Von unseren letzten Ausflügen zur Kirschblüte im gefühlt leeren Kyoto. Anna macht Planks und ein Ostersonntag in deutscher Runde.
Hallo zusammen,
bitte entschuldigt, dass ich letzte Woche keinen Bericht mehr geschrieben habe. Ich hatte ihn am Montag schon beinahe fertig, konnte ihn aber nicht mehr abschließen. Dienstag bis Donnerstag hatte ich dann fast durchgängig Migräne, die sich zusätzlich über den halben Rücken zog. Zusätzlich war Anna sehr anhänglich und ich wusste bald nicht mehr, wie ich aus diesen Schmerzen und trotzdem auf der Seite liegend beim Stillen wieder rauskommen sollte. Mal kam mein Mann früher nach Hause, mal ging er später zur Arbeit, damit ich etwas Entlastung hatte und eine heiße Dusche nehmen konnte.
Mittwoch zwang ich mich rauszugehen an den Fluss, in der Hoffnung, dass Anna im Kinderwagen schlafen würde und ich sie so nicht tragen oder ständig hochnehmen müsste. Der Plan ging nicht ganz so auf, aber ich hatte die Picknickdecke mit und Anna war dann gut beschäftigt, sich das Gras anzugucken. Wir hatten ein traumhaftes Plätzchen unter einem Kirschbaum, ab und an wehte der Wind so stark, dass wir im Kirschblütenblätterregen saßen. Die Sonne wärmte uns und ich konnte die Kopfschmerzen fast vergessen. Das tat richtig gut.
Nun etwas chronologischer:
Vorletzte Woche habe ich viel an meine ehemaligen Kollegen gedacht, sowohl diejenigen im Büro in Hamburg als auch die freien Mitarbeiter, selbstständige Fremdsprachenlehrer in München und letztlich ganz Deutschland. Ich habe selbst auch viele Jahre selbstständig gearbeitet in dem Bereich. Ich kann mir vorstellen, dass viele von ihnen und natürlich auch viele in anderen Bereichen reale Existenzängste haben angesichts der Situation und der möglichen Dauer der Beschränkungen. Es ist furchtbar, was das alles nach sich ziehen wird. Es wäre aber auch furchtbar und vielleicht um ein vielfaches mehr, was passieren könnte ohne irgendwelche Maßnahmen. Ich hoffe, es finden sich gute Wege heraus aus dieser Situation.
Hier steigen die Zahlen weiter, momentan besonders in Tokio und Osaka, den beiden am dichtesten besiedelten Ballungszentren des Landes. Vor einer Woche wurde für sieben Präfekturen auch der Notstand ausgerufen. Damit haben jetzt die Gouverneure die Möglichkeit, verschiedene Maßnahmen in ihren Präfekturen einzusetzen. Vergangenen Freitag wurde angekündigt, dass Kyoto folgen sollte, da es einige nicht mehr nachvollziehbare Fälle gäbe. Momentan kann ich aber nichts dazu finden, dass tatsächlich der Notstand ausgerufen worden wäre.
Vorletzte Woche erfuhr ich auch von Fällen hier in unserer nächstgelegenen, kleinen Mall, in der ich häufig Brot kaufen gehe. Mitarbeiter eines Ladens waren wohl positiv getestet worden und das ganze Shoppingcenter wurde für zwei Tage geschlossen. Kurz davor war ich noch dort gewesen und hatte überlegt, in genau diesen Laden zu gehen, in dem ich gerne einfach die Sachen angucke, Inspiration hole. Ich kaufe hier ja nur noch notwendige Dinge, alles andere wäre unsinnig ein paar Monate vor unserer Rückkehr nach Deutschland. Ich war dann nicht drin, weil ich mich ermahnte, mich auf die notwendigen Besorgungen zu beschränken in unseren ersten zwei Wochen zurück.
Als ich letzte Woche wieder dort einkaufen war, sah ich ein paar Aushänge und der betreffende Laden war auch noch zu. Ansonsten gibt es in allen Supermärkten inzwischen Alkohol zur Handdesinfektion. Die Bäckereien decken die Waren ab. Alle Mitarbeiter tragen Masken.
Unsere zweite Woche zurück verbrachten wir auch größtenteils zuhause. Ich bin allerdings alleine und mit Fahrrad zum Pilates am Dienstag. Meine Freundin und Kursleiterin war einverstanden, dass ich komme, wenn ich mich weiter gut fühle. Das Studio ist groß genug und gut belüftet. Wir waren gesamt auch nur zu dritt, ganz ohne Babys. Es tat mir richtig gut und ich hatte die Tage danach einen ordentlichen Muskelkater.
Als wir letztens bei meinem Fitnessstudio in unserer Straße vorbeiliefen, war dort ein Hinweis schon vom 6. März, dass alle Rückkehrer aus stärker betroffenen Gebieten bitte zwei Wochen lang nicht ins Studio kommen mögen. Ähnliches hatte ich mir schon gedacht und war von mir aus gar nicht hin.
Nun möchte ich euch gerne noch von dem Schönen, das wir erleben dürfen, berichten und euch so Anteil haben lassen.
Anna trainiert fleißig weiter daraufhin, bald krabbeln zu können. Sie stemmt die Zehen gegen den Boden und streckt die Beine wie für Planks, dann versucht sie immer das rechte Beinchen anzuwinkeln und gleichzeitig den Popo hochzubekommen. Wenn ich sie bäuchlings über einen Oberschenkel lege, bekommt sie die Knie schon unter den Popo und einmal plumpste sie dabei schon in den Sitz. Da hat sie aber geguckt. Versucht sie doch sonst immer ganz verzweifelt aus der Rückenlage ins Sitzen zu kommen, was natürlich so nicht klappt. Ich denke, es wird nicht mehr lange dauern…
Beim Essen hat sie ordentlich Spaß, wenn ich sie auch mal in den Brei reinfassen lasse. Ich hätte ja gedacht, dass sie dann die Hände zum Mund führt, aber das macht sie nicht. Sie versucht stattdessen selbst den Löffel zu benutzen, meist eher mit mäßigem Erfolg, aber ziemlich zielsicher wandert eine Seite des Löffels im Mund. Nun gebe ich ihr auch gern mal ein Stück Toastbrot, wenn wir selbst essen wollen, aber das gibt immer ein Krümeldisaster und ich muss gleich danach den Staubsauger rausholen. Der Teppich hat inzwischen viele bunte Kleckse und ich freue mich schon darauf, ihn, sobald es die Temperaturen zulassen komplett rauszuwerfen. Nach zwei Wintern bei uns und eineinhalb Jahren bei Bekannten, die ihn uns überlassen haben, hat er dann seine Schuldigkeit getan und ich werde ihn entsorgen.
Auf einem der letzten Ausflüge hat Anna uns demonstriert, dass sie die Flasche inzwischen ziemlich gut alleine handhaben kann und den Sauger fast immer wieder zurück in den Mund bekommt. Alle Achtung, mein liebes Töchterchen! Da kommen schon die ersten wehmütigen Gedanken auf, dass sie uns irgendwann nicht mehr braucht, haha!
Nach ein paar kalten und auch nassen Tagen vorletzte Woche war es dann am Donnerstag wieder schön und warm und wir waren wieder auf Kirschblütenspaziergang in unserem Viertel unterwegs. Sie sind schon wirklich eine Pracht diese Kirschen – zu schade, dass die Früchte äußerst klein bleiben und total sauer sind.
Freitag vorletzte Woche waren wir ja dann zwei volle Wochen zurück und damit war es der erste Tag nach unserer ja eher selbst auferlegten Quarantäne. (Mein Mann war ja nur von der Uni zu Homeoffice verpflichtet.) Wir hatten all die Zeit keinerlei Symptome, die Erkältungen von vor der Reise sind auch definitiv und vollends weg.
So wagten wir uns an diesem Tag endlich wieder in den öffentlichen Nahverkehr und fuhren mit der U-Bahn zu einem Kanal, der auf beiden Seiten von Kirschblüten regelrecht eingerahmt ist. Hier unternahmen wir eine kleine Bootstour, Annas erste. Sie bekam eine kleine Rettungsweste und sah so niedlich aus! Sie hatte sich zuvor in der Trage ausgeschlafen und war dann mit Fläschchen auf der Fahrt im wahrsten Sinne des Wortes quietschvergnügt. Die Fahrt dauerte nur etwa 30 Minuten. Danach gingen wir zur Feier des Tages noch in ein Café.
Wir hatten den Freitag gewählt, weil wir dachten, dass dann weniger Leute unterwegs wären und so war es auch. In der U-Bahn war sehr wenig los, am Kanal schon etwas mehr, aber doch weniger als sonst zum Kirschblütenpeak. Es sind eben keine ausländischen Gäste in der Stadt, das ist schon auffällig. Kyoto als frühere Hauptstadt – und kulturell ist sie das immer noch – ist eigentlich immer voller Touristen.
Ermutigt durch diese Erfahrung wagten wir uns am Samstag dann zum Kiyomizu-Tempel, einer der touristischen Hauptattraktionen Kyotos. Die Besonderheit ist das auf hohen Stelzen stehende Tempelgebäude. Wir waren einmal zu Beginn unseres Aufenthalts dort gewesen, aber nicht hineingegangen. Das Gedränge schon auf dem Weg dorthin war damals so groß, dass man sich nur in einer Masse fortbewegte und der Tempel selbst war wegen Renovierungsarbeiten eingehüllt.
Dieses Mal war das 2-Meter-Abstand-Halten überhaupt kein Problem und bei leichtem Wind standen wir im Blütenregen. Wenn der Grund für dieses seltene Glück nicht so traurig wäre… Als wir nach dem Tempelbesuch noch in einem Restaurant dort aßen, waren wir die einzigen Gäste und Anna natürlich wieder mal die Attraktion. Wir saßen dort auf den hier typischen niedrigen Tischen, zwischen uns ein höherer Tisch fürs Essen. So konnte Anna ganz praktisch und nah neben mir sein und sich bewegen. Wir hatten keinen Kinderwagen dabei, nur die Trage, so dass sie sich freute, wieder Boden bzw. diese Fläche unter sich zu spüren und uns fleißig zeigte, wie gut sie schon den Popo heben kann.
Montag letzte Woche stand der nächste Impftermin an und ich rechnete damit, dass Anna dann erschöpft mittags drei Stunden am Stück schlafen würde wie nach den letzten Impfungen.
Tja, das tat sie dann erst am späten Nachmittag und ich konnte meinen Bericht auch ein gutes Stück schreiben, aber am Abend war die Maus dann total durcheinander und brauchte lange, bis sie wieder schlief.
Dienstag wachte ich dann mit Kopfschmerzen auf und hangelte mich so durch den Tag. Mittwoch genauso. Anna war noch dazu extrem anhänglich. Mittwochnachmittag bekam ich spontan Besuch von meiner deutschen Freundin aus der Nachbarschaft. Ihre Kleine läuft jetzt schon ganz wacker und Anna beobachtete sie sehr genau. Meine Freundin hatte mal wieder aussortiert und brachte mir einige Babyhütchen für Anna. Genau was wir jetzt brauchen.
Nachdem es mir so gut getan hatte, am Mittwoch draußen zu sein, wollte ich Donnerstag wieder raus, da fantastisches Wetter angesagt war. Spontan nahm sich mein Mann den halben Tag frei und ging mit. Wohin? Ihr könnt es wahrscheinlich schon raten: Zum Kirschblüten ansehen. – So langsam reicht es uns ehrlich gesagt schon, aber ein paar Orte wollten wir noch ansehen, so schnell werden wir eine solche Pracht nicht wieder sehen.
Der botanische Garten, unser erstes Ziel, war geschlossen wegen Corona. Offenbar wollten sie zur Hochzeit der Kirschblüte den typischen Menschenansammlungen keinen Raum bieten. Ist ja auch richtig. Tatsächlich sahen wir auch überall sonst an den einschlägigen Orten Schilder, dass man auf das typische Picknicken unter den Kirschbäumen dieses Jahr verzichten soll.
Unser Weg führte uns dann aber noch weiter zum Kamigamo-Schrein mit einem sehr alten, rosa blühenden Kirschbaum.
Am Freitag besuchte ich nach langer Zeit meine turkmenische Freundin mit Baby. Sie sind umgezogen und so fuhr ich mit der U-Bahn durch die halbe Stadt, ich fürchte, die Besuche werden auch deshalb nun seltener werden. Die neue Wohnung ist mit vier Zimmern sehr geräumig, endlich haben sie Platz. Davor hatten sie nämlich eine Einzimmerwohnung. In Japan ist so etwas nicht ganz so ungewöhnlich. Dadurch, dass man die Betten untertags in den Einbauschrank räumt, ist das Schlafzimmer ja multifunktional. Möbel sind in der Regel sehr mobil gemacht, also die kleinen Tische, vor denen man am Boden sitzt, sind oft klappbar und damit auch schnell verstaut am Abend.
Mit so viel Platz hat meine Freundin nun schon angekündigt, dass sie gerne unseren Esstisch mit Stühlen hätte, wenn wir dann im Herbst wegziehen.
Ich hatte gehofft, dass das sechs Wochen ältere Baby meiner Freundin Anna nun vormacht, wie man krabbelt. Leider kann sie es aber auch noch nicht. So mussten sie zusammen üben.
Für Samstag hatten wir uns noch einen letzten Tempel mit später Kirschblüte und Zwergkirschbäumen herausgesucht, den wir von uns aus in einer guten Stunde zu Fuß erreichten. Weil uns viele Treppen erwarteten beim Tempel, hatten wir Anna wieder in der Trage mit. Unterwegs aßen wir zu Mittag in einem kleinen Café. So langsam muss ich mir überlegen, was ich Anna auf unseren Ausflügen gebe. Sie giert so sehr nach unseren Tellern und es ist halt nicht immer möglich etwas Babygerechtes zu bekommen. Diesmal gab ich ihr ein paar „Stäbchenspitzen“ Kartoffelsalat ab.
Nun wollte mein Mann den halben Arbeitstag von Donnerstag eigentlich am Sonntag nachholen, da schlechtes Wetter angekündigt war. Aber nun waren wir bei meiner anderen deutschen Freundin und Familie für Ostersonntag zu Mittag und Kuchen eingeladen. Die Fahrt geht eine gute Stunde mit dem Zug, zweimal umsteigen. Wir haben den Zug noch nie so leer erlebt. Zwischen manchen Stationen waren wir die einzigen Fahrgäste in unserem Wagen. Also auf dieser Fahrt haben wir uns sicher nichts geholt.
Der Besuch war irgendwie surreal. Noch nie haben wir in Japan in so großer deutscher Runde zusammen gesessen. Anna war erst sehr lange wach, die ganze Fahrt fand sie schon viel zu aufregend, es regnete und dadurch sah eben alles wieder anders aus. Das muss man ja schon verstehen.
Als sie nach dem äußerst leckeren Essen endlich müde wurde, zog ich mich zum Stillen zurück in einen anderen Raum. Irgendwie war sie selbst für Brust mit Laktationshilfe zu müde und nur mit Flasche zufrieden zu stellen. Die behielt sie dafür im Mund und nuckelte daran wie an einem Schnuller. Damit schlief sie dann aber über zwei Stunden. Wir machten uns in der Zeit dann über das großartige Kuchenbuffet her, das meine Freundin gezaubert hatte. Es war ein durch und durch genussvoller Tag, mit gutem Essen und guten Gesprächen.
Auf der Heimfahrt am Abend hatten wir dann Zeit, all die Osternachrichten und Bilder von der Verwandtschaft aus Deutschland anzusehen.
So, das war’s für heute von uns.
Ich hoffe, das Leben in Deutschland wird bald wieder normaler laufen. Natürlich verfolgen wir das hier genauso.
Ach, eine Sache noch: Anna hat ganz unauffällig – oder ist sie deshalb so anhänglich – ihren ersten Zahndurchbruch hinter sich. Ganz klassisch unten ist der erste nun durchgebrochen und sie lässt ihn mich schon beim Stillen des Öfteren spüren.
Ich wünsche euch allen weiterhin Gesundheit und eine hoffentlich letzte Woche in dieser starken Separation.
Herzliche Grüße
Silke mit ihren Lieben