Gedanken über vorher und nachher
Sonntagmorgen. 8:44 Uhr. Ruben macht gerade wieder Pause (schläft also), nachdem ich um 6 Uhr mit ihm aufgestanden bin. Der Morgen verlief ohne Kacka in der Hose. Ruben hatte letzte Woche Durchfall. 15 bis 30 Minuten nachdem ich ihn gestillt hatte machte es einen riesen Platsch und ich konnte ihn nur noch in die Dusche stellen und umziehen. Manchmal bis zu dreimal in zwei Stunden. Davon abgesehen das Durchfall schon wirklich doof ist, ist es doppelt doof bei einem Kind, dass Wickeln auf das Tiefste hasst. Manchmal kann ich ihn mit einem Büchlein ganz gut ablenken. Manchmal kostet es mich einige Substanz seinen Widerstand und das ganze Drama auszuhalten und auf den Moment zu warten, wo er wirklich abgelenkt ist und er zumindest für wenige Sekunden liegen bleibt.
Ich dachte zuerst, dass der Durchfall im Zusammenhang mit den Zähnchen stehen würde. Dieser wurde aber im Laufe der Woche immer heftiger und ich hatte auch immer mehr den Eindruck, dass Ruben zeitweise richtig platt war. Am Freitag habe ich dann doch einmal den Kinderarzt kontaktiert und wir haben sogar am Vormittag noch einen Termin bekommen. Es ist ein Virus. Aber da kann man nur abwarten bis er aus dem Körper heraus ist. Gestern hat er mittags fast drei Stunden geschlafen. Vielleicht ist ja das Schlimmste bald überstanden. Jedenfalls ist der Morgen durchfallfrei verlaufen. Das lässt hoffen.
Beim Arzt musste er sich wegen dem Wiegen natürlich auch hinlegen. Schon da begann er sich auf das Heftigste zu wehren. Dann ging es weiter mit Bauch abhören und noch Atemwege und Ohren anschauen. Er hat so geweint und musste regelrecht fixiert werden. Wir müssen Anfang Dezember zur U6 und zum Impfen. Da wird mir jetzt schon übel. Ich habe keine Ahnung, wie man ihn nach dem ersten Piek noch ruhig bekommen soll. Das erscheint mir nach Folter… Aber Impfen muss auch sein… Ob er das Erlebnis wohl speichert? Mittlerweile weiß er genau, wo welche Sachen sind, kennt wiederkehrende Abläufe.
Ruben ist am Mittwoch 11 Monate alt geworden.
Ich werde voraussichtlich noch drei Einträge schreiben und wir werden bald seinen ersten Geburtstag feiern. Ich werde gerade viel an meine Schwangerschaft erinnert, an die Geburt. Ich habe Photokalender mit seinen Bildern als Weihnachtsgeschenke erstellt. So viele Erinnerungen. So viele Gefühle und Befindlichkeiten, Situationen, die wieder ganz präsent sind.
Oft frage ich mich auch, wie es ohne Ruben war. Nur das eigene Leben haben. Ich muss ja unglaublich viel Zeit gehabt haben! Zeit für andere Dinge, die mir wichtig waren. Die haben mittlerweile gar keinen Raum mehr in meinem Leben. Dazu gehört beispielsweise Radfahren mit meinem Mann; am Wochenende in Bike Parks die Rampen herunterfahren und Zeit gemeinsam haben. Viel Zeit. Nicht nur mal eine halbe Stunde. Mein Studium gehört dazu. Das vermisse ich enorm. Ich versuche Gedanken an meine Klasse zu verdrängen; was sie gerade alles dazu lernen. Ja, da bin ich neidisch. Auch gehört die freie Zeiteinteilung dazu. Zum Yoga gehen. Schwimmen. Kaffee mit einer Freundin. Das alles wird mit Spielplatz ersetzt. All meine Aufmerksamkeit bezieht sich auf einen kleinen Menschen. Ich habe mir nie zugetraut, dass ich das kann. Und das erstaunlichste: ich liebe ihn. Trotz dem ganzen Aussaugen. Es fängt gerade an, dass ich etwas von ihm erwidert bekomme. Ruben kuschelt. Wenn ich ihn bei Benjamin gelassen habe, um etwas zu erledigen und wieder komme, läuft er strahlend auf mich zu und umarmt mich. Er hält mich ganz fest und drückt seinen Kopf gegen meine Schulter und seinen kleinen Körper an mich. Das ist das Berührendste, das ich bisher erlebt habe. Gegen 5 Uhr Früh muss ich mittlerweile ebenfalls ganz dicht an mich ziehen und sein Händchen streicheln. Wenn er angerollt kommt und ich nicht sofort reagiere, stupst er mich. Dann ziehe ich ihn zu mir und habe ihn so unglaublich lieb in diesem Moment. Die Zeit wenn Ruben Mittagsschlaf hält, brauche ich dann doch sehr dringend für mich. Anstrengend ist die ganze Sache irgendwie doch.
Ruben kuschelt auch mit seinem Stoffschaf. Das habe ich heute morgen das erste Mal bewusst beobachtet. Er hält das Schäfchen weg, lacht es an und zieht es zu sich um mit dem Händchen über das Fell zu streichen.
So ist das. Da wird man ungeplant schwanger, plötzlich gibt es ein weiteres Persönchen und alles ist anders. Das ist Fakt. Und was ich noch krasser finde: bald ist schon ein Jahr vergangen. Letztes Jahr um diese Zeit war ich in Berlin im Studium mit einer riesigen Trommel vorne dran. Mittlerweile nehme ich nicht mal mehr die Manduca mit, wenn Ruben und ich raus gehen, weil er selber dippelt. Zwar meistens nicht in die Richtung, die ich vorgesehen hatte, aber ich plane nun viel mehr Zeit ein, wenn ich es schaffe. Verrückt.
Manchmal, wenn er mir auf die Nerven geht, weil er etwas nicht so macht, wie ich es mir vorgestellt hatte, oder meinem Zeitplan entspricht oder ich ihn abends einfach mal im Nebenzimmer schlafend haben will, denke ich darüber nach, ob ich gerne wieder etwas anders haben möchte. Manchmal möchte ich Freiheiten wieder haben. Aber das, was ich dagegen eingetauscht habe, wiegt schwer und macht mich so viel reicher. Viele sprechen davon, man brauche Herausforderungen im Leben. Baby anschaffen ist die Antwort!
Eure Judith
Bild: privat