Spontan gebucht und reingerutscht
DJ Flausch spielt die unverkennbare Titelmelodie von ‚Die Kinder vom Süderhof`. Nach einem ausgiebigen Silvestermenü tanzen wir. Die Masse wogt glückselig zur Musik. Smilla tanzt mit ihren neuen Freundinnen, Jeppe hockt in der Babytrage. Pailletten, Glitzer, Discolicht, Popcorn und Chips in großen Schüsseln, einige der Gäste sind bereits angeschickert. Die Wirtin formiert die ersten Partypeople zum Kopf einer Polonaise, die sich durch den großen Saal schlängelt. Jung und Alt, Groß und Klein, alle wollen Silvester feiern.
Ein Teenie beginnt eine Art Clubtanz. Die Schritte sind einfach, wir schauen kurz zu und steigen dann mit ein. Nach vorne schütteln, nach hinten wiegen, dann zur Seite … Lustig. Es folgt der besser bekannte Macarena. Der Dorf-DJ lässt sich nicht lumpen. Die Getränkepreise sind ein Witz, alkoholfrei ist ohnehin inklusive.
Einen Tag vor Heiligabend buchen wir spontan. Fünf Tage Ostseefjord, Silvester in Kappeln an der Schlei. Drei Zimmer sind noch frei, zwei davon belegen wir. Wir reisen zusammen mit Freunden. Vor Ort, so verspricht es der Anzeigentext, gibt es jede Menge Spaß für die ganze Familie. Ein Mini-Urlaub mit Ausflügen, Verköstigung und einer großen Silvester-Party. Das Beste daran: Es werden nur Familien mit kleinen Kindern dort sein. Und was soll ich sagen? Jackpot! Die letzten zwei Tage sehen wir unsere Tochter nur noch sporadisch. Sie wird von einer Mädchen-Gang adoptiert und schwebt im siebten Himmel. Die Mädchen, zwischen fünf und zwölf Jahre alt, nehmen unsere Kleinkinder in ihre Mitte, flitzen in der Anlage umher, spielen, erklären und sind einfach zuckersüß. Baby Jeppe robbt und krabbelt überall umher und findet es ebenfalls spitze. Im Spieleraum beißt er in einem unbeobachteten Moment beherzt in die Tafelkreide und klettert mit seinem neuen Freund Ole auf die Vorlesebank.
Die Familien sind aus ganz Deutschland angereist. Auf dem Parkplatz lassen die Nummernschilder weite Anreisen erkennen: Dresden, Gütersloh, Delmenhorst, Berlin, Siegen, Nürnberg – aus Hamburg und dem Norden sind aber einige hier. Manche haben die Großeltern dabei, gleichgeschlechtliche Paare, viele alleinerziehende Mütter und Väter, sogar ein Hund und ein Rollstuhl, klassische Familienkonstellationen und Patchwork. Nicht nur den Kindern gefällt es. Wir spielen Billard und Tischtennis, essen alle gemeinsam, machen eine Neujahrswanderung im strömenden Regen und fahrend mit einem Schaufelraddampfer zum Meer.
Es ist ein bisschen wie einst auf Klassenfahrt. Die Kinder sind so lange wach, wie sie Lust haben. Es gibt mehr Schokoriegel als normalerweise, und irgendwas ist immer los. Einige erzählen: Es geht um traurige Schicksalsschläge, wilde Liebesgeschichten, die ungeplante dritte Schwangerschaft, ramponierte Finanzen, spannende Berufe und unsere Kinder.
Am Abend sitzen wir am Tisch. Smilla sagt: „Ich heiße jetzt Leonie!“ Wir gucken uns verdutzt an und lachen. „Ok, Leonie, und wo ist Smilla?“ „Die muss schlafen. Mama, gibt mir deine Hand, schnell. Es ist neun Uhr!“ Ich kringele mich vor Lachen und greife nach der Hand unserer Tochter. Jeppe lacht mit. Ich habe keine Ahnung, was das hier gerade ist. Aber wir sind voll im Rollenspiel-Game angekommen. Smilla hat von ihren Girls einiges gelernt - reisen bildet. Auch ein klassisches Klatsch-Spiel beherrscht sie nun. Jeppe soll mit ihr den Reim klatschen. Klappt nicht, da muss der Papa einspringen.
Unser Baby mümmelt alles, was wir ihm vom Buffet mitbringen. Die Großen tragen ihn umher und lassen ihn sogar an ihren Hausschuhen herumkauen. Eklig, aber bestimmt gut für die Immunabwehr.
Als die Raketen in der Silvesternacht über der Schlei in den Himmel steigen, ist alles perfekt. Die Haare leicht derangiert, der alkoholfreie Sekt im Weinglas, Smilla trägt meine Samtjacke und freut sich besonders über pinke und lilafarbene Raketenschauer. Tim hält meine Hand und unser Baby auf dem Arm. DJ Flausch spielt ‚Happy new year` von ABBA. Was wir im neuen Jahr vorhaben? Wir werden sehen.
Am Abreisetag sind die Kinder traurig. Sie liegen sich in den Armen und die Stimmung ist gedrückt. Nach und nach rollen die Autos vom Parkplatz. Alle fahren wieder zurück in ihre echten Leben. Aber ein Campingwochenende und Ostern an der Nordsee sind in Planung. Einige haben schon spontan gebucht – die Dynamik dieser Mini-Reise war einfach zu gut.
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