Der Spätsommer heizt weiter ein - wir genießen die letzten Ferientage - die Spannung steigt- wann kommt er, der kleine Mann? Mein Bauchgefühl sagt, 10 Tage drüber werden es nicht, aber Punktlandung an meinem persönlich bestimmten ET, damit hätte auch ich anfangs nicht gerechnet...
Wo war ich stehen geblieben. Ach ja, bei Freitag, dem 26.8.2016… Wie gesagt, bereite ich noch allerhand für den Samstagabend vor und halte meiner Freundin telefonisch mehrfach das Händchen, da ihr ganz schon die Nerven flattern vor dem großen Tag ihrer Tochter. Dann gehe ich mit meiner Familie in die Synagoge zum Freitagsgebet. Ja, diese Facette habe ich noch nicht erwähnt. Wir sind Juden. Es ist wunderschön. Ich singe die Gebete lauthals mit, denn Singen öffnet ja. ;) Dort werde ich natürlich gefragt, wann es denn so weit ist und ich sage meinen Standardsatz: „Wenn ich das wüsste, würde ich heute schnell auch noch Lotto spielen…“ Zuhause gibt es anschließend immer eine festliche Mahlzeit (Kiddusch). Es ist ein Brauch, dabei Kerzen anzuzünden. Normalerweise zündet jede erwachsene Frau 2 Kerzen an. Wir haben den Brauch erweitert, dass wir für jedes Familienmitglied eine Kerze anzünden und ich frage mich an diesem Abend, ob ich in der nächsten Woche eventuell schon fünf anzünden werde. Meine Gebärmutter wird immer wieder sanft hart.
Dann kommt der sehr heiße Samstag. Morgens ist meine Family in der Synagoge. Nachmittags ruhen wir uns gut aus, um für die „Cirque du Soleil“- Bat Mitzvah („Tochter der Pflicht“ / Feier, wenn ein Mädchen 12 wird) fit zu sein. Wie es halt im Leben so ist, der Babysitter hat abgesagt. Es wird ein Abend zu viert. Wir werfen uns in Schale. Auf der Straße gratuliert ein Passant zur Hochzeit, so schick sind wir in weiß. ;) Wow! Es ist die Hammer-Party schlecht hin. Alle Freunde und Bekannte fragen ständig, ob ich das Gefühl habe, dass es jetzt losgeht, da heute der rechnerische Termin ist. Die Gebärmutter zeigt weiterhin sanft, dass sie arbeitet. Aber es ist ruhig in mir. Wir haben so viel Spaß und tanzen bis um zwei Uhr nachts. Alle sind sich sicher: Morgen hat Sara ein Kind im Arm!
Den Sonntag verbringen wir ganz gemütlich. Mir ist es irgendwie zu heiß um die Mittagszeit ins überfüllte Taunus-Freibad zu fahren und so chillen wir, frühstücken ausgiebig und die Kinder spielen noch mal ausgiebigst Playmobil, bevor am nächsten Tag die Schule wieder startet. In unserer Gemeinde findet ein Back-to-School-Event statt und wir treffen perfekt zum Abschluss-Sushi-Essen ein. Nee, Sara, noch immer mit Bauch! Sorry, Leute! ;) Mit meinem Mann schimpfe ich nachts um zwei, dass er gefälligst ins Bett gehen soll, da ich einen ausgeschlafenen Mann möchte, im Falle einer Geburt.
Am Montag ist wieder komplett Alltag. Kids in Kindergarten und Schule. An mir laufen meine Schüler vorbei, drücken mich und winken. Schon komisch. Stell dir vor, es ist Schule und du geht’s nicht hin… Dann Frauenarzt-Termin. „Wann kommt denn ihr Kind?“ fragt sie. „Das wollten wir eigentlich von Ihnen wissen!“ sagt LovelyHusband ;). Wir schauen: Plazenta minimal griselig, minimal am Verkalken, Fruchtwassermenge nimmt etwas ab. MuMu ist 1cm auf. Sie will nicht weiter pulen. Aber es autscht etwas. Hat die mir heimlich den Eipol gelöst?!? Wir beraten das weitere Vorgehen. Am Mi Hebamme, am FR Termin bei ihr. Ab Mo vorstellen in der Klinik. Igitt!!! Wir schauen uns beide an. Ich sage, dass ich davon ausgehe, dass ich vor Ende der Woche Dreifachmama bin. Sie sagt, sie vermute das Gleiche, wünscht eine tolle Geburt und wir fahren zurück nach Frankfurt. Schon beim Einsteigen ins Auto merke ich, dass das Ziehen im Unterleib regelmäßiger wird. Hey, würd mal sagen, Eipol gelöst…Kommt mir bekannt vor. Zuhause ruhe ich mich erst mal aus. Retourniere ein Paket, das doppelt geliefert wurde und ich nun endlich nach vier Woche das Rücksendelabel in Händen halte!!! Dann gehe ich im Café mit meiner NY-Freundin essen und ihrem Dad. Wenn man sich so lange nicht sieht, hat man sich einfach viel zu sagen… Meine Freundin aus der Nachbarschaft stößt hinzu. Sie hat ja auch zwei Mädels und jetzt kommt der Junge. Sie ist ganz schön verzweifelt, weil bei ihr mittwochs dann eingeleitet werden soll. Ich erzähle ihr nichts von den Vorgängen in meinem Körper, um sie nicht zu deprimieren. Wir verabschieden uns und ich sage noch: “Wart’s ab. Der kommt schon von alleine. Vielleicht kommen die ja sogar am gleichen Tag!“
Dann Abholen in Kindergarten und Schule: Auch dort immer noch ungläubige Blicke, weiterhin einem Babyorca gegenüberzustehen. Beim Ballettunterricht das Gleiche. Dort treffe ich eine liebe Kollegin mit deren Töchtern, die nun auf Montag gewechselt haben. Mit ihr kann ich so einiges Schulisches bequatschen. Hatte ich doch letzte Woche ein etwas schlechtes Gewissen, als mir meine Schulleiterin bei einer Stippvisite in der Schule sagte, sie hätte niemanden für mich, ich solle jetzt mal hier schnell das Kind bekommen und am Montag wieder voll arbeiten. So ist es aber nicht!!! Für mich gibt es Ersatz. Eine ¾ Stelle einer anderen Kollegin ist unbesetzt. Das Hartwerden des Bauches wird noch regelmäßiger. Im Blumenladen, der an diesem Tag auch aus der Sommerpause zurück ist, besorgen wir Blümchen. Auch hier Verwunderung.
Zuhause gönne ich mir eine halbes Ständchen Ruhe und parke die Mädels vor dem IPad. Langsam bekomme ich so eine Vorahnung, dass es heute oder morgen soweit seit könnte. Ich packe die Frühstücksboxen, lege die Klamotten bereit, richte Schulranzen, Tennistasche und Kiga-Rucksack, schreibe noch einige Post-Its für die Kinderbetreuung etc. Mein Mann kommt gegen 18.30 Uhr heim. Wir essen zu Abend. Wie am Vortag sind die Kinder aufgedreht wegen der Hitze, weil sie einfach um 20.00 Uhr noch nicht müde sind und eventuell spüren, dass sich da was tut. Denn seit dem Wochenende fragen sie, wann denn endlich „Brudi“ raus kommt. Ich signalisiere meinem Mann meine Geburts-Vorahnung und lege mich hin. Dort liege ich nicht lange. Gegen 20.30 Uhr spüre ich so eine Art Knacken und ein Schieben in mir. Da kein Fruchtwasser ausläuft, bin ich mir sicher, dass sich das Köpfchen gesenkt haben muss. Ich gehe zur Toilette und sehe eine Zeichnungsblutung. Ok. Also rufe ich kurz meine Hebamme an, weil ich ganz vergessen habe zu fragen, bei welchen Wehenabständen ich ins Krankenhaus soll. Sie sagt lieber früher los, als dann wieder in Stress zu geraten. Ich entscheide mich gegen eine spontane Hausgeburt: Kinder sind wach, es ist heiß und es ist nur bei offenem Fenster zu ertragen. Das geht hier nicht. Dann rufe ich die allerliebste Erzieherin an und bitte sie in 30 min bei uns zu sein. Nun melde ich mich in der Klinik an, bin froh, dass Kathrin Dienst hat und keine Italienerin, die schlecht Deutsch kann. „Wir kriegen heute Nacht ein Kind zusammen, Kathrin. Ich freu mich!“ Die Lieblingserzieherin kommt, bekommt letzte Anweisungen, die Mädels werden ruhiger und wir steigen entspannt ins Taxi. Es ist kurz vor 22 Uhr. Die Fahrt durch das nächtliche Frankfurt ist herrlich. Wir scherzen und plaudern und sind einfach voller Vorfreude: Der Zeitpunkt ist perfekt…LovelyHusband hat just ab heute zwei Wochen keine Kundentermine angenommen. Die Schule hat begonnen. Der Kuchenverkauf bei der Einschulungsfeier kann auch ohne mich starten, NY-Mama bringt alle Mädels zum Tennis… Perfekt! Ja, solche Dinge gehen einem nicht durch den Kopf, wenn man zum ersten Mal Mama wird. Bei zwei Kids geht erst mal deine innere Agenda an, was, wann, wo ansteht am nächsten Tag… Krass, oder? War ich innerlich zuhause noch sehr angespannt, kann ich im Taxi endlich loslassen. Weil ich weiß: Det läuft!
Im Krankenhaus wurde ich herzlich empfangen von Kathrin. Wir beziehen Kreißsaal 2 mit Skylineblick. Hier ist Goldkind zur Welt gekommen. Sie untersucht: MuMu 1cm und schreibt 40 min Mörder-CTG. Oho, man sieht das erste Mal in meiner Karriere als Mutter WEHEN auf dem Papier! Wir dürfen ins Wehenzimmer, weil ich mich dagegen entscheide, noch mal heimzugehen. Wir haben nun etwa 22.45 Uhr. Gegen 23.45 treffe ich auf die Ärztin: Kopftuch, Hände und Beine bis über die Handgelenke bedeckt, aus Libyen, seit 9 Monaten in Deutschland. Spricht ok deutsch. Auweia! Bitte heute kein Kaiserschnitt mit dir! Wo ist der OA, soll ich doch sagen, dass ich privat bin? Und ich in Trainingsklamotten meiner jüdischen Eishockeymannschaft. Bitte sprich mich bloß nicht drauf an. Doch sie ist ganz lieb, legt prima die Nadel, möchte nur gerne ne Ultraschallstudie von 30 min machen und mich dann ausführlich nach meiner Anamnese fragen, doch ich beende das Treffen mit Verweis, dass alles in meiner Akte steht und verabschiede mich auf mein Zimmer, da die Wellen nun deutlicher werden. LovelyHusband versucht zu schlafen. Ja, der Schlafmangel rächt sich nun. Keine 30 min später muss ich die Wellen vertönen. Es ist kurz vor 1. Er tut mir so leid, ich will ihn nicht stören, weil ich nicht weil, wie schnell es geht, ich will, dass er fit ist. Aber leise, nein, das geht nicht. Er steht auf und stoppt die Abstände mit unserer App von 2012. Nach sieben Wellen frage ich ihn, ob die Abstände und Dauer kurz sind. Ich habe wieder dieses Knall-Auf-Gefühl von 2012, das ich durch Atmen gut aushalten kann. Er bejaht und ich schicke ihn, Kathrin holen. Sie ist begeistert und sagt, dass wir nun in den Kreißsaal umziehen können. „Meinst du wirklich, jetzt schon?“ Und dann stehen wir nach einer Welle im Türrahmen auch schon dort. Kathrin möchte gerne untersuchen, ich klettere auf das Kreißsaalbett. Doch liegen geht nicht. Ich merke, das Köpfchen drängt nach unten. Kathrin sagt, dass ich nen Vierfüßler machen soll und dass er kommen darf, wenn er jetzt möchte. In meinen Kopf schießt: Bald bist du nicht mehr schwanger, bald ist er da. Das Gefühl, um das ich bei Sonnenschein gebracht wurde. Ich fühle LovelyHusbands Anwesenheit. Kathrin ist leise, mehrfach frage ich, ob sie noch im Raum ist. Ich darf nach meinem Instinkt mein Baby runteratmen. Nur ab und zu bremst mich Kathrin, um den Damm zu schützen. „Wow, du machst das toll. Manche Frauen sind einfach zum gebären geboren!“- „Sch…ja!“ ist das einzige was ich sagen kann und ich werde ungeduldig. Diese 6 min Austreibungsphase kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Zum ersten Mal öffne ich bei einer Geburt in einer Wehenpause die Augen. Der Kopf ist da. Ich fasse die nassen Haare an und er schreit, noch nicht ganz draußen und er schreit. Ich muss kichern. Tut das nicht, es ist schmerzhaft unter Wehen!!! Hinter mir lachen 2 etwas lauter. Dass die Ärztin telefonisch gerufen wurde, hatte ich noch mitbekommen. Sie betritt lautlos den Raum und bleibt so ruhig, dass ich sie nicht bemerke. Dann hat „Brudi“ es geschafft. Es ist 1:26 Uhr. Ich lege mich instinktiv hin und Kathrin klatscht mir unser Glück nass, warm, zufrieden auf den Bauch und deckt uns warm zu. Wir begrüßen uns. Tränen fließen. Mit Skylineblick.
„Am Ende wird alles gut, und wenn nicht alles gut wird, war es noch nicht das Ende.“ (Oscar Wilde)
Teil II beim nächsten Mal…
LG Sara