Hier schreibt die Königin des stillen Protests
Ihr Lieben,
ich schreibe euch gerade am Strand diesen Beitrag. Mit den Füßen im Sand, die Wellen im Ohr. Spontan haben wir von Mallorca aus eine weitere Woche Spanien gebucht und genießen gerade die Costa de la Luz. Aber um den Urlaub soll es heute nicht gehen... Ein Poolbild von Anton hänge ich euch trotzdem an. Heute muss ich mich selber auf die Schippe nehmen. Das hat Willi einfach verdient.
Die Geburt hat aus mir nicht nur eine Mutter, sondern aus unserer Partnerschaft auch eine Elternschaft gemacht. Und in dieser neuen Rolle treten neue Herausforderungen auf den Plan.
Ich habe 2014 den Studiengang Medien- und Kommunikationswissenschaft abgeschlossen und beziehe mich heute noch bei Diskussionen lachend darauf, dass ich das mit den Wörtern doch studiert habe. Das gibt mir in jedem Streit mit Willi selbstverständlich automatisch Recht. ;)
Außerdem bediene ich das entsprechende Klischee einer Frau, wenn ich mal wieder die Zehntausend-Wort-Marke am Tag knacke. Ich bin ein gesprächiger Typ und auch bei Streitigkeiten muss ich die Themen komplett ausdiskutieren. Komplett.
Ich rede bei jeder Gelegenheit.
Willi seufzt oft, wenn ich ihm jede meiner vielen Gefühlslagen verbal darlege, denn er kommt aus einer wortärmeren Familie. Wobei vermutlich jede Familie wortärmer sein wird als meine... Aber ich schweife ab.
Trotzdem ist für uns beide das Credo unserer Ehe immer gewesen: Über Themen muss man reden, bevor sie zur unüberwindbaren Hürde werden.
Mit dem Tag der Geburt wurde Willi zum Vater meines Kindes. Und damit veränderte sich einiges. Denn von meinem Ehemann erwartete ich in der Papa-Rolle Neues.
Normalerweise kriege ich ziemlich genau kommuniziert, was ich sagen möchte. Doch kickt nun mal mit Baby die Komponente Schlafmangel ein. Und was soll ich sagen? Die Wortanzahl pro Tag ist geblieben. Meine Kommunikation ist eine andere. Und vielleicht bin ich etwas dünnhäutig geworden...
Ich bin die Königin des stillen Protests geworden:
Willi fragt etwas, ich sage überdeutlich nichts und ziehe weiter mein Gesicht. An dem Ausdruck muss er ja sehen, dass etwas nicht stimmt - meine ich. Baue auf sein Feingefühl, appelliere daran mit jeder Faser meines Körpers. Meine Körpersprache ist ein einziger Aufschrei an Dingen, die Willi doch jetzt bitte, bitte merken muss. Aber nein, nichts.
Ich bleibe wortkarg (für mich sehr anstrengend!) und klage so mein Leid. Und Willi? Läuft wie Susi Sonnenschein durchs Leben. Er spürt meine Vibes einfach nicht.
Dabei wollte ich doch bei der fünften Stillsession heute Nacht nur einmal von ihm ein 'Danke' hören. Ein Danke, dass ich das wuppe ohne ihn zu behelligen. Ein Danke, dass ich weiter das Stillen durchziehe, weil wir beide es für unseren Sohn so wollen.
Bei einer Diskussion, die genau das irgendwann zur Sprache bringt, sehe ich Willis Überforderung: Er kratzt sich am Kopf, legt die Stirn in Falten und fragt verwundert, ob ich nicht gehört hätte, dass er zwei Mal nachts 'ich liebe dich' gesagt hätte.
Doch doch, habe ich. Aber ein 'Danke' wäre ja wohl etwas anderes als eine Liebesbekundung, kontere ich.
Ich sehe die Verzweiflung in seinen Augen. Dass er jetzt nicht nur Spannungen von selbst spüren soll, sondern auch noch wie bei einem Kreuzworträtsel das richtige Wort finden muss. Ich erkläre ausführlich die emotionalen Unterschiede zwischen den beiden Aussagen und merke irgendwann, dass die Müdigkeit mich nicht klar denken lässt. Nach müde kommt doof, sagt man. Und vermutlich kommt nach supermüde, superdoof. Ich als übersensible, emotionale, mich nach Schlaf sehnende Mutti. Er als unsensibler, gedankenloser Vati. Eine schwierige Mischung.
Ich muss feststellen: Gegensätze ziehen sich nicht an. Müdigkeit zieht aber Launen an.
Zum Beispiel der erste Tag seiner Elternzeit. Ich lasse ihn zum Start dieser besonderen Zeit noch etwas ausschlafen und schäle mich nach einer unruhigen Nacht müde mit Anton aus dem Bett. Organisiere offene Punkte zur anstehenden Reise, kaufe ein und bereite das Frühstück vor. Ja, ich sehe, dass Willis Handy - und damit sein Wecker - im Wohnzimmer anstatt im Schlafzimmer bei ihm liegt. Aber er wird doch sicher genauso aufgeregt sein, mit uns in die Elternzeit zu starten wie ich, oder? Und diese Euphorie hypt mich so sehr, dass sogar meine dunklen Augenringe verschwinden, während ich To-do für To-do abhake. Und so vergeht die Zeit und Willi schläft und schläft und schläft...
Um 11 Uhr, als Willi endlich die Augen öffnet, ist mein Wutlevel bereits eine 10 von einer 10. Denn ich habe schon knappe 5 Stunden das Kind bespaßt. Und Willi war offensichtlich nicht gehypt, sondern einfach nur müde.
Willi schaut bedröppelt und verweist auf das Handy, das leider unten lag. Ich höre schon gar nicht mehr zu, sondern poltere. Denn die Aufregung, ab jetzt 4 Wochen mit mir und seinem Sohn verbringen zu dürfen, muss ihn doch aufwachen lassen.
Wieder legt sich seine Stirn in Falten, wieder kratzt er sich am Kopf. Es muss schwer sein mit mir, das sehe ich ihm an.
Er holt zum letzten Appell aus und bittet mich, endlich wieder Themen anzusprechen, bevor sie in mir eskalieren. Mit Kind muss man vermeintlich Offensichtliches kommunizieren. Was man sich wünscht, was man erwartet...
Dazu fällt mir nichts mehr ein. Denn ja, mein stiller Protest trägt irgendwie keine Früchte. Und ja, Willi ist nicht immer so aufmerksam, wie ich mir das wünsche.
Und trotzdem hat er heute am Pool zwei Stunden mit Anton Quatsch gemacht, damit ich meinen Roman lesen kann. Und bucht mir eine Massage, wenn ich vom Babytragen verspannt bin. Er trocknet meine Tränen, wenn ich mal wieder alles raus lassen muss und er übernimmt jeden Abend nach dem Essen den Küchendienst, bis alles blitzt.
Vielleicht muss ICH auch manchmal 'Danke' sagen. Oder 'ich liebe dich'. Ist bei Willi nämlich das gleiche, wie wir jetzt wissen ;)
Macht's gut!
Maike