Das Leben zu viert macht mir körperliche Beschwerden und viel Freude.
8.30 Uhr
So, heute jetzt mal aus dem Café. Johann ist heute schon wieder kurz nach sieben wach geworden. Unsere Jalousien dunkeln nicht stark genug ab, um ihn nicht morgens recht früh in den Wachmodus zu bringen: schmatzen, strampeln und sich nach Mama umsehen. Er wird ja nicht jeden Morgen in der gleichen Position wach und muss sich erstmal neu orientieren: mal liegt er in seinem Beistellbettchen, mal dicht an mich gekuschelt, mal quer im Doppelbett gelagert. Letztendlich gibt seine Position auch Aufschluss darüber, wie die Nacht war. War ich zu müde, ihn wieder in sein Bettchen zu legen? Bin ich wieder mit ihm an der Brust nuckelnd eingeschlafen? War mir sein ewiges Nuckeln zu anstrengend, so dass ich ihn dann doch irgendwann etwas von mir weggeschoben habe? Ganz ehrlich, am besten schlafe ich, wenn er in seinem Bettchen liegt und ich ihn nur zum Trinken kurz im Sitzen stille. Ihn dicht neben mir liegen zu haben, funktioniert eigentlich nicht. Entweder machen wir uns gegenseitig beim Hin- und Herdrehen wach oder mein Milchgeruch macht ihn ständig sehr viel Appetit. Das war schon bei unserer Großen der Fall. Keine Ahnung, wie es andere mit ihrem Familienbett machen. Ich schlafe am liebsten ganz allein mit viel Platz nur für mich.
Heute scheint die Sonne. Auf der Straße fahren Mamas und Papas ihren Nachwuchs auf dem Fahrrad zur Kita oder holen sich hier noch schnell einen Kaffee, bevor es zur Arbeit geht. Vereinzelt sitzen auch Touristen mit ihren Koffern in den Cafés. Der Buchladen, der Weinladen, die anderen Geschäfte sind noch zu.
Johann liegt im Kinderwagen und ich warte auf mein Frühstück. Heute Nacht wurde mir zum ersten Mal richtig bewusst, dass wir jetzt für immer zu viert sein werden. Bis jetzt war ich immer nur mit dem „Machen“ beschäftigt: Stillen, schlafen, essen, Kind Nr. 1 bespaßen, Haushalt, Beziehung, Freunde….. Jetzt ist es auch bei mir angekommen, nicht nur bei meiner Tochter: Johann geht nicht mehr weg.
Das wünsche ich mir zwar auch nicht, aber das Projekt „Familie mit zwei Kindern“ ist zugegebenermaßen doch eine größere Umstellung als ich mir vorstellen konnte. Die Motivation für Kind Nr. 2 kam vor allem aus dem Gefühl heraus, dass alles noch einmal erleben zu wollen: Schwangerschaft, Geburt, die erste Zeit. Aber es ist keine Wiederholung sondern es ist alles irgendwie anders. Und obwohl ich durch unsere Tochter noch gut im Training bin, was den Umgang mit einem Baby bzw. Kleinkind betrifft, so ist es doch jetzt doppelte Arbeit. Es fällt mir sehr schwer, mich zu begrenzen. Weniger Projekte pro Tag zu planen, mir genug Ruhe zu gönnen und zu akzeptieren, dass jetzt alles noch langsamer vor sich geht. Vieles muss wirklich einfach liegen bleiben. Das macht mich oft unzufrieden.
Körperlich bin ich ganz schön angeschlagen: Hatte am Wochenende wieder einen Milchstau, habe viel geschlafen und habe noch immer Rücken- und Nackenverspannungen, so dass ich unbedingt was machen muss. Zu allem Überfluss habe ich, als ich mich mit Johann im Arm in unsere Hängematte legen wollte, das Gleichgewicht verloren und bin gestürzt. Johann hat zum Glück kaum was abbekommen, aber ich habe eine fiese Schürfwunde und gezerrte Bänder am Knöchelgelenk, sodass ich etwas humpeln muss.
Aber es gibt auch Schönes zu berichten: Unsere Tochter ist jetzt im Fragealter angekommen. Durch ihre wunderschöne Intonation am Ende des Satzes hört man das Fragezeichen fast förmlich. Es erlaubt uns auch mehr Einblicke in ihr Innenleben. GIBT ES AUF DEM FERNSEHTURM EIN SOFA; WO MAN DRIN SITZEN KANN? WO STILLST DU JOHANN? HIER AN DER BRUST? DA AN DER BRUST? Sie hat nun auch bemerkt. ER IST NUN GAR NICHT MEHR SO KLEIN: ER KANN SCHON LÄCHELN: Man merkt schon, dass sie ihn sehr lieb hat.
Johann hat seine Scheu vor fremden Leuten auch abgelegt: Er geht jetzt ganz unproblematisch bei anderen auf den Arm, flirtet und lächelt jeden an. Das erleichtert die Nachmittage ungemein, wenn ich beide Kinder habe und gefühlt fünf Hände gleichzeitig bräuchte. Es kostet mich nach wie vor viel Improvisationskunst, wenn ich beide Kinder nachmittags und abends allein habe und sie nacheinander ins Bett bringen muss. Im Sommersemester hält mein Mann nämlich wöchentlich Vorlesungen und heute zum Beispiel ist „Baugruppentreffen“. Da wären wir bei noch einem schönen Punkt angelangt: Letzte Woche war Richtfest unseres Bauprojekts. Ja, auch wir gehören zu den „Baugruppen-Leuten“ im Kiez, die sich ihre schicke Eigentumswohnung mit Blick auf den Fernsehturm was kosten lassen. Aber mal ganz ehrlich, langsam freue ich mich riesig darauf. Wir haben mit unserer Tochter den Rohbau besichtigt, während Johann ganz ruhig in seinem Kinderwagen im Hof schlief. Die netten Rohbauern hatten ein Auge auf ihn und wir liefen durch unsere spätere Wohnung. Wir haben um uns so viele tolle spätere Nachbarn und unsere Kinder werden viele Spielfreunde haben.
So, mein Akku ist jetzt leer. Klar, den habe ich vor meinem Losgehen nicht mehr kontrolliert. Bei dem ewigen Schlafmangel komme ich mit gar nichts mehr hinterher.
Grüße, Antje