Als Lina und ihr Mann das erste Mal versuchen, ein Kind zu bekommen, sind sie seit vier Jahren verheiratet, seit zehn Jahren kennen sie sich schon. Es war ganz klar nun der nächste Schritt, beide hatten sich immer eine Familie gewünscht. “Der Gedanke, dass es nicht klappen könnte, war gar nicht vorhanden”, sagt Lina. Sie setzt die Verhütung ab und wartet. Als eine Schwangerschaft ausbleibt, lässt sie von ihrem Frauenarzt regelmäßig ihr Blut untersuchen, um die Zyklusphasen zu überwachen. Bei Lina gibt es absolut keine Auffälligkeiten, sie ist erst Ende 20 und scheint völlig gesund. Nach zweieinhalb Jahren schlägt ihr Frauenarzt vor, dass nun auch Linas Mann sich untersuchen lässt.
Für viele Männer unangenehm
Wie vielen Männern war ihm die Vorstellung anfangs unangenehm: “Er war zunächst zögerlich und es hat ein paar Tage gedauert, bis er einen Termin beim Urologen ausgemacht hat”, erinnert sich Lina. Das Spermiogramm, bei dem das Sperma von Linas Mann begutachtet wird, liefert dann schnell Gewissheit: Er leidet an Azoospermie, in seiner Samenflüssigkeit sind keine zeugungsfähigen Spermien enthalten. Ohne medizinischen Eingriff wird er nicht Vater werden können. “Nach der Diagnose waren wir aber in erster Linie erleichtert, denn wir kannten nun den Grund und wir wussten, dass man etwas unternehmen kann”, sagt Lina.
Beide entschließen sich schnell zur künstlichen Befruchtung. Sie wollen die Hilfe eines Hamburger Kinderwunschzentrums in Anspruch zu nehmen. Dort werden Lina und ihr Mann über den Ablauf der Behandlung aufgeklärt, noch einmal umfassend untersucht, selbst auf kleinere Auffälligkeiten. Die Ärzte stellen dabei zum Beispiel fest, dass Linas Vitamin-D-Spiegel und ihre Schilddrüsenwerte nicht ganz optimal sind. Dann werden ihrem Mann bei einem operativen Eingriff Spermien aus dem Nebenhodengewebe entnommen: Dort finden sich auch bei Azoospermie oft Samenzellen von ausreichender Qualität.
Lina hatte da bereits begonnen, Östrogene einzunehmen und sie hatte sich selbst täglich einen Wirkstoff gespritzt, der die Freisetzung der körpereigenen Hormone FSH und LH anregt. In der richtigen Kombination und zeitlich abgestimmt wurde dadurch ihr natürlicher Eisprung unterdrückt, das Wachsen mehrere Follikel gleichzeitig angeregt und ein Eisprung bis zu deren Entnahme verhindert. Schließlich wurde durch progesteronhaltige Medikamente ein erfolgter Eisprung künstlich “simuliert”.
Eine Eizelle wird eingesetzt, zwei eingefroren
Die Ärzte entnehmen Lina unter einer leichten Vollnarkose insgesamt 18 Eizellen, acht davon konnten im Labor erfolgreich befruchtet werden: Die Spermien ihres Mannes werden dabei direkt in Linas Eizellen injiziert, ein Verfahren, das man intracytoplasmic sperm injection, kurz ICSI nennt. Eine frisch befruchtete Eizelle wird sofort in Linas Gebärmutter eingesetzt, zwei weitere werden eingefroren.
Aus dem ersten Versuch entsteht keine Schwangerschaft. Das passiert häufiger: Bei künstlicher Befruchtung liegen die Chancen beim ersten Mal bei etwa einem Drittel, dass eine Schwangerschaft entsteht. “Der Grund war vermutlich eine Überstimulation,” erklärt Lina. Die Medikamente, die sie auf die Entnahme der Eizellen vorbereitet hatten, hatten eine zu starke Wirkung gezeigt und eine sofortige Schwangerschaft erschwert. Doch schon mit dem nächsten Zyklus werden Lina die zwei befruchteten Eizellen eingesetzt, die zur Reserve eingefroren wurden. “Es hat sich das zweite Mal direkt anders angefühlt”, erinnert sie sich. “Ich hatte diesmal das Gefühl, schwanger zu sein”. Nach zehn Tagen wird Lina Blut entnommen und an das Kinderwunschzentrum geschickt. Lina macht vorab einen Schwangerschaftstest aus der Apotheke: Das erste Mal in dreieinhalb Jahren schlägt er nun positiv an. Ihre Frauenärztin bestätigt die Diagnose, dann auch die Kinderwunschklinik. Die Schwangerschaft wird zu Beginn noch genau überwacht: Regelmäßig wird der Spiegel des Schwangerschaftshormons HCG in Linas Blut bestimmt. Nach sieben Wochen kann sie bei einem Ultraschall den Herzschlag ihres Sohnes sehen. “Da bin ich der Ärztin vor Freude um den Hals gefallen. Es war so ein wunderschöner Tag”, sagt Lina. Die weitere Schwangerschaft ist unkompliziert. Ihr Sohn Paul kommt schließlich nach einem Kaiserschnitt gesund zur Welt. Linas Fruchtblase war geplatzt und das Fruchtwasser hatte begonnen sich zu verfärben, was für das Baby gefährlich werden kann.
Nach der Geburt von Paul steht der weitere Plan schon fest: “Es war immer klar, dass wir nicht nur eins, sondern mehrere Kinder wollen", sagt Lina. Ihr Mann hat drei Geschwister, sie selbst hat zwei, auch Paul soll in einer großen Familie aufwachsen. Sie wissen auch, dass sie nur durch eine erneute Behandlung mit den eingefrorenen Samenzellen ein weiteres Kind bekommen können. Den Ablauf der künstlichen Befruchtung kennen sie ja schon. Trotzdem warten sie zwei Jahre ab: “Wir waren sicher, dass es noch einmal klappen wird, weil es ja beim ersten Mal so schnell ging”, sagt Lina.
Auch beim zweiten Mal reagiert Linas Körper stark
Linas Körper reagiert auch diesmal wieder sehr stark auf die Stimulierung zur Eizellentnahme, frisch befruchtete Eizellen können ihr deshalb nicht eingesetzt werden. Es gelingt aber, sechs befruchtete Eizellen und drei weitere im Blastocystenstadium einzufrieren. Als die Ärzte Lina diese später einsetzen, bleibt im ersten Versuch eine Schwangerschaft aus. Die Enttäuschung ist riesengroß. Im zweiten Versuch hat Lina wieder das sichere Gefühl, schwanger zu sein, auch die Tests deuten darauf hin. Nach sieben Wochen im Ultraschall ist jedoch nur eine leere Fruchthülle zu sehen. Als Lina die Medikamente zur Unterstützung der Schwangerschaft absetzt, folgt eine Blutung und damit die Fehlgeburt. "Ich war am Boden zerstört. Es war eine schlimme Zeit”, sagt sie. Ein weiterer Rückschlag ist es, als auch der dritte Versuch nicht klappt, bei dem sie zunächst eigentlich ein gutes Gefühl hatte. Ein möglicher Grund: Eine Gebärmutterspiegelung ergibt, dass ihre Uterusschleimhaut nach dem Abgang in keinem so guten Zustand ist. Obwohl sie den Ablauf der künstlichen Befruchtung nun genau kennt: Alles fällt dieses Mal etwas schwerer, auch die Spritzen und Medikamente empfindet sie diesmal als unangenehmer.
Momentan sei sie erschöpft, sagt sie. Sie hat wieder angefangen zu arbeiten, seit Paul bei einer Tagesmutter ist – auch um die Behandlungen zu bezahlen. Ihre Krankenkasse übernimmt die Kosten der ICSI zu 50 Prozent, es verbleibt ein hoher Eigenanteil von inzwischen mehreren tausend Euro.
Sie und ihr Mann wissen, dass es normal ist, wenn eine Kinderwunschbehandlung nicht gleich gelingt und mehrere Versuche nötig sind. “Wir hatten wohl das erste Mal einfach ziemlich viel Glück gehabt”, sagt sie. Lina kennt die statistischen Chancen und musste das in der Kinderwunschklinik sogar vor Behandlungsbeginn unterschreiben. “Ich bin Mathematikern, ich weiß was die Zahlen bedeuten", sagt sie. "Aber es sind halt auch nur Statisten.” Es sei trotzdem ein Riesenschock gewesen, dass die zweite Schwangerschaft so lange auf sich warten lässt.
Was sie ebenfalls manchmal belastet: Auf Wunsch Ihres Mannes haben sich Lina und er entschlossen, niemandem von der Samenentnahme und den künstlichen Befruchtungen zu erzählen. Ihre Freunde und ihre Familie wissen zwar, dass sie eine Fehlgeburt hatte. Von den vielen Besuchen im Kinderwunschzentrum wissen sie nichts. „Für die Fahrten nach Hamburg gab es immer eine gute Erklärung, da ich dort in der Nähe arbeite“, sagt sie. Das ist für Lina nicht immer einfach.
Es fehlt jemand zum Reden
“Mir fehlt jemand, mit dem ich reden kann.” sagt sie. In Foren liest sie immer wieder von den Erfahrungen anderer Frauen, das hat ihr schon oft geholfen. Auch deshalb hat sie sich entschlossen, ihre Geschichte auf kidsgo zu teilen.
Leider hätten sie einen Fehler gemacht, Paul zu erzählen, dass er ein Geschwisterchen bekommt. “Da waren wir zu euphorisch und nun fragt er häufig danach”, bedauert Lina. Noch wäre er zu klein, um alles zu verstehen, aber manches bekommt er mit: Wenn Lina von der Behandlung aus dem Kinderwunschzentrum kommt, darf sie nicht schwer heben und kann Paul erstmal nicht auf den Arm nehmen: “Das ist schwer, ihm das zu erklären”, sagt sie. Auch Paul soll aber erst einmal nicht wissen, dass er durch eine Kinderwunschbehandlung entstanden ist. “Nur, wenn es eines Tages so sein sollte, dass er selbst eine Kinderwunschbehandlung benötigt, dann werden wir mit ihm sprechen, um ihn dabei unterstützen zu können”, sagt Lina.
In Absprache mit den Ärzten macht Lina nun erst einmal eine Pause. Sie versucht, Stress zu reduzieren, bald fahren sie und ihr Mann mit Paul in den Urlaub, bis sie im Herbst einen neuen Behandlungszyklus starten wollen. So versuchen Sie, die Chancen der künstlichen Befruchtung auf Erfolg zu erhöhen. Denn in seinem sind sie sich einig: “Wir wollen es auf jeden Fall weiter versuchen.”