In vier Wochen bekommen wir unser zweites Kind. Aber wie bekommen wir das dann auf die Reihe, wenn schon unser erstes Kind so mörderisch anstrengend ist?
Liebe Leserinnen und Leser,
das letzte Wochenende hat mir mal wieder gezeigt, wie gut wir es doch mit einem gesunden Kind haben.
In unserer Nachbarschaft gibt es ein Mädchen, das fast im gleichen Alter wie Tanja ist. Es kränkelte nun schon einiger Zeit vor sich hin mit Erkältungen einschließlich einer Mittelohrentzündung. Schlimm genug. Nach einiger Zeit verstärkte sich das Ganze zu einer Lungenentzündung. Noch schlimmer. Zwei Wochen Krankenhaus waren die Folge.
Letzte Woche wurde das Mädchen wieder als geheilt entlassen. Aber am Wochenende verschlechterte sich der Zustand rapide. Ein Lungenflügel ist wieder so entzündet, dass er ohne Funktion ist. Diesmal ging es gleich auf die Intensivstation. Es kommt nun darauf an, ob das nunmehr x-te eingesetze Antibiotikum endlich anschlägt. Die Eltern sind natürlich in größter Sorge, zumal zeitweise Lebensgefahr bestand.
Wenn ich mir so etwas vor Augen halte, kann ich nur sagen, dass die robuste Gesundheit Tanjas wirklich ein Segen ist. Da nehmen wir es dann doch etwas lockerer, wenn sie nachts einmal quer übers Bett kotzt. (Und mal wieder ordentlich auf Holz klopfen.)
Eigentlich wollte ich diese Woche darüber schreiben, welche Überlegungen wir zur bevorstehenden Geburt haben, wo und wie meine Frau entbinden soll und über meine Rolle dabei. Aber der Tag heute war wieder so schlimm, dass in mir langsam echt die Panik hochsteigt, wie wir das überhaupt schaffen wollen mit zwei Kindern.
Als sich das zweite Kind ankündigte waren wir eigentlich guten Mutes. Bei Geburt von Nr. 2 wäre Tanja schon bald dreieinhalb Jahre alt, vernünftig und im Kindergarten. Dann würden wir also bei ihr aus dem Gröbsten raus sein. Dachten wir.....
Aber tatsächlich sind wir im Augenblick im Gröbsten drin, nämlich in der dicksten Trotzphase.
Wenn man sich mal die Phase eines Kleinkindes anschaut, so ist ja immer das Problem die Unvereinbarkeit zwischen dem, was sie wollen, und dem, was sie können. Am Anfang wollen sie etwas (bei der Mutter sein, das Spielzeug holen, essen), können es aber nicht. Das erzeugt Frustration, aber zugleich Motivation zur Weiterentwicklung. Wenn ich das Spielzeug will, muss ich mich bewegen.
Bei der Trotzphase scheint sich mir das Ganze vollkommen umzukehren. Jetzt kann das Kind eigentlich die meisten Sachen, will sie aber plötzlich nicht mehr. Das Kind kann aus dem Auto ein- und aussteigen, will es aber nicht. Es kann am Tisch sitzen und essen, will es aber nicht. Es kann sich an- und ausziehen, will es aber nicht.
Dabei geht es gar nicht um wesentliche Dinge. Sondern um Nebensächlichkeiten, z.B. ob sie sich abends selbst auszieht oder sich lieber ausziehen lässt. Das wäre ja eigentlich kein Problem, da wir natürlich einfach fragen können („Willst Du Dich alleine ausziehen oder soll ich es tun?“). Aber es wird zum Problem, wenn Tanja nicht weiß, was sie eigentlich will bzw. alle 3 Sekunden ihre Meinung ändert. Dann geht das etwa so:
„Willst Du Dich selbst ausziehen?“
„Nein, Du machen“
„Okay“ Man versucht ihr, den Pulli auszuziehen.
„NEIN! Ich will das selbst machen!“
„Aber Du hast doch gerade gesagt...... Na gut, mach es selber“
„Ich will es aber nicht selber machen!!“
„Was sollen wir denn nun machen, willst Du sich selbst ausziehen oder soll ich es machen?“
„ICH WEIß NICHT!!!!!“
So geht das dann über 10 Minuten. Je nachdem, wie ihre Laune ist, steigert sie dann komplett in diese Sachen hinein. Machen – nicht machen – selbst machen – Du machen – ich weiß nicht......
Wir fühlen uns wie in einem Minenfeld. Wir wissen ganz genau, dass um uns herum Gefahr lauert, dass jede noch so kleine Bewegung die nächste Mine hochgehen lässt. Aber wir wissen nicht, wo genau die Minen liegen.
Okay, tief durchatmen. Wie kann man dieses Problem lösen? Und hier fängt unsere Ratlosigkeit an.
Wenn wir viel Glück haben, können wir Tanja einfach in den Arm nehmen und knuddeln, in der Hoffnung, dass sie sich beruhigt. Wenn wir noch mehr Glück haben, schaffen wir es, sie zum Lachen zu bringen und so die Situation zu entspannen. Aber das klappt leider höchstens in einem Viertel der Fälle. Was bleibt noch an Möglichkeiten?
Möglichkeit 1: schlagen. Ja, ich weiß, da zucken jetzt alle zusammen. Und natürlich schlagen wir unsere Tochter nicht. Aber ich kann sagen, dass man in solchen Situationen, gerade wenn man müde ist oder unter Zeitdruck steht, am liebsten schlagen würde. Ich weiß nicht, wie anderen Eltern geht, aber ich stehe in manchen Sekunden nur Millimeter davon entfernt. (Bevor jetzt alle auf mich verbal eindreschen: Hier können nur die Eltern mitreden, die Kinder im Trotzalter hatten oder haben.)
Aber es ist klar, die Möglichkeit fällt raus. (Nervtötend ist bei ihren Anfällen übrigens auch, dass sie bei der leisesten Berührung lautstark "Au, au!" schreit. Ich bin so froh, dass wir ein Einfamilienhaus haben. In einer Wohnung hätten die Nachbarn sicher schon die Polizei gerufen, um die vermeintlich prügelnden Eltern verhaften zu lassen.)
Möglichkeit 2: „gewaltsam“ durchsetzen. Das Kind will sich nicht ausziehen, also ziehe ich es aus. Glaubt mir, das ist machbar, wenn das Kind ein oder zwei Jahre alt ist. Aber eine Dreijährige bekommt man nicht ausgezogen, wenn sie es nicht will.
Möglichkeit 3: an die Vernunft appellieren. Mensch, das müsste doch möglich sein. Einfach mal locker sagen: „Ich weiß ja, das es Dir nicht gut geht. Aber Du musst Dich halt jetzt ausziehen, weil......“. Klingt gut, klappt aber nicht. Denn in diesen Trotzphasen wird das Hirn einfach ausgeschaltet. Jeder Versuch, an die Vernunft zu appellieren, ist fruchtlos.
Möglichkeit 4: positive Folgen aufzeigen. Auch eine klasse Idee. Einfach sagen: „Wenn Du Dich jetzt ganz schnell ausziehst, dann schauen wir uns ein ..... -Buch an.“ Glaubt mir, klappt auch nicht.
Möglichkeit 5: negative Folgen androhen. „Wenn Du nicht gleich......, dann werden wir aber auch nicht ......“ Hilft genauso wenig. Ein trotzendes Kind interessiert sich nicht für irgendwelche in naher oder ferner Zukunft angedrohte Konsequenzen.
Möglichkeit 6: Bestechung. Wäre es vielleicht eine Möglichkeit, einfach zu bestechen? „Wenn Du Dich jetzt gleich ausziehst, bekommst Du auch ein Gummibärchen“. Das mag vielleicht sogar eine Zeitlang funktionieren, aber eine Lösung ist das mit Sicherheit nicht.
Möglichkeit 7: Mehr Freiraum geben. Ich habe mal gelesen, dass man in der Trotzphase den Kindern einfach mehr Freiraum geben soll. Das klappt auch zu einem bestimmten Teil. Und zum Teil macht man es auch aus Selbstschutz, weil man weiß, dass jedes Eingreifen die nächste Mine hochgehen lassen würde. Aber über bestimmte Sachen wie das Anschnallen im Auto oder eben das Zähneputzen kann man nicht diskutieren. Und auch die coolen Sprüche wie „Ihr müsst Euch einfach mehr Zeit nehmen, einfach genug Zeit einplanen, dann kommt man nicht unter Stress“ helfen doch auch nicht weiter. Irgendwann muss Tanja sich anziehen, wenn wir in den Kindergarten müssen, da kann sie noch so viel Zeit dafür bekommen, sie tut es halt nicht.
Möglichkeit 8: fällt Euch noch was ein?
Uns nämlich nicht. Wir sind so ziemlich am Ende unseres Lateins. Es vergeht eigentlich derzeit kein Tag, an dem meine Frau nicht weint, weil sie einfach nicht mehr weiter weiß.
Erschwerend kommt hier natürlich für meine Frau dazu, dass sie in der 36. Woche nicht mehr richtig belastbar ist. Und diese Woche musste sie auch noch teilweise eine Hand in einem dicken Verband tragen, da ein Finger entzündet war. Ich versuche natürlich, meine Frau so weit wie möglich zu entlasten, aber stoße hier natürlich auch an meine Grenzen. Denn wenn wir zu dritt sind, ist es oft noch viel schlimmer, als wenn wir zu zweit sind.
Wie soll das erst mal werden, wenn wir in 4 Wochen ein zweites Kind bekommen? Bisher freut sich Tanja ja darauf, aber was ist, wenn sie merkt, dass sie dann nicht mehr im Mittelpunkt steht? Wird das dann mit dem Trotzen noch schlimmer? Und dazu noch das schreiende Baby und die schlaflosen Nächte? Mir schwant Fürchterliches. Meine Frau glaubt zwar, dass das schon irgendwie klappen wird, aber ich sehe nur einen unendlich langen, dunklen Tunnel vor uns. Im Augenblick habe ich Angst vor jedem neuen Tag.
Ich habe mir heute erstmal drei Ratgeber-Bücher über Kindererziehung bestellt, vielleicht helfen die uns weiter.
Ach ja, für alle die, die (noch) kein trotzendes Kind haben und jetzt meinen, dass ich ja hoffungslos übertreibe und sowieso aus allem ein Problem mache. Hier sind mal einfach ein paar zufällig ausgewählte Überschriften aus einem Trotz-Forum in Internet: „Ich schrei nur noch rum“ , „bin ausgerastet“, „FRUST!“ „Er hört nicht zu“, „Ich könnte schreiiiiiiien!“. Schön, dass es bei anderen auch nicht besser läuft.
Damit ich jetzt nicht nur negativ schreibe:
Es gab auch einen sehr schönen Tag am Wochenende mit langem Zoobesuch, gemeinsamer Arbeit im Garten (bei der Tanja tatsächlich toll mithalf) und Weihnachtsmarktbesuchen. Der Weihnachtsmarkt in unserer Stadt ist dieses Jahr richtig hübsch gemacht mit vielen Lichtern und viel Livemusik und Tanja fand das klasse.
Apropos Weihnachten: Dann haben wir zwischen Weihnachten und Neujahr Tanja für 11 komplette Tage. Ich habe jetzt schon den Horror.
Bis dann
Euer erschöpfter Gerd