Die Autonomie fordert erste Opfer
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
es ist 9 Uhr. Ich habe schon die erste Runde wischen im Wohnzimmer hinter mir. Mir kommt der Gedanke, es wäre sinnvoll, in einen Kärcher zu investieren und den Essbereich einfach abzubrausen. Würde Zeit und Nerven sparen. Und ich muss mich optimieren. Denn ich habe heute mindestens noch zwei Putzsessions vor mir. Und täglich grüßt das Murmeltier.
Warum? Weil mein Anton selbständig wird.
Die ersten fünf Löffel lässt er sich wegen seines riesigen Hungers noch in den Mund schieben. Danach kommt die Autonomie. Der Löffel muss eigenständig in das Glas oder die Schüssel geführt und dann ohne Hilfe bis in den Rachen geschoben werden. Falls ich eingreife, gibt es Geschrei. Richtiges Geschrei. So, dass ich jedes Mal kapituliere. Mein Nervenkostüm hält maximal zwei Minuten Protest aus. Dann gebe ich nach und meinem Toni das Zepter in die Hand.
Und so wird das Essen seit neuestem zur Schlammschlacht. Monatelang prahlte ich mit den sauberen Essgewohnheiten meines Schatzes: ohne Latz und ohne Sauerei. Aus der Traum.
Und so erhöht sich nicht nur die Anzahl der Putzeinheiten rapide, sondern auch der Stapel der Wäsche. Ich gebe zu: ich habe manchmal die Kontrolle über den Haushalt verloren. Es findet sich haufenweise Wäsche in den beiden Körben, in der Waschtrommel, dem Trockner und auf der Stange. Denn meistens brauche auch ich nach jeder Mahlzeit ein neues Outfit.
Die Wäsche bleibt nach dem Waschen einfach liegen, denn Anton braucht Spielbegleitung. Ohne mich geht's nur, wenn ich ihm etwas zu essen in die Hand drücke. Und dann beginnt wieder das Krümelinferno, das danach aufgesaugt werden will. Und meistens auch neue Kleider für Toni. Also mehr Wäsche. Ein Teufelskreis.
Die Selbständigkeit meines Sohnes ist stark angestiegen und macht mich auch stolz: selber essen, selber Zähne putzen, selber den Pullover ausziehen. Und gehe ich ihm zur Hand, zündet sich die Gefühlsbombe. Innerlich bete ich, dass es sich hierbei um eine Phase und nicht um seinen zürnenden Charakter handelt.
Außerdem sind wir ins Töpfchentraining eingestiegen. Nicht, weil ich denke, er könnte das schon kontrollieren. Aber er entleert seinen Darm sowieso nur, sobald ich ihm die Windel öffne. Also kann er sich dann ja auch gleich an die sitzende Position gewöhnen. Klappt in 7 von 10 Fällen ganz gut. In den anderen drei bin ich zu spät. Aber meistens so knapp, dass er beim Heben auf den Topf mit nacktem Po die erste Ladung verliert. Und ich - ihr könnt es euch denken - meine Hose ins Heißwaschprogramm schmeißen muss.
Wenn ich innehalte, bin ich immer ganz baff. Noch vor einem Jahr hatte ich keine Ahnung wie Anton aussehen wird. Und jetzt sitzt er auf dem Topf, schiebt sich den vollen Löffel in den Mund und entwickelt sich rasend. Er klatscht, sobald ich singe und lacht, wenn wir Quatsch machen. Er brabbelt zunehmend unterschiedliche Wortfetzen und robbt am liebsten zu Türen, um sie auf- und zuzustoßen. Ein großer Junge.
Ich seufze und schwelge weiter in Erinnerungen - während Anton lachend entdeckt hat, dass er auch direkt aus der Schüssel schlecken kann. Sein gesamtes Gesicht hängt im Brei - inklusive Nase, Stirn und Haarkranz. Das ganze Kind muss gebadet werden, sobald ich hier mit dem Mittagessen fertig bin. Ohje.
Vielleicht fülle ich das Badewasser danach noch in den Putzeimer... Wie gesagt: ich muss mich optimieren.
Nächste Woche treffe ich zwei Tagesmütter zum Kennenlernen, die laut Homepage unterschiedlicher nicht sein könnten. Drückt mir die Daumen.
Bis dahin viele Grüße aus der Sonne
Maike