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Baby-Tagebücher von Marisa

Hautnah. Intensiv. Liebenswert. Folgt hier den Babytagebuch-Bloger:innen und erlebt regelmäßig, wenn frischgebackene Mütter und Väter ihr Leben mit euch teilen. Jede Woche lassen sie euch an ihrer neuen Lebenszeit mit Baby teilhaben und geben ganz persönliche Einblicke: Was hat der Sprössling diese Woche Tolles gelernt? Wie geht es den jungen Eltern mit dem kleinen Knirps? Welche Herausforderungen begegnen den Neu-Mamas und Neu-Papas mit ihrem Neugeborenen? In den Baby-Tagebüchern seid ihr live dabei, von ersten Arztbesuchen bis zu holprigen Gehversuchen. Ob liebenswert chaotisch oder rührend besinnlich: Immer erhaltet ihr einen unverfälschten, authentischen und persönlichen Einblick in das aufregende Leben einer Jungfamilie.

38. Woche

Geschenkt

Gutes Karma und ein alter Schlitten auf neuen Wegen

Schon wieder Schnee. Tim hat gesagt, wir brauchen keinen Schlitten. Alle haben einen. Wir nicht. Wieder schaue ich mir Angebote im Netz an, überlege zu einem großen Sport- und Outdoorfachhandel zu fahren. „Bestimmt ist das in ein paar Tagen wieder weggetaut“, sagt Tim. Wenn wir uns weiterhin in dem Tempo nicht entscheiden können, ist dieses Vorhaben tatsächlich sinnlos.

Nach dem Kinderturnen laufen wir mit Freundin Stefanie und ihrem Sohn über das verschneite Gelände der Schule, deren Sporthalle wir soeben verlassen haben. Genauer: Alle Erwachsenen laufen, und Smilla. Die anderen Kinder sitzen auf einem Schlitten und werden gezogen. Eisig knirscht es unter den Kufen. Smilla schaut traurig, denn auf dem Gefährt ist kein Platz für ein weiteres Kind. „Morgen kaufe ich einen Schlitten, verspreche ich großspurig“, und sehe mich schon von einem Geschäft zum nächsten eilen, um das Objekt unserer Begierde zu besorgen. Schließlich ist jetzt Saison. Wer keinen hat, will einen. Die Preise sind sicher astronomisch und mutmaßlicher Weise ist vieles ausverkauft. So what? Mein Job sind aktuell fröhliche Kinder, also ist das meine Mission!

Wir verabschieden uns und ich gurte Smilla und Jeppe im Auto an. Nase putzen, doofe Mütze ausziehen, Musik ändern, Stofftier reichen, Schnuller anbieten, endlich bugsiere ich das Auto aus der vereisten Parklücke und schlittere über die spiegelglatte Fahrbahn. In Hamburg räumt man nur Hauptstraßen, Fortbewegung ist aktuell ein Abenteuer – egal wie. Wir rollen ein paar Meter, schon klingelt das Telefon. Das Display des Autos teilt mir mit, dass Stefanie anruft. Ich bin verwirrt und vermute, dass wir irgendwas vergessen, oder versehentlich eingepackt haben. „Wollt ihr jetzt einen Schlitten“, fragt sie aufgeregt? „Gibt es geschenkt. Halt einfach vorne an der nächsten Ecke an.“

Gespannt fahre ich und sehe die anderen unter einer Straßenlaterne in der Dunkelheit. Eine alte Frau steht neben ihnen in der Dunkelheit. Fragend steige ich aus und drücke Stefanie den Autoschlüssel in die Hand. Ich folge der Frau, die mir auf dem Weg zu ihrem Haus versichert, sie brauche keinen Schlitten. „Der steht seit Jahren im Keller und staubt voll. Enkelkinder kriege ich keine mehr. Und bei dem Wetter soll doch jemand seine Freude damit haben“, erklärt sie. Ich krame in meinen Jackentaschen. Kein Portemonnaie, keine symbolische Tafel Schokolade zum Dank. „Ich habe gerade wirklich nichts, was ich ihnen geben kann“, sage ich fast beschämt. „Ich möchte nichts“, sagt die Frau. „Ich habe von allem zu viel. Hätte ich ihre Freunde nicht getroffen und zufällig angesprochen, hätte ich den Schlitten morgen früh an die Straße gestellt.“

Wir sind im Keller des Mehrfamilienhauses angekommen. Hinter einer wackeligen Holztür steht er: Der Schlitten. Er ist bestimmt vierzig Jahre alt. Die Kufen müssten vielleicht geschliffen oder gewachst werden, das Holz bracht eine Ölung – aber der alte Schlitten ist eine kleine Schönheit. Ich bedanke mich tausendmal und schüttele die kleine, zarte Hand der alten Frau. Sie lächelt und winkt mir nach, als ich durch den Schnee zurück zum Auto laufe.

Jeppe hat mir die Abwesenheit übelgenommen. Wütend heult unser achtmonatiges Baby in die Nacht hinein. Die Bespaßung aller anwesenden Personen empfindet er als Affront. Wieso ist seine Mama einfach verschwunden? Und wieso freuen sich alle so sehr. Zu wenig Baby-Fokus, definitiv! Da kann man auch mal wutheulen. Smillas Augen leuchten allerdings, als sie den Schlitten entdeckt. So ganz konnte sie es dann wohl doch nicht glauben, als ich etwas von Schlitten erzählte ich dann einfach entschwand.

Die neue Errungenschaft verschwindet im Kofferraum, jetzt können alle nach Hause fahren. Ich freue mich wie Bolle. Smilla auch. Jeppe heult noch ein bisschen, aber auch er merkt, dass gerade eine andere Laune angesagt ist. Zuhause begutachten wir den Schlitten. Er ist alt, er braucht ein bisschen Liebe – er ist toll!

Am nächsten Nachmittag steckt Jeppe im zuckerstangenfarbenen Schneeanzug und schaut von seinem Platz in der Babytrage vergnügt in den nachmittäglichen Sonnenschein. Smilla sitzt auf ihrem alten und zugleich neuen Schlitten. Abholen von der Kita – heute mal anders. Unser Weg führt über weiße Straßen, vorbei am Eppendorfer Moor und durch eine schneebedeckte Kleingartenkolonie. Es ist ein Wintertraum mitten in Hamburg.

Ich denke an die alte Dame, der wir diesen schönen Nachmittag verdanken, und sende ihr in Gedanken meine allerbesten Wünsche. Ihr Karma-Konto ist auf jeden Fall gut aufgeladen. Was für ein Glück!

Tagebuch Marisa



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In diesem Beitrag geht's um:

Schlitten, Schnee, Geschenk, Karma, Hamburg, Winter, Glück