Einen Bruder bekommen, heißt auch teilen müssen.
11.00 Uhr
Dieser Eintrag ist meiner Großen gewidmet. Denn obwohl es hier um unser Baby Johann geht, beschäftigt sein Dasein unsere Große sehr!
Meine liebe Große-Kleine H.,
du hast jetzt seit acht Wochen einen kleinen Bruder. Auf seine Ankunft hast du dich sehr gefreut. Interessiert hast du schon ein halbes Jahr vorher mit Mama und Papa Kinderbücher über Babys angesehen und dir daraus vorlesen lassen. Du kommentiertest schon sehr früh, wenn eine Frau mit einem dicken Bauch an uns vorüberging, mit den Worten BABY IM BAUCH. Manchmal stimmte es zwar nicht, aber mit hochrotem Kopf lies ich es dann einfach so stehen.
Obwohl zuerst kein Babybauch bei Mama zu sehen war, sagte ich dir, dass Mama dich nicht mehr so oft hochheben könne. Die Treppen zu unserer Wohnung musstest du ab dem letzten Sommer allein nach oben steigen. Auch das Herumtragen auf dem Arm wurde immer seltener. WENN DER BRUDER DA IST; DANN HEBT MICH MAMA WIEDER HOCH, waren immer öfter deine Worte. Dass du durch den Kaiserschnitt noch länger auf das Wiederhochheben warten musstest, konnte ich nicht ahnen.
Den Namen deines Bruders merktest du dir sofort, als Papa ihn nebenbei mal erwähnte. Sofort erfuhren alle Erzieher und Erzieherinnen in der Kita den Namen. Auch Oma und Opa wurden ohne unser Wissen eingeweiht. MEIN BRUDER: MEIN JOHANN; MEIN BABY:
Wir haben versucht, dich so gut wie möglich in die Vorbereitungen auf das Baby einzubeziehen. Da wurde gemeinsam das Beistellbett aufgestellt, zusammen der gebrauchte Kinderwagen gekauft und die Babysachen in den Schrank geräumt. Du spieltest mit deinem Äffi oft Schwangersein und stilltest ihn an deiner Babybrust oder an deinen Beinen. Auch dein Geschenk für deinen Bruder haben wir gemeinsam ausgesucht.
Nach der Kita musstest du oft allein im Wohnzimmer spielen, während Mama todmüde auf der Couch lag und ab und zu einnickte. Immer wenn ich vom Frauenarzt wiederkam, fragtest du, ob das Brüderchen jetzt schon da sei. Trotzdem konnten wir dich nicht darauf vorbereiten, wie es tatsächlich mit einem Bruder sein würde.
Und nun ist Johann da. Du möchtest eine liebe große Schwester sein und helfen: Ihn windeln, ihn trösten, ihm etwas erzählen. Dabei leidest du still und heimlich vor dich hin.
Da gucken mich deine großen Augen oft fragend an, wenn ich deinen Bruder stille, ihn umhertrage, ihn in meinem Bett schlafen lasse. Und ich?, sagst du leise, nicht hörbar.
Auch wenn du weiterhin deinen Platz in unserem Herzen und in unserer Familie hast, kommt der körperliche Kontakt mit mir, deiner ganz lieben Mami, wie du oft sagst, zu kurz. Und immer nur mit Papa kuscheln, nervt, wie du ihm mit deinen momentanen Machtkämpfen deutlich zeigst.
Doch dann kam letzte Woche dein Hilfeschrei: Krank, 40.7 Fieber, Husten, Schnupfen, Weinen, Schreien. Du batest mich, unbedingt zu unserer Homöopathin zu gehen. ICH WILL KÜGELCHEN ESSEN. Dann lagst du bei S. auf dem Kissen. Ich streichelte deinen Rücken, während wir über dich sprachen. Ganz bewusst wählten wir unsere Worte, denn obwohl du dich mit dem Kopf abgewandt hattest, hörtest du genau zu: Ja, unsere H. braucht ganz viel Mama, wenn sie krank ist. Du musst deine Tochter ganz viel streicheln und mit ihr kuscheln, sagt S. lächelnd.
Was ich selbst aus den Augen verloren hatte; du bist in den letzten Monaten unglaublich gewachsen. Und du wächst weiter. Du hattest nicht nur eine dicke Erkältung, sondern dich plagen neben der Mama-Sehnsucht auch Wachstumsschmerzen.
Zu Hause wieder angekommen, trug ich dich die Treppe hoch in dein Bett. Trotz Müdigkeit und Erschöpfung sagtest du mehrfach erleichtert MAMA HAT KEIN AUA AM BAUCH MEHR. JETZT KANN MICH MAMA WIEDER TRAGEN.
An den kommenden Tagen durfte ich nicht mal dein Zimmer verlassen, wenn ich auf Toilette wollte. Immer riefst du nach mir. Johann verschlief die Tage glücklicherweise auf deiner Spielcouch, während ich dich tröstete, Wasser reichte, dir Geschichten erzählte.
Welch Wohltat muss es für dich gewesen sein, nachts endlich mal wieder bei Mama schlafen zu dürfen. Johann schlief bei Papa und wurde nur zum Stillen gebracht. Endlich hattest du deine Mama zurück. Nachts lauschte ich deinem Röcheln und Schniefen und kontrollierte immer wieder deine Temperatur. Du glühtest wie ein Backofen unter unserer gemeinsamen Decke. Du schriest immer wieder im Traum nach Mama, obwohl ich neben dir lag. Ich war in diesen Tagen todmüde, wusste aber, dass es jetzt so sein musste, wie es war.
Jetzt wirst du langsam wieder gesund. Trotzdem brauchst du mich auch weiterhin ganz stark. Am letzten Wochenende hast du dich zum ersten Mal getraut zu sagen, wir beide sollten jetzt einfach Johann auf dem Spielplatz lassen und allein Kuchenessen gehen. Trotzdem verhältst du dich wirklich wie die große Schwester: Du hilfst, streichelst Johann und versuchst zu flüstern, wenn Johann gerade Mittagsschlaf macht.
Ich liebe dich sehr, meine Große-Kleine. Der Anfang zu viert ist so neu und so schwer. Da müssen wir uns alle erst neu finden. Aber du bist toll. Du meisterst alles sehr gut. Ich bin ganz stolz auf dich!
Deine Mama
PS (1):
Das Sponsorengeschenk, der Alvi-Schlafsack, ist da! Vielen lieben Dank dafür. Ich besitze schon seit der Geburt unserer Großen ein älteres Modell davon, in dem die Große gut schlief. Auch Johann genießt ihn sehr. Jetzt habe ich ein größeres Modell für den kommenden Winter bekommen. Ich freue mich schon, ihn ausprobieren zu können.
PS (2):
Antje, deinen Kommentar musste ich mehrfach lesen. Mein erster Impuls war, mich zu rechtfertigen: Ja, aber wir haben doch schon eine Babysitterin, Ja, aber sie kam auch schon seit Johann da ist. Ja, aber sie kann zurzeit nicht kommen. Aber um diese Rechtfertigung geht es gar nicht. Ich sehe viel deutlicher, dass mir immer wieder Energie verloren geht, weil ich alles richtig machen will. Richtig-Machen. Was ist das schon?!
Besonders gut taten mir deine Worte, dass es gerade nun mal nicht die Zeit für ein verliebtes Paar sei. Seitdem ich mir das immer wieder sage, nimmt es den Druck. Danke, dafür!
Liebe Grüße, Antje