in dir zu ordnen – unvoreingenommen, ohne Druck und ohne Erwartungen.
Mut zum offenen Gespräch
Die nächsten beiden Tage blieb Lara zu Hause. Das höchste der Gefühle war ein Spaziergang an der frischen Winterluft. Sie wollte für sich sein, gönnte sich die Ruhe zwischen Tee und Kuscheldecke auf dem Sofa. Ihren Freund, der sich doch noch entschlossen hatte sie anzurufen, vertröstete sie auf das Wochenende. Dorthin legte sie auch ein Gespräch mit ihren Eltern, um das sie sie gebeten hatte. Nun standen ihr einige Optionen zur Verfügung. Die Beraterin hatte sie, auf ihren Wunsch hin, in alle Richtungen umfassend informiert. Während ihrer Auszeit wurde ihr zumindest eines klar: sie wollte diesen Weg nicht alleine gehen.
Die Unterhaltung mit ihrem Freund verlief erfolgreicher als gedacht. Hockte er zu Beginn noch wie ein Häufchen Elend auf ihrem Sofa, erhellte sich sein Blick mehr und mehr in Anbetracht der Informationen, die Lara von der Konfliktberatung erhalten hatte. Dann platzte der Knoten. Sie sprachen bis spät in die Nacht über ihre Ängste, Zweifel und Sorgen, saßen zum Schluss gemeinsam mit einer Tasse Tee unter einer der Decken und wogen alle Optionen ab. Letztlich fassten sie einen Entschluss – diesen mussten sie jetzt nur noch Laras Eltern am kommenden Tag beibringen.
Unterstützung durch die Eltern
Unter Tränen drückte die Mutter Laras Gesicht an sich. Es waren jedoch keine Tränen der Wut oder der Enttäuschung – den ersten Schock schien sie verdaut zu haben und freute sich nun umso mehr über ihre Entscheidung das Kind zu bekommen. Bereits zu Anfang, als der Vater gerade lospoltern wollte, konnten sie und ihr Freund mit den Informationen aus dem Beratungsgespräch punkten und deutlich machen, dass sie unabhängiger sein würden als gedacht. Trotzdem erklärten Laras Eltern sich bereit, die beiden jederzeit zu unterstützen, wenn es notwendig werden sollte. Lara fiel ein Stein vom Herzen - besser hätte es nicht laufen können.