Leonas erblickt früher als erwartet das Licht der Welt
PANIK!!! „Die Fruchtblase ist geplatzt!!!“
Schlagartig waren die Jungs wieder hellwach und Lennart rief Papa „zu Hilfe“.
Der hielt das Ganze aber zunächst für einen Scherz, da ich bisher noch nie einen vorzeitigen Blasensprung hatte und somit auch diesmal eigentlich nicht damit zu rechnen war. Und außerdem lief ja gerade „Schalke - Inter“!!! Ein triftiger Grund mehr, das Rufen zu überhören...
In der Zwischenzeit hatte ich Gelegenheit, über die Worte meiner Hebamme beim letzten Vorsorgetermin nachzudenken.
Sollte es doch ganz unverhofft losgehen, dann sei sie auch für eine Hausgeburt gut ausgerüstet... ICH und HAUSGEBURT!! -daran war nicht im Entferntesten zu denken!!!
Bei meiner hypochondrischen Veranlagung musste ein mind. 20-köpfiges Team, bestehend aus den besten Ärzten der Region, berufserfahrenen Hebammen und liebevollen Kinderkrankenschwestern parat stehen!!
Leander war auch nicht tatenlos, übte sich derweil im Kopfrechnen und meinte schließlich ganz begeistert: „Mama, wenn das Baby nun auf die Welt kommt, dann kannst Du ja doch bei meiner großen Tanzvorführung im Kindergarten dabei sein! Das hat unser Baby aber ganz toll gemacht!!!“
Stimmt! Das hatte unser jüngster Spross in der Tat gut hinbekommen. Der Termin für die Tanzvorführung lag nämlich direkt in der „heißen Phase“ und das hatte mir schon die ganze Zeit Kopfzerbrechen bereitet, weil ich mit großer Wahrscheinlichkeit den Solo-Auftritt meines Sohnes als „Michael Jackson“ nicht „live“ hätte miterleben können!!! Nun klappte ja alles doch wie am Schnürchen!!! Manche Dinge regeln sich eben einfach von selbst... :-)
Irgendwann stand dann doch mein verdutzter Ehegatte in der Tür und fragte, ob ich tatsächlich einen Blasensprung gehabt hätte...
„Nein, Schatz, alles nur Spaß! Ich habe einen Eimer Wasser auf die Matratze geschüttet und mich reingelegt! WITZBOLD!!! Es geht looos!!! Hier und jetzt!!! Also „schwing die Hufe“ und ruf´ die Hebamme an, es wird wohl doch auf eine Hausgeburt hinauslaufen...“
Der Gedanke daran machte mich definitiv nervös...
Mittlerweile war es 22:30 Uhr und meine Hebamme schlummerte offensichtlich schon tief und fest, denn ich hatte leider nur das Vergnügen mit Ihrem AB zu sprechen und auch meine Bitte, sich doch schnellstens bei mir zu melden, verhallte im Äther...
Langsam ebbte die Panik ein wenig ab und ich konnte wieder klarer denken.
Hatte ich überhaupt Wehen? Nein – da unten war alles ruhig. Keine Wehen - keine unmittelbare Geburt! Dann könnte es ja evtl. doch noch klappen, rechtzeitig in die Klinik zu kommen!
Da unser kleiner Mann sich noch nicht komplett ins Becken eingedreht hatte und somit die Gefahr bestand, dass die Nabelschnur vorfallen könnte, rief mein Mann einen Krankenwagen, damit ich liegend transportiert werden konnte.
Die Sache mit dem „Liegend-Transport“ nahm ich sehr wörtlich...zum Leidwesen der Rettungskräfte! ;-) ...schließlich befand ich mich im 2.Stock!!!
Auf die Details über den „spektakulären“ Transport nach unten möchte ich hier nun lieber verzichten, da ich sowieso schon viel zu sehr ausschweife. Aber so viel sei gesagt: einen gestrandeten Wal zurück ins Meer zu befördern ist sicherlich einfacher! ;-)
Sollte ich noch mal in so eine prekäre Situation geraten, dann werde ich alles daran setzen, die Treppenstufen doch zu Fuß zu gehen!!! ;-)
Mein Mann fuhr im eigenen Auto hinter dem Krankenwagen her und bat mich, kurz durch zu klingeln, sollte unser Jüngster bereits während der Fahrt das Licht der Welt erblicken.
Soweit kam es aber -Gott sei Dank!- nicht und wir erreichten alle wohlbehalten das KH.
Nach einem gründlichen Check wurde mein Mann nach Hause geschickt und ich auf Station verlegt.
Der diensthabende Arzt meinte, mit diesem Befund könne sich die Geburt durchaus noch bis zu zwei Tagen hinziehen... Man müsste nun einfach abwarten. Nach 10 Stunden wollten sie mit einer Antibiotika-Therapie beginnen, damit keine Keime zum Ungeborenen aufsteigen konnten. Nach 24 Stunden würde die Geburt dann eingeleitet... Nur das nicht!! Das hatte ich bereits bei unserem ersten Kind erlebt und daran hatte ich keine guten Erinnerungen!
Ich hatte ein äußerst ungutes Gefühl, meinen Mann nicht mehr an meiner Seite zu haben. An Schlaf war auch nicht wirklich zu denken, da meine Bettnachbarin bereits entbunden hatte und der Kleine recht unruhig war.
Es war schon ein sonderbares Gefühl, dieses kleine Menschlein zu sehen und die vertrauten Geräusche zu hören. In wenigen Stunden würde auch ich so ein winziges Bündel in Händen halten!
Nach und nach stellten sich ein paar Wehen ein...nicht wirklich stark und schon gar nicht regelmäßig!
Auf die Nachfrage, ob ich nun meinen Mann anrufen könnte, meinte die Hebamme, ich solle ihn doch noch ein wenig schlafen lassen, er bräuchte doch die Kraft für die kommenden Stunden...
HALLO!?!?!?!?! Und nach mir fragt hier wohl keiner!?!?
Gegen 6:30 Uhr hielt ich es dann nicht mehr länger aus, der kleine Mann wollte mit aller Macht nach draußen...aber natürlich nicht ohne seinen PAPA!!!
Also schnell den Hörer geschnappt und den werdenden Vater mit Nachdruck darüber in Kenntnis gesetzt, sich SCHLEUNIGST auf den Weg zu machen!!!
Eine knappe Stunde später hatte ich meine bessere Hälfte wieder an meiner Seite und mir fiel ein Felsbrocken vom Herzen! Nun konnte es endlich losgehen!
Die Hebamme checkte noch mal kurz die Lage und meinte allzu lange würde es nun wohl nicht mehr dauern, aber für ein gemütliches Frühstück, um Kraft zu tanken für die bevorstehende Geburt, sei allemal Zeit.
Schon auf dem Weg zurück zum Zimmer wurde mir klar, dass ich das Frühstück heute wohl doch eher ausfallen lassen sollte...
Mittlerweile kam Wehe auf Wehe ohne nennenswerte Erholungsphase!
Welcher Affe mich gebissen hatte, in dieser Situation meinen Mann noch mal loszuschicken, um mir eine Kanne Tee aufzubrühen, weiß ich bis heute nicht. Das waren die längsten Minuten meines Lebens!!! Ständig kamen Männer aus der Teeküche, nur nie der Meinige!!!
Um einer Geburt auf dem Stationsflur zu entgehen, sagte ich den Schwestern Bescheid, dass ich mich bereits auf den Weg zum Kreißsaal machen würde...sollte mein Mann doch noch mal auftauchen, könne er mich dort finden.
Durchaus amüsiert versprachen mir die Damen, meinen Mann darüber in Kenntnis zu setzen und wünschten mir für die Geburt alles Gute...
Im Kreißsaal angekommen, bot mir die nette Hebamme noch allerlei Gutes an, um die Eröffnungsphase so angenehm wie möglich zu machen. Sie konnte ja nicht ahnen, dass unsere Sprösslinge auf solchen „Schnick-Schnack“ in der Regel verzichten und direkt mit der Austreibungsphase beginnen.
So erblickte unser Leonas bereits wenige Minuten später -nach 2-3 Preßwehen- das Licht der Welt.
Die herbeigerufene Ärztin schaffte es auch dieses mal wieder nicht rechtzeitig bei der Geburt dabei zu sein...
So leicht es mir fällt, über die Geburt zu berichten, so schwer ist es doch, die Gefühle in Worte zu fassen, die einen jedes mal auf´ s Neue überwältigen, wenn man dieses wundervolle Geschöpf schließlich in Händen halten darf.
Deshalb möchte ich meinen Geburtsbericht gerne mit folgendem Auszug schließen:
„ Und dann keuchte und würgte eine Stimme, dünn und heiser, und plärrte einen ansteigenden Kanon.“ Ein entzückender Junge“, sagte die Schwester (…)
Doch jetzt im Sonnenlicht erkannte sie ihn, und sie erkannte, dass sie ihn nicht kannte, ihn noch nie gesehen hatte und ihn liebte, in der hellen, neuen Luft und mit einer Selbstverständlichkeit, die sie niemals für möglich gehalten hätte. >Du<, sagte sie zu ihm, und zum ersten Mal berührte ihrer beider Haut sich in der Luft da draußen, die warm und leuchtend war.
>Du<“
Antonia S. Byatt, Stilleben