Als alles anders lief als geplant: PDA, Mikroblutuntersuchung und Notkaiserschnitt
Nach langer Pause endlich mal wieder ein Moin, Moin aus dem Norden. Wir sind wohlauf und haben uns so langsam eingewöhnt. Die letzten Wochen waren sehr anstrengend für mich, für meinen Partner und auch für unsere kleine Ida. Aber alles der Reihe nach.
Da ich mich leider an viele Teile der Geburt nicht erinnern kann, möchte ich in diesem Beitrag auch meinen Partner zu Wort kommen lassen. Er stand mir in den langen und schwierigen Stunden der Geburt wie ein fester Fels in der Brandung zur Seite.
Leandra:
Am Dienstag den 29.01.2018 fuhren wir morgens noch einmal zu meiner Frauenärztin. Ich war nun sieben Tage über dem errechneten Termin und die Zeit des Wartens erschien mir endlos. Der kleinen Ida ging es wie immer gut, dennoch sprachen wir nun ernster über das Thema „Geburtseinleitung“. Bei einem anschließenden Telefonat mit unserer Hebamme entschieden wir uns, am nächsten Tag in die Universitätsklinik zu fahren, um nachmittags die Geburt einleiten zu lassen. Mir ging es mit dieser Entscheidung sehr gut, endlich hatte das Warten ein Ende. Am Nachmittag schlief ich noch einmal lange, packte die restlichen Sachen in die Kliniktasche und um acht Uhr ließ ich mir ein heißes Bad ein. Der nächste Tag würde anstrengend werden, also lautete das Tagesmotto „Maximale Entspannung“.
Schon in der Wanne merkte ich die ersten Wehen. Nachdem der ganze große Bauch eingecremt wurde und ich um neun Uhr eingekuschelt im Pyjama im Bettchen lag, wurden die Wehen immer häufiger und stärker. 8-10 Minuten Abstände, 1 Minute Wehen. Würde sich die kleine Ida, kurz vor knapp, doch noch auf den Weg zu uns machen.
Wir riefen zur Sicherheit schon einmal unsere Hebamme an. Sie packte ihre Sachen zusammen und wir sollten uns auch schon einmal fertigmachen. Zwei Minuten später riefen wir sie wieder an, ich blutete leicht. Zunächst kein Grund zur Sorge. Es blieb bei unserem Plan. Sie war soweit startklar und wir riefen nun auch unser Storchentaxi an.
Gegen 22 Uhr erreichten wir den Kreißsaal. Die Wehen kamen konstant alle 10 Minuten und waren noch gut erträglich. Wir richten uns zunächst gemütlich in unserem Wunschkreißsaal ein, dem mit der großen Badewanne. Das alles anders kommen würde als geplant und die Wannengeburt in weite Ferne rücken würde, war uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Die erste Untersuchung ergab eine Muttermunds Öffnung von 2 cm. Bis um 2 Uhr veratmete ich die Wehen im Gehen, Stehen und Liegen. Ab 2 Uhr wurde ich etwas müde und ich ließ mir von unserer Hebamme mit Medikamenten etwas helfen. Über einen Tropf erhielt ich Buscopan und Vomex. Die Wehen wurde stärker, aber durch die Schmerzmittel und die leicht einschläfernde Wirkung vom Vomex, erträglich. Mein Freund und ich kuschelten uns etwas ein und veratmeten die Wehen gemeinsam.
Um 5 Uhr morgens kam dann die erste große Enttäuschung. Die Untersuchung ergab 3 cm Muttermunds Öffnung. Nach sieben Stunden Schmerzen, Kämpfen, Atmen und Aushalten. Nach sieben Stunden nur 1 cm! Meine Motivation sank in den Keller und mit ihr sank auch die Wirkung des Schmerzmittels. Es folgte eine Stunde im Tunnel der Schmerzen. Eine Wehe folgt auf die nächste und ich hing nur noch schreiend an der Bettkannte. Zu diesem Zeitpunkt wäre ich dann gerne nach Hause gegangen. Wir entschieden uns schließlich für eine PDA.
Das Setzen der PDA habe ich überhaupt nicht gespürt. Schlimm war lediglich das ganze drum herum und vor allem der Wehenhemmer. Ich fühlte mich, als würde ich jegliche Kontrolle über meinen Körper verlieren. Mein Herz begann zu rasen und um mich herum dröhnte es nur noch. Zum Glück saß die PDA gleich beim ersten Versuch und die Schmerzen wurden schnell weniger. Was für eine Erleichterung, endlich durchatmen. Mit der PDA wurde mir ein Wehen fördernder Tropf verpasst. Die Wehen kamen nun wieder regelmäßig, aber ich hatte endlich einmal Pause. So könnten wir es vielleicht doch noch schaffen. So könnte ich weiter durchhalten. Die Geburt ist eine Bergbesteigung, so hatten wir es im Geburtsvorbereitungskurs gelernt, und ich wollte doch unbedingt aus eigener Kraft auf den Gipfel.
Noah:
Und da waren wir nun, der Berg war halb bestiegen, doch der Gipfel schien noch in so weiter Ferne. Ich war unglaublich stolz auf meine Frau, wie stark sie kämpfte und wie eisern sie durchhielt. Sollte unsere Tochter nur halb so stark werden wie ihre Mutter, dann war ich überzeugt, wird sie als selbstbewusste Frau alle kommenden Hindernisse in ihrem Leben überwinden. Als Mediziner die Geburt seines eigenen Kindes und die neun Monate davor zu erleben hat viele Vor- und Nachteile. Einerseits ist man überdurchschnittlich gut informiert andererseits besonders sensibilisiert für eventuelle Komplikationen. So auch während der Geburt. Immer wieder schielte ich unauffällig auf das CTG. Mir war nicht entgangen, dass sich so genannte Dezelerationen, also das Absinken der fetalen Herzfrequenz häuften. Ich wollte meine Frau nicht beunruhigen und so sprach ich diskret unsere Hebamme an, welche die Veränderung im CTG aber auch schon bemerkt hatte.
Leandra:
Nun war klar, unserer kleinen Maus geht es nicht mehr gut. Für die absolute medizinische Sicherheit musste nun noch Blut von Idas Kopf abgenommen werden. Das Ganze nennt sich Mikroblutuntersuchung (MBU). Bitte was? Wie sollte das denn gehen? Wie das geht habe ich dann kurz danach erfahren. Meine Beine wurde ich wie beim Frauenarzt hochgelagert, mir wurde der alt bekannte Wehenhemmer gespritzt und ein Röhrchen vaginal eingeführt. Über dieses Rohr konnte dann eine Nadel in die Gebärmutter eingeführt werden. Beim dritten Versuche klappte es endlich. Die Spuren der Untersuchungen sehe ich heute noch an Idas kleinem Köpfchen. Auch dieser Test ergab, unserer kleinen Maus geht es immer schlechter. Die Stunde der Wahrheit rückte langsam näher. Unsere Hebamme meinte schließlich, dass es ihr sehr leidtäte aber eine natürliche Geburt immer unrealistischer wird. Sie würden mich nun für den Kaiserschnitt fertigmachen. Kaiserschnitt! Ich hatte mich auf vieles vorbereitet, aber nicht auf einen Kaiserschnitt. Während mir die Tränen über die Wangen liefen und mein Freund und ich uns an den Händen klammerten, wurde ich für die Operation fertiggemacht. Intimrasur, Blasenkatheter und Trombosestrümpfe.
Kurz darauf stürmte der Doktor in Weiß ins Zimmer: „Ah ja, was haben wir denn hier? Schlechte Werte! Naja, aber das schaffen wir noch mit einer natürlichen Geburt!“
Bitte was? Nun doch eine natürliche Geburt? Und was ist mit den 3cm Muttermundsöffnung trotzt 20 Stunden Wehen und den schlechten Werte von Ida? Statt sich um mich zu kümmern, erteilte der Oberarzt meinem Freund dann noch eine kleine Studieneinheit Gynäkologie und Geburtshilfe, man sei ja schließlich vom Fach und unter Kollegen. Wunderbar, so hatte ich mir das vorgestellt. Meine Hebamme war ebenfalls auf 180 und konnte sich nur mit viel Disziplin zurückhalten. Also hieß es weiter mit dem Wehentropf, Atmen und sich so langsam von der PDA verabschieden. Diese konnte nicht weiter aufgezogen werden, da man die Reserve brauchte, falls es doch zu einem Kaiserschnitt kommen sollte.
Nach einer halben Stunde schweifte mein Blick zum CTG-Monitor. Darauf zu sehen, ein DIP 1 und DIP 2, wie aus dem Lehrbuch, das erkannte sogar ich als Leihe. In der Zwischenzeit war auch bei den Ärzten und Ärztinnen Schichtwechsel. Hatte meine Hebamme darauf spekuliert? Ich weiß es bis heute nicht. Kurze Zeit später betrat ein neuer Doktor in Weiß den Raum. Ach, den kannten wir doch von unserem frühzeitigen Besuch im Krankenhaus mit den abnehmenden Kindsbewegungen. Arzt: „Ja die Werte sind ja schlecht! Da müssen wir eine Mikroblutuntersuchung machen!“ Bitte was? Schon wieder? Also alles noch einmal von vorne: Beine hochlagern, Wehenhemmer spritzen, Rohr einführen, Blutabnehmen, Warten. Immerhin klappte es dieses Mal beim ersten Versuch. Die Blutwerte waren wie bereits vor einer Stunde, immer noch schlecht. Ja dann jetzt wohl doch ein Kaiserschnitt! Ich fühlte mich zu diesem Zeitpunkt nur noch wie ein kleines Teilchen im Zahnrad des medizinischen Getriebes.
Mittwochmorgen 8:00 Uhr / OP Universitätsklinikum Lübeck: Im OP musste nun alles ganz schnell gehen. Ich fühlte mich wie ein Schweinchen auf dem Schlachttisch. Alle Gliedmaßen weit von mir gestreckt, wurde überall an meinem Körper gezerrt, gestochen, geklebt und getupft. Endlich ein bekanntes Gesicht unter all den grünen Masken: meine Hebamme und mein Mann! Der erste Schnitt wurde sofort gesetzt. Dann wurden meine Muskeln durchgerissen. Schmerzen! Ein intuitiver Schrei: „Ich spüre das!“ Panik kam unter den Anästhesisten auf, davon bekam ich aber schon nichts mehr mit. Erst wurde es dunkel und dann flackerten wie in einem Albtraum immer wieder diese Gesichter mit Masken vor mir auf. Schließlich ein rotes Köpfchen! Was? Wie? Wo war ich überhaupt?
Noah:
Als Mann fühlte ich mich in dieser Situation unglaublich hilflos. Meine Frau war auf dem OP-Tisch ängstlich ausgeliefert und alles was ich tun konnte, war ihre Hand zu halten und zu versuchen ihr beizustehen, obwohl ich selbst kaum noch Kraft hatte. Aber ich musste durchhalten. Für Sie. Für unsere Tochter.
Eigentlich sollte man keine Schmerzen unter der OP spüren, doch die PDA schien aus irgendwelchen Gründen nicht richtig zu wirken. Sofort reagierte wie oben beschrieben die Anästhesie und gab meiner Frau Ketanest, ein starkes Schmerzmittel mit psychedelischen Nebenwirkungen. Meine Frau wirkte wie aus dem Leben geschossen. Ihre Augen begannen zu zittern und ihr Herz zu rasen. Dann ging alles ganz schnell: hinter dem Sichtschutz drang der erste lebensbejahende Schrei unserer Tochter zu uns und schon brachte man sie zu uns. Ich brach in Tränen aus und weinte wie ich noch nie in meinem Leben geweint habe. Zum einen war ich erfüllt von unsäglicher Freude über die Geburt unseres kleinen Wunders und andererseits zutiefst traurig weil man meiner Frau durch das zuvor gegebene Mittel die Geburtserfahrung und die ersten Sekunden mit unserem Kind geraubt hatte.
Sofort bekam ich unsere perfekte Tochter in meine Arme und zeigte sie Leandra, jene hatte aber jegliches Gefühl für Raum und Zeit verloren und schien sie nur wie im Traum wenige Sekunden immer wieder mal wahrzunehmen.
Auf einemal musste sich Leandra dann übergeben, es wurde hektisch im OP und das Team wirkte sichtlich angespannt. Während man versuchte zu verhindern, dass meine Frau an ihrem Erbrochenen erstickte, wurde ich aus dem OP gebracht und bekam im Kreißsaal das schönste Baby der Welt zum ersten Bonding auf die nackte Haut.
Leandra:
Einige Zeit später wurde ich in den Kreißsaal geschoben. Da lag bereits mein Freund mit unserer Tochter auf der Brust. Endlich konnte ich sie in die Arme schließen, halten, stillen und nur noch weinen. Endlich war sie da, meine Ida!
Mittwoch 30.Januar 2019 / 8:45 Uhr / 3460 Gramm / 52 cm
Eure Leandra
Bild: privat