Kinderfreundlichkeit auf Reisen und die deutsche Frostigkeit.
In den Sozialen Medien bekomme ich ungefragt Informationen über unsere kinderunfreundliche Gesellschaft. In meinem Feed tauchen immer wieder Beitrage auf, die plakativ beweisen möchten, dass unsere Gesellschaft nicht mehr darauf ausgelegt sei Kinder großzuziehen. Das Dorf, welches einstmals dazu diente, fehlt heute. Die auf Konsum ausgerichtete Gesellschaft folge den Regeln des Kapitalismus, für Familien gäbe es keinen Raum. Oder doch? Die politische Faktenlange ist für mich persönlich nicht äquivalent zum real Erlebten. Die Welt ist nicht so schlecht, wie manch einer sie darstellt.
Wir haben während unserer Elternzeit bereits ganz Österreich und Slowenien auf der Westseite durchquert, viele nette Menschen getroffen und anschließend kroatische Gastfreundschaft kennengelernt. Italienische Familienfreundlichkeit begeistert uns am Mittelmeer, internationale Traveller in Sloweniens Hauptstadt Ljubljana lassen uns über den eigenen Tellerrand hinausschauen. Wir sind bereits seit Wochen unterwegs und besonders die Menschen auf unserer Reise machen unser Abenteuer so besonders.
Smilla und Jeppe machen den längsten Mittagsschlaf seit langem. Drei Stunden! Die beiden genießen die Ruhe und brauchen offenbar etwas Zeit, um das bislang Erlebte zu verarbeiten. Weit im Osten Sloweniens gibt es, nach der Hektik der Großstadt, nun wieder viel Natur: schöne Berge, Wiesen, Felder, wilde Wälder, Bienen und Bären. Die meisten Slowenen stellen ihren eigenen Honig her und brennen selbst Schnaps - oder kennen jemanden, der es tut. Ljuba, unsere Gastgeberin, schenkt zur Begrüßung ein. Ich stille Jeppe, Tim trinkt den Klaren mit Enzianwurzel. Hier wollen wir entspannen und den weiteren Verlauf der Reise planen.
Das 200 Jahre alte Steinhaus ist wunderschön restauriert. Liebevolle Details überall. Auf der Terrasse rankt der wilde Wein, hinterm Haus wächst Gemüse, die bunten Kacheln auf dem Küchenfußboden erinnern an portugiesische Muster. Alte Möbel wurden liebevoll aufgearbeitet, es gibt sogar ein Kinderzimmer mit hübscher Katzenbettwäsche für Smilla. Ich bin verliebt auf den ersten Blick.
Tim und ich planen die Weiterfahrt und essen Kremšnita, ein Kuchen mit viel kremiger Füllung und knusprigem Deckel. Die wuscheligen Hunde von Ljuba besuchen uns, nehmen zu unseren Füßen Platz. Ein Tausendfüßler krabbelt vorbei. Hier ist wirklich nichts los. Wie wundervoll.
In den Abendstunden beschließen wir eine kleine Wanderung. Kaum lassen wir das Dörfchen hinter uns, zieht sich der Himmel zu. Die von uns angesteuerte Badestelle liegt noch in weiter Ferne. Smilla freut sich aufs Schwimmen, ich bin mir nicht sicher, ob das heute noch klappt. Tim will umkehren, ich will weiter gehen. Das regnet bestimmt ganz wo anders, gebe ich mich optimistisch. Der Deal: Beim ersten Regentropfen kehren wir um und treten den Heimweg an. Wenig später beginnt es urplötzlich wie aus Kübeln zu schütten. Wir erreichen das Dach einer Scheune im nächsten kleinen Ort und stellen uns so dicht wie möglich an die Hauswand. Wir sind nass. Smilla sitzt in ihrer Kraxe unterm Sonnendach, das auch bei Regen einen halbwegs akzeptablen Schutz abgibt. Jeppe habe ich ein Tuch um den Kopf gewickelt. Alles ziemlich suboptimal. Der Regen prasselt laut auf den Weg. Hoffentlich ist das hier keins von den üblen Unwettern, die in den vergangenen Tagen Norditalien, Kärnten in Österreich und die Region um den Berg Triglav in Slowenien verwüstet haben, denke ich. Faustgroße Hagelbälle, Sturzfluten und umgestürzte Bäume, viele Verletzte, einige Todesopfer hatten die Medien gemeldet.
Wie aus dem Nichts taucht ein Mann vor uns auf. Er gestikuliert wild, deutet auf ein Tor. Wir rennen hintereinander her, erreichen das Haus, stürmen die Stufen hinaus und stehen in einer winzigen Küche. Ich schaue mich um. Im Ofen brutzeln Kartoffeln für das Abendessen, auf dem Tisch liegt eine Wachstuchtischdecke mit Blümchenmuster. Eine Frau tritt durch die Tür, der Mann spricht in schnellem Slowenisch, erklärt ihr, was passiert ist. Sie drückt uns die Hände, reicht Handtücher und redet auf uns ein. Wir verstehen kein Wort, aber das macht nichts. Jeppe findet es aufregend. Die fremde Frau knuddelt ihn, Smilla bekommt Butterbrot, Kuchen und Apfelsaft. Tim trinkt den obligatorischen Schnaps mit unserem Retter. Johanna und Petja sind schätzungsweise um die 70 Jahre alt, unheimlich gastfreundlich und verrückt nach Kindern. Die Sprachbarriere hindert uns nicht an einer lustigen Unterhaltung. Eine Nachbarin wird zum Übersetzen herbeigerufen. Wir bleiben zum Abendessen. Petja will uns später heimfahren, doch wir lehnen freundlich ab. So viel Gastfreundschaft sind wir einfach nicht gewohnt. Der Regen lässt langsam nach. Es ist spät geworden. Glücklich laufen wir durch den regennassen und vor Feuchtigkeit dampfenden Wald zurück zu unserem Häuschen. Was für ein schöner Abend!
Am nächsten Tag unterhält sich Tim mit dem sächsischen Vater aus dem Ferienhaus nebenan. Es geht um Kinderbetreuung und unterschiedliche Erwartungshaltungen. Er habe einen Betreuungsvertrag und keinen Erziehungsvertrag, grantelt der Urlauber. Außerdem verlange er, dass man sich im Kindergarten sieze. Man könne als Kind keinen Respekt erlernen, wenn man seine Erzieher mit Vornamen anrede, sagt der Mann. Ich bin schockiert. So weit weg von zuhause weiß ich plötzlich wieder, wieso es dort manchmal buchstäblich eisig ist. Nicht nur das Wetter, auch die Menschen mit ihren halsstarrigen Meinungen machen es ungemütlich. Man gönnt sich nichts, vergibt sich nichts, und ist keineswegs zu einer Meinungskorrektur bereit. Natürlich sind nicht alle Menschen gleich, aber oftmals dominiert ein harscher Ton. Was man schon immer so gemacht hat, macht man einfach weiterhin so. Und so lernt eine Generation nach der anderen zwar Zucht und Ordnung, aber nicht auf familiäre Bedürfnisse und die eigenen Gefühle zu achten.
In anderen Kulturen hat die Familie, haben Kinder und familiäre und freundschaftliche Bindungen oftmals einen anderen Stellenwert: Miteinander statt gegeneinander. Es ist so logisch und fällt unheimlich vielen Menschen doch so schwer.
Ich bin froh, dass es auch anderes geht. In unserer heimischen Hamburger Bubble erscheint mir vieles selbstverständlich. Dafür bin ich dankbar. Ich weiß aber auch, dass es in der Lebensrealität vieler anderer Familien nicht so ausschaut.
Statt zornig zu sein, veraltete Werte zu tradieren und online eigene und fremde Missstände zu posten sollten uns Menschen wie Johanna und Petja ein Vorbild sein. Wer Gutes tut wird Gutes ernten!
Demnächst geht es bei mir u. a. um:
• Auf Wanderschaft durch Österreich: Reisen und Rituale
• Geschwisterliebe: Wenn das Baby zum neuen besten Freund wird
• Notaufnahme: Pipi, Unfall, Krankenhaus
Schau auch vorbei auf Instragram → @louwenfunke. Hier gibt’s und Content zur geburtsvorbereitenden Louwen-Ernährung und zu gesunder Ernährung in der Stillzeit!
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