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Baby-Tagebücher

Hautnah. Intensiv. Liebenswert. Folgt hier den Babytagebuch-Bloger:innen und erlebt regelmäßig, wenn frischgebackene Mütter und Väter ihr Leben mit euch teilen. Jede Woche lassen sie euch an ihrer neuen Lebenszeit mit Baby teilhaben und geben ganz persönliche Einblicke: Was hat der Sprössling diese Woche Tolles gelernt? Wie geht es den jungen Eltern mit dem kleinen Knirps? Welche Herausforderungen begegnen den Neu-Mamas und Neu-Papas mit ihrem Neugeborenen? In den Baby-Tagebüchern seid ihr live dabei, von ersten Arztbesuchen bis zu holprigen Gehversuchen. Ob liebenswert chaotisch oder rührend besinnlich: Immer erhaltet ihr einen unverfälschten, authentischen und persönlichen Einblick in das aufregende Leben einer Jungfamilie.
25. Woche

Bergfest der Einjährigen

Es geht um Salomes erstes halbes Lebensjahr, in dem ich zum letzten Mal auf unsere "Familie" zurückblicke

Hallo ihr lieben halben Geburtstagsnasen,

wir haben schon die Hälfte geschafft! Wovon ist die Rede? Von Salomes ersten Lebensjahr auf dieser verrückten Welt! Mir wurde von Eltern, also von echten Expertinnen und Experten gesagt, dass die ersten Monate die anstrengendsten seien. Ich unterschreibe das direkt, obwohl ich unwissend bin, was mich noch erwartet. Salome und ich dürfen also stolz sein. Was haben wir für magische Monate zusammen erleben dürfen. Himmelhochjauchzend, aber manchmal war die Erschöpfung so groß, dass ich halbschlafend am Wickeltisch stand oder mit offenen Augen schlafend den Kinderwagen am Rhein entlang rollte, weil nur so das Kind schlafen wollte. Keine Sorge, der Rhein ist in der Nähe meiner alten Wohnung – ich vermisse sie so sehr – durch ein Geländer abgetrennt. Also war es im Wochenbett erlaubt, mit geschlossenen Augen zu rollen. Ich lenkte den Wagen immer geradeaus und hoffend, dass Salomes Äuglein zufielen. Wenn ich meine öffnete, wünschte ich mir, dass ihre verschlossen wären. Außerdem dachte ich, dass ich ein gutes Vorbild sei, wenn ich vormachte, wie geschlossene Augen auszusehen haben.

Alles war für Salome in dieser Zeit ihr erstes Mal. Ihr erstes Bäuerchen, die erste Windel, das erste Mal Haare bürsten, ihre erste Auto- und ICE-Fahrt, selbstständiges Köpfchen halten und das allerbeste ihr Lächeln, das sich irgendwann zu einem unglaublichen Lachen mit vielen Tönen steigerte. Leider kann ich hier keine Audionachricht einfügen. Die ersten sechs prägendsten Monate hat Salome auf dieser Welt hinter sich. Und ihr habt das erste halbe Jahr von diesem Tagebuch mit uns geteilt. Die Umstände um dieses kleine Wesen, was sich nur noch ein halbes Jahr Baby nennen darf und dann ein Kleinkind ist, sind nicht so wie gedacht – keine Bullerbü-Familie. Trotzdem gibt es hier sekündliche umfassende Mama-Tochter-Liebe.

Wir feiern, obwohl es erst ihr Halbjähriges ist, nicht halbherzig. 177 Tage sind seit ihrer Geburt vergangen. Die Schwangerschaft hat ewig gedauert - 262 Tage. Mit Salome vergeht die Zeit jetzt allerdings im Flug. Bald steht die U5 an. In noch mal 178 Tagen werden wir eine XXL-erste-Geburtstags-Gartenparty feiern. In nochmal der gleichen Anzahl an Tagen wird aber nicht die U10 im Kalender notiert sein. Diese kommt erst zwischen dem achten und neunten Lebensjahr auf uns zu- so steht es auf dem Kinderpass. Das zeigt auch, dass die ersten Monate so wichtig sind. Salome war bei so vielen U-Untersuchungen, weil sie so gigantische Entwicklungsschritte gemacht hat. Ich platze vor Stolz, wenn ich Salome anblicke.

Ich hatte gehofft, dass ihr Papa in der Vaterrolle komplett aufgeht und jede Minute nutzt, um mit ihr Zeit zu verbringen. Stattdessen hat er schon seit Längerem eine neue Freundin – oder Quasihäsin – was auch immer. Es soll mich nicht interessieren – stimmt schon – aber ich wünschte mir, dass er jede Minute, die er mit der neuen Dame verbringt, lieber seiner Tochter schenken würde, um eine Bindung fürs Leben mit ihr herzustellen.

Apropos Bindung: Ich würde unglaublich gerne noch Ende dieses Jahres beginnen zu arbeiten. Aber ich müsste Salome dann mit elf Monaten jeden Tag ca. acht Stunden in eine Kita geben und ich wüsste nicht, ob das ihre Entwicklung oder unsere Bindung negativ beeinflusst. Ich habe kürzlich das Buch „Nestwärme, die Flügel verleiht“ auszugsweise gelesen. Darin wird deutlich gesagt, dass eine Kita eine brutale Anpassung für das Baby/ Kleinkind sei und man dies auf keinen Fall vor drei Jahren machen sollte, wenn es nicht aus finanziellen Gründen sein müsste. Also bleibe ich bei meiner Tochter. Sie wird spätestens mit einem Jahr und elf Monaten die Kita besuchen.

Ich würde alles für sie tun. Das sage ich nicht nur so, wie es der Vater tut. Er hat sie das letzte Mal Anfang Dezember gesehen, aber noch nicht mal einen kompletten Tag lang. Das ist mittlerweile zwei Kleidergrößen her und ich habe das Gefühl, dass hier eine komplett andere Salome liegt. Ich frage mich immer, wie man nur so wenig Verantwortung übernehmen kann und auch will. Und Mindestunterhalt bedeutet nicht Verantwortung. Vermutlich ist die väterliche Taktik: Verdrängung.

Wir hatten zwei gemeinsame Monate als WG-Familie. Leider war der Papa in der Zeit mehr weg als da. Das Zusammenwachsen als neues Familienmodell war ausgeschlossen. Auch das Zusammenwachsen zwischen Papa und Tochter konnte ich nicht sehen. Der Papa hatte sie nie im Tragetuch getragen oder hat mal gefragt, ob er versuchen könnte, ihr ein Fläschchen zu geben. Am Wochenende kam er frühestens Sonntag aus der Heimat wieder und freitags direkt nach seiner Arbeit war der Zug am günstigsten – auch wenn es das letzte gemeinsame Wochenende war und ich Hilfe beim Umzug gebraucht hätte. Zumindest hätte er Salome in der Zeit, in der ich putzte, am Rhein entlang steuern können. Am meisten stört mich aber seine fehlende Aufrichtigkeit. Ich habe neun Monate seine Tochter unter dem Herzen getragen. Was hat bitte mehr Respekt verdient?

Selbst wenn wir kein Paar mehr waren, wären Salome und ich die erste Priorität gewesen und keine andere Frau, ein Fußballspiel, eine Exkursion, ein Job oder ein Werksverkauf.
Ich vermute, dass er nicht, wie er es mir gesagt hatte, an seinem Geburtstag oder Silvester allein gewesen war. Ich wollte zu seinem Geburtstag mit Salome zu ihm fahren, weil er immer sagt, dass sie das größte Geschenk sei. Daher dachte ich, dass ein gemeinsamer Tag das Größte wäre. Er wollte das auf keinen Fall. Dieses Neujahr war für mich besonders, weil sich genau das Wissen um Salome gejährt hat. Als wir an Neujahr 2021 von Salome erfuhren, gingen wir spazieren und er redete davon, dass wir seinen und meinen Geburtstag 2021 erstmals zusammen als Familie feiern würden. Wir feierten alle allein – es gab keine Familie. Diese geplatzten Vorstellungen sind schlimmer, als wenn er die Träume nie ausgesprochen hätte. Es gab keine Familie. Was er genau ein Jahr später einem anderen Menschen erzählt hat, weiß ich nicht. Für mich sind Worte das Bedeutungsvollste auf dieser Welt. Ich nehme sie ernst – und vielleicht bin ich manchmal zu sensibel, wenn man mit Worten nicht respektvoll umgeht, aber dafür graviere ich mir sie irgendwo in meine Erinnerung, wenn sie schön sind. Das haben sie verdient. Somit kann ich mich auch daran erinnern, wie er sagte, wir feiern unsere Geburtstage zum ersten Mal als Familie.
Er sagt viel. Worte kommen ihm schneller über die Lippen als Taten.

Es macht mich immer noch unendlich traurig, dass der Vater seine Tochter nicht sieht und lieber an einem Wochenende Zeit mit seiner neuen Freundin verbringt, wobei ein Termin vereinbart war. Zwar war noch keine konkrete Uhrzeit besprochen und ob es Samstag oder Sonntag sein würde, aber es war ausgemacht. Er leugnet das und sagt, ihm wäre etwas dazwischen gekommen. Ich möchte, dass meine Tochter sich niemals von ihrem Vater zurückgesetzt fühlt und wenn er ein weiteres Treffen nicht mehr einhalten wird, dann werden Besuche nur noch mit dem „Allgemeinen Sozialen Dienst“ in meinem Kreis vereinbart. Dieser beschreibt auch, dass „Umgangskontakte nur dann kindeswohlförderlich sind, wenn sie regelmäßig und zuverlässig stattfinden.“ Bisher kann ich keines der Adjektive bestätigen.

Mit ihm habe ich den traurigsten Abschnitt in meinem Leben erlebt, denn ich habe mich noch nie so in einem Menschen getäuscht und wurde dadurch in gigantischer Dimension enttäuscht. Ich werde meiner Tochter nicht sagen können, dass ich ihr den besten Papa ausgesucht habe. Ich bin enttäuscht von mir selbst, dass ich Salomes Papa alles geglaubt habe. Vermutlich, weil ich in vorigen Beziehungen nie in der Art und Weise enttäuscht wurde. Und die Worte, die in meinem vorigen Beziehungen gesprochen wurden, waren ehrlich gemeint. Die Worte waren nie so überschwänglich, wie sie von Salomes Vater waren. Deshalb war ich von ihm wohl so beeindruckt. Er redete sogar von Heiraten. So ein Wort habe ich noch nie getraut, in den Mund zu nehmen. Dafür braucht man Watte, Archivhandschuhe, viel Geduld, Mut und aufrichtige Liebe.

Und dann ist da noch der Bullerbü-Komplex. Ich weiß, dass er ungesund ist, aber trotzdem wünscht man sich eine Bullerbü-Familie wie sie die Schwester von Salomes Vater hat. Natürlich weiß ich, dass nicht alles Gold ist, was glänzt und nicht alles Holz ist, was brennt, aber trotzdem! Ich würde mir wünschen, Salomes unglaublich wundervolles Lachen und die vielen Momente im Alltag mit dem Vater teilen zu können. Denn die Tage sind schon monoton. Natürlich könnte es auch jemand anderes sein, aber ich glaube, es ist für den Bullerbü-Komplex schöner, wenn man sich selbst in einem kleinen Menschen wiedererkennt. Ich erkenne den biologischen Vater optisch direkt an der Fußnagelform von Salome wieder und an ihrer Temperaturempfindung. Salome schwitzt schnell. Würde er sie sehen, würde er mit jeder Schweißperle mit ihr mitfühlen.

Ich weiß nicht, ob der Vater das Tagebuch noch liest. Ich denke nicht. Seine Strategie ist wie bereits gesagt: Verdrängung. Zumindest kann ich Salome später immer aufrichtig sagen, dass ich alles versucht habe, dass es eine Familie wird oder sie eine enge Beziehung zum Vater aufbauen kann. Dafür habe ich viel getan und habe alles in der Schwangerschaft und danach akzeptiert. Beispielsweise sagte er mir im zweiten Monat, dass er mich nicht liebt – was vollkommen okay ist, aber eine Arbeitskollegin schickte mir wenig später Bilder, wie er auf einer Dating-Plattform unterwegs ist. Ich weiß nicht, ob er das Wort „Respekt“ kennt. Er hat sich entschuldigt, aber man kann einfach nicht alles verzeihen.

Es tut so unglaublich weh. Es holt mich oft ein. Ich frage mich ständig, wie oft er mich angelogen hat und was überhaupt ehrlich und aufrichtig gemeint war. Ich frage mich, wann dieses Gefühl, dass mir die Luft raubt, weggeht. Wann ich wieder so leichtfüßig durchs Leben marschiere, wie zu dem Zeitpunkt, als ich ihn noch nicht kannte. Wenn ich glückliche Väter und Familien sehe, halte ich die Luft an, damit mir die Tränen nicht direkt in die Augen schießen. In der Schwangerschaft habe ich viel geweint. Ich habe gesehen, wie die meine Bullerbü-Familie im Kopf zusammenbrechen, bevor es sie überhaupt gibt. Diese Welt brach zusammen und musste sie lachend – als Schwangere muss man sich doch freuen - wieder aufbauen. Jetzt habe ich tagsüber keine Kapazitäten mehr fürs Weinen, weil ich mit Salome unendlich glücklich bin. Wenn ich Salome sehe, geht mein Herz in Lachen und Freude auf. Ich baue uns nun lachend tagsüber eine andere Welt auf, eine, die wir uns niemals erträumt haben. Goodbye Bullerbü! Nachttränen gibt es hin und wieder schon. Aber für das Nachtleben ist Salome noch zu klein. Und wenn sie die Nächte zum Tag macht, sind diese Tränen auch getrocknet.

Ich verstehe nicht, wie man nicht mit Salome gemeinsam aufwachen will. Ich erinnere mich noch, wie ich als Kleinkind aufgewachte und in der Mitte zwischen Mama und Papa im Bett lag. Es war der Inbegriff von Geborgenheit. Salome grabscht einem morgens festzupackend durchs Gesicht. Das kann Salome mittlerweile spitzenmäßig. Aber es ist der schönste, härteste und ergreifendste Wecker überhaupt.

Vermutlich wird die tiefe Enttäuschung über den Vater des Kindes in mir nie verschwinden. Es ist einfach der traurigste Teil in meinem Leben. Ich könnte jetzt einen Roman oder einen kitschigen Liebessong schreiben. Schmerz ist der beste Erfolgsgarant. Vielleicht überrasche ich euch an Salomes ersten Geburtstag damit. Es wird aber ein Herzfeuerwerksong sein, denn ich möchte dem Vater keinen Raum mehr in unserem Leben geben und deshalb ist es hier auch das Letzte, was ich von ihm hier schreibe. In diesem Eintrag habe ich viel und lang über ihn geschrieben. Salome wird es irgendwann sachlich lesen. Über ihn reden werde ich mit ihr nicht. Ihre Fragen werden ohne Bewertung beantwortet werden. Sie darf sich selbst eine Meinung bilden. Und Gnade muss gelebt werden. Das heißt, er ist immer willkommen, wenn er sie sehen will. Großherzigkeit ist ein schönes Wort. Das möchte ich meiner Tochter durch Taten zeigen, damit sie es auch im Herzen trägt. Und das, was im Inneren von einem selbst verpackt ist, strahlt bei jedem Menschen nach außen.

Es gibt Tage, da fällt mir Gnade und Großherzigkeit schwer. Alle meine Freunde sagen, dass ich keinen Kontakt mehr zu ihm haben soll, damit meine Wunden verheilen. Ich bin kurz davor zuzustimmen, aber dann denke ich, ich will, dass der Vater das Wundervollste der Welt sieht. Und dann lacht Salome mich an. Und das ist so was wie das Benzin für die Gnade zu ihm. Ich mache meinen Frieden mit ihm, weil ich keinen Gram nach außen tragen möchte. Das war auch der Grund, warum ich ihm bei Salomes Geburt mitgenommen habe. Im Kinderuntersuchungsheft wurde angekreuzt: Alleinstehend: Nein. Ich dachte mir nur, wenn ihr wüsstet und habe nichts gesagt. Der Bullerbü-Komplex ist sogar im Krankenhaus vertreten. Wenn ein Mann bei der Geburt dabei ist, ist es sofort der Vater, der die Familie komplementiert und einem nicht zu einer alleinstehenden Person macht. Ich glaube, dass jeder Mensch eine Lebensaufgabe erteilt bekommt. Meine ist es, meinen Frieden mit der Situation zu machen und mir zu sagen, meinen Hass bekommt Salomes Vater nicht. Starke Gefühle sollen in meinem Leben keinen Raum mehr zu ihm haben.

Ich könnte jetzt mein deformiertes Herz mit Totalschaden hier komplett ausgießen, aber es geht schließlich um Salome. Und sie ist das Beste in meiner Welt. Außerdem teilt man nur wenigen Menschen mit, wohin ein Herz schlägt und warum. Daher vertiefe ich es nicht weiter.

Da der Eintrag vielleicht etwas schwermütig war, noch etwas unnützes Babywissen zu Salome: Manchmal denke ich, man müsste Salome einen Kratzbaum schenken. Überall, wo sie kann, kratzt sie mit ihren Nägeln herum, obwohl ich diese kleinen süßen Nagelblättchen auf ihren Marzipanhänden jeden zweiten Tag schneide.

Macht es gut! Ein Kuss ist ein Muss!

Salome und Vroni



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Salomes Bergfest, Bullerbü-Komplex, Herz mit Totalschaden, Gnade