Es geht ums Loslassen, das Landleben und der einzigen Adressatin eines Liebesliedes.
Hej ihr Lieben,
nun wohne ich auf dem Land. Das hätte ich nie gedacht. Ich habe mir einen Podcast zum Thema „Loslassen“ angehört, während mich die kleine Zuckerbiene herrlich anstrahlt. Conclusio: Salutogenese. Dieses Modell nach Antonovsky besteht aus drei Schritten – wenn man diese befolgt, soll man jede Situation annehmen können. Der erste Schritt beschreibt das Gefühl von Verstehbarkeit. Hierbei ist es für mich wichtig, dass ich das letzte Jahr verstehe, auch wenn ich es so niemals geplant habe oder gewagt habe, mir vorzustellen.
Der zweite Schritt beschreibt das Gefühl von Handhabbarkeit beziehungsweise Bewältigbarkeit. Auch wenn mir die Situation mit der Geburt meiner Tochter und der Umzug aufs Land „einen Break in meinem Leben“ gibt – so wie es im Intro bei „Fest und Flauschig“ heißt – die Situation ist von mir zu bewältigen. Ganz pragmatisch gedacht aus dem Grund, weil das Leben einfach immer weitergeht.
Der dritte Schritt in dem Modell beschreibt das Gefühl von Bedeutsamkeit. Ich muss einen positiven Sinn in dem Umzug sehen. Ich liebe meine Tochter über alles und auch der Umzug aufs Land wird einen Sinn haben. Pragmatisch gedacht, bei den täglichen Kinderwagentouren auf dem Land nerven mich die E-Scooter auf den Bürgersteigen nicht. Das ist furchtbar in Köln. Man kommt so oft mit dem Kinderwagen nicht mehr auf dem Gehweg vorbei. Psychologisch betrachtet habe ich noch nie so viel gelernt wie aus der Beziehung zu dem Vater des Kindes – die kurze Zeit deckt ein ganzes Psychologie-Handbuch ab. Und zwar ist mir die Aufarbeitung der Situation so bedeutsam, weil ich zum ersten Mal bohrlochtief verletzt wurde. Und klar, jeder Mensch hat Macken, aber man darf nicht alles tolerieren. Und zwar dann, wenn jemand anderes einem die Selbstliebe absaugt, sollte man wirklich einen Break setzen.
Die letzte Nacht im Schlafzimmer in Köln mit Beistellbettchen und bunt dekorierter Wickelecke verlief anders als gedacht – ziemlich traurig. Es gab einen Streit mit dem Vater über die Raumtemperatur für Salome im Schlafzimmer und dann wurde wieder mit bohrungstiefen Verletzungen um sich geschlagen, beispielsweise, dass es mit mir das furchtbarste Jahr war und er so froh sei, wenn wir uns übermorgen nicht mehr sehen würden und so weiter.
Bei einem Kinderwagenspaziergang zuvor hat er sich noch dafür bedankt, dass ich ihn bei der Geburt dabei sein lassen habe und dass es der schönste Moment in seinem Leben war. So schnell ändert er die Meinung. Vermutlich wird er sich für die verletzenden Aussagen irgendwann entschuldigen, aber das passiert leider immer und meine Seele ist keine Tafel, die man immer wieder abwischen kann. Die Sätze bleiben hängen. Daher mein Motto „Loslassen“. Er ist der Papa, aber auch ihr zuliebe brauchen wir keine gemeinsamen Ausflüge machen. Also Loslassen von der Vorstellung, dass es gemeinsame Urlaube oder Freizeitparkbesuche mit Papa, Tochter und Mama gibt. Es wird ein Team geben: Salome und ich.
Loslassen muss ich im Moment von vielem, damit es mir besser geht. Oft habe ich im Wochenbett gedacht, wie schön es wäre, wenn mir jetzt wer etwas zu essen aufs Tablett ans Bett bringt. Das ist einmal bei meiner Mutter passiert – ich hätte fast weinen können. Aber wenn man einfach die Situation annimmt und sich von seinen Vorstellungen befreit, kann man glücklich werden. Was mir gerade sehr fehlt, ist meine Arbeit, bei der ich viel Reisen und Unterwegssein musste. Ich war so gut wie immer unter Menschen und amüsierbereit und jetzt ist man ziemlich isoliert. Man trifft sich zwar mal zum Spazierengehen mit anderen Muttis, aber man geht immer mit Salome heim und zu Hause ist niemand. In Köln habe ich zwei wunderbare Mamis kennengelernt. Sie haben zwar eher klassische Themen zu präsentieren, weil die eine verheiratet ist und die andere heiraten wird, aber sie haben offene und liebevolle Ohren für meine Themen – sie sind zwei wahre Profiherzmamis, die jeden Entwicklungsschritt bei den Kindern benennen können. Generell habe ich nur Freunden von meiner privaten Situation erzählt, weder bei meiner Hebamme noch dem Kinderarzt oder anderen Institutionen habe ich erwähnt, dass ich alleinerziehend bin. Ich will kein Mitleid erhalten – das kann schließlich jeder bekommen.
Was lasse ich gerade noch los: Meine Jobträume. Derzeit sehe ich viele interessante freiberufliche Jobausschreibungen. Die Coronapandemie neigt sich dem Ende zu und es werden viele Projekte und Events nachgeholt. Ich würde mich so gerne bei einigen Jobs bewerben, aber oftmals muss man kreative Bewerbungen mit einem Video einreichen, für die ich mindestens einige Stunden Ruhe bräuchte, damit die Bewerbungen auch gut werden. Das schaffe ich leider im Moment nicht. Einer Freundin, die mit mir bei einer Agentur arbeitet, schickte ich eine Job-Ausschreibung und sie schrieb mir: „Genieß doch deine Family-Time!“. Ich antwortete nicht, weil es Team-Zeit zwischen Salome und mir gibt.
Natürlich ist beruflich gesehen der Ausblick auf die Verbeamtung in meinem studierten Beruf nicht schlecht, aber es fühlt sich so verdammt unaufgeregt an – ich nenne es irgendwie Berufungshospiz, weil man dann nur noch auf den Ruhestand hinarbeitet und vorher nicht mehr den Beruf wechselt. Mich schmerzt diese berufliche Einbahnstraße, aber dafür habe ich ein wunderschönes kleines Mädchen mit einem hohen Energiepotenzial. Für sie würde ich alles machen.
Apropos: Der Umzug mit Baby war sehr anstrengend – mein Tipp: Zieht immer vor der Geburt um – ich habe das wirklich unterschätzt. Aber auch das bekommt man als Mama hin. Man kann Care-Arbeit, den Behördenkram und das Körperliche – also übernächtigt das Kind immer tragen und schuckeln oder im Kinderwagen schieben, damit die Tränen in die Wüste geschickt werden. Das, was ich gerade wirklich vermisse, ist, dass mich ein Partner in den Arm nimmt und sagt, dass er mich liebt. Denn irgendwie vergibt man seine ganze Liebe ganz selbstverständlich an das kleine wunderbare Wesen – natürlich gibt sie einem die Liebe zurück, aber es ist etwas anderes als die partnerschaftliche Liebe. Und es ist nicht befriedigend, wenn jemand sagt, du leistest viel oder du machst das gut mit ihr. Das fühlt sich nach ausreichend in Schulnoten an. Man will einfach bedingungslos und ohne Leistungsanerkennung, dass man das alles für die kleine Dame macht, geliebt werden.
Am kommenden Sonntag habe ich Geburtstag. Es ist mein erster Geburtstag mit meiner kleinen Biene und ich wette, ich bekomme das größte Geschenk, und zwar: ein Lächeln, ganz unverpackt und unerwartet und somit ist es die größte Überraschung – plus, ihr ahnt es schon: EIN KUSS IST EIN MUSS – (da könnte man jetzt auch einen Song rausmachen, zum Glück habe ich reichlich Musikerfreundinnen). Vermutlich werden mich ein paar langjährige Freundinnen besuchen und es wird Kuchen geben und Mama-Talk – aber nicht der stereotype Mama-Talk über Heirat und Hauskauf, sondern über wirklich Redenswertes. Ich bewundere meine Schulfreundinnen so dafür, wie sie ihre Kinder allein großziehen, weil der ein Partner in Brasilien sitzt und der andere Partner krank ist. Sie bringen beide ihre Töchter mit und der Geburtstag wird bestimmt sehr schön werden, weil zwei wunderbare kleine Mädchen da sein werden, die superstarke Mamis haben - the future is female.
Salome gehts gut. Sie hat zwar abends ihre tägliche Schreiphase, bevor es in die lange Schlafphase der Nacht übergeht, aber sie wächst und gedeiht. Sie liebt Kinderwagenfahren, ist die lauteste Schmatzerin beim Stillen und beim Nuckeln am Schnuller und ihre Pupse hört man im Nebenraum. Heute geht es mit ihr zur ersten Impfung. Natürlich möchte ich sie impfen lassen, aber ich dachte vielleicht daran, dass nicht alle Impfungen nötig seien. Jedoch, wenn man eine einzelne Impfung wählt, dann sind die Impfstoffe sehr alt und erhalten mehr Konservierungsstoffe. Daher gibts heute die Sechsfach-Impfung. Wenn sie dabei weint, zerreißt es mir mein Mutterherz. Aber vermutlich ist das Training fürs Zähnekriegen. Manchmal denke ich, dass die Natur es den Eltern hätte auch leichter machen können. Beispielsweise hätten die Kinder auch mit Fell und Zähnen auf die Welt kommen können. Irgendwann würde dann das Fell abfallen – und zwar genau dann, wenn die Kinder sich selbst anziehen können. Denn dann bräuchte man auch keinen Kleidungs-TÜV und es gäbe kein Geschrei auf dem Wickeltisch beim Ankleiden vom Babykörper und das Trösten beim Zahnen wäre den Eltern auch erspart worden.
Was passierte noch in dieser Woche: Ich hatte meine erste Stunde des Rückbildungskurses. Der Kurs war in einem wunderschönen alten Fachwerkhaus und die Leiterin hat richtig Sport mit uns gemacht. Das gefiel mir – es war also nicht nur „und wir spannen mal den Beckenboden an und lassen wieder locker“ – denn solche Übungen kann ich auch beim Zähneputzen machen. Dafür brauche ich keine Autofahrt der Natur zuzumuten. Aus umweltbewussten Gründen versuche ich darauf oftmals zu verzichten, jedoch liegt die Hebammenpraxis im Nirgendwo und ist gar nicht mit dem ÖPNV zu erreichen. Die Leitung ging im Kurs herum und fühlte unsere geraden Bauchmuskeln, die bei der Schwangerschaft natürlicherweise nicht mehr da sind. Bei mir war keine Lücke mehr mit den Fingern zu spüren und sie guckte verwundert Salome an, die sich unter einem Spielbogen amüsierte und fragte, ob ich tatsächlich dieses Kind bekommen habe. Ich sagte „ja“ und dankte wieder mal meiner Tochter und der Natur, dass die Schwangerschaft ohne jegliche körperliche Blessur an mir vorüberging. Meine Seele muss heilen, aber das wird schon.
Zu guter Letzt gibt es noch einen zauberfantastischen Song von Clueso auf die Ohren – „Alles zu seiner Zeit“ heißt er. Salome ist genau zur richtigen Zeit gekommen und sie ist der einzige Mensch, dem ich jemals ein Liebeslied schreiben würde. Hört unbedingt den Song – mich hat dieser beim täglichen Kinderwagenmarathon unendlich umarmt. Während ich Clueso gelauscht habe, sah Salome beim Kinderwagenfahren das beste Mobile – und zwar die vielen tanzenden Blätter auf den Bäumen, die im Moment so aussehen, als ob sie Rouge tragen – also bei den Kinderwagentouren stimulieren wir beide unsere Sinne. Und nebenbei: Generell gibt es selten intelligente Mobiles. Oft liegen Kinder darunter und die Gegenstände zeigen den Babys nur den Po. Wenn dort Tiere oder andere Dinge dran rumbaumeln, sollten die gefälligst nach unten gucken – das kommt irgendwo in eine Fußnote des Kleidungs-TÜVs.
Das war es für heute. Und nicht vergessen: Ein Kuss ist ein Muss!
Salome und Vroni