Von Annas erster Geburtstagseinladung, einer Tortenschlacht und Schlafgeschichten. Außerdem: Kündigung während der Schwangerschaft in Japan.
Hallo ihr Lieben,
es ist super-heiß! Wir sind inzwischen tags bei stabilen 35 Grad, meistens mehr, selten weniger. Nachts „kühlt“ es gerade mal auf vielleicht 28 Grad ab. Das alles ohne Aufsicht auf Veränderung bis zu unserer Abreise. Da läuft nun auch unsere Klimaanlage durchgängig, wenn wir zuhause sind.
Und es ist viel passiert in der letzten Woche.
Endlich haben wir die Buchungsbestätigung für den Flug von meinem Mann, der über den Stipendiengeber gebucht wurde, und konnten daraufhin auch die Tickets für Anna und mich kaufen. Es wird ein Nachtflug, jedenfalls auf der längsten Strecke von Tokyo nach Istanbul. Davor und danach je ein kurzer Flug. So dürfen wir darauf hoffen, dass Anna einen guten Teil der Reise schläft. Ansonsten sorgen wir aber schon langsam vor und haben bereits einiges an Reiseunterhaltung für sie besorgt. Ein neues Buch, Klebezettel zum Abreißen und überall Ankleben, ein Knautschball und allerlei mehr. In eine Reisegürteltasche habe ich alle möglichen Schnüre und Stoffstückchen hineingenäht und Papiere und alte Visitenkarten etc. hineingesteckt, damit Anna was zum Auspacken hat. So langsam bin ich selbst gespannt auf die Reiseunterhaltung. Beste Voraussetzungen würde ich sagen!
Unsere Vormieter in Braunschweig meldeten ihren glücklichen Auszug aus der Wohnung.
Wir haben meinen Bruder samt Auto für unseren Umzug gewonnen. Er wird mitfahren und wohl die meiste Zeit auch selbst fahren. Erst wollten wir ein Auto mieten und ich wäre gefahren. Ich traue es mir zwar prinzipiell zu, aber da kommt die lange Reise mit drei Flügen und der Jetlag und das unvorhersehbare Verhalten von Anna auf der Reise und auf der Fahrt selbst. Nein, ich bin schon riesig froh, dass wir nun nicht auf meine Fahrkunst allein angewiesen sind.
Was war sonst so los die Woche: Am Montag waren Anna und ich zu ihrer ersten Geburtstagsparty eingeladen. Die Tochter meiner turkmenischen Freundin wurde ein Jahr alt. Wie sich das so gehört, durften die beiden alles Mögliche wild durcheinander essen. Von Obst, Joghurt, mal schnell Stillen über Reis mit Hühnchen und Karotten, zurück zur Melone. Der Mittagsschlaf von beiden fiel sehr kurz aus. Aber es war ja auch viel zu aufregend. Wir tanzten und bauten die Kugelbahn auf und Anna baute sie wieder ab, bevor die Kugeln durchkamen. Der Lauflernwagen und das Babyauto wurden vorgeführt und inspiziert. Kugeln gerollt und auf dem großen Ball gehopst. Und dann, ja dann kam die Torte! Meine Freundin wollte unbedingt eine Torte machen, die die beiden zerlegen sollten. (Hinterher erfuhr ich, dass es die Generalprobe für ein Fotoshooting sein sollte. Allerdings haben sie sich das dann anders überlegt und beim Shooting keine Tortenschlacht inszeniert.) Vorher hatte ich noch darum gebeten, dass sie doch bitte keinen Zucker verwenden möge, weil ich da schon ziemlich drauf achte, dass Anna erst einmal noch keinen raffinierten Zucker bekommt. Tja, hätte ich gewusst, wie das ganze ausgeht, der Zucker wäre dabei völlig egal gewesen, jedenfalls im Teig.
Erst wollten die beiden Mädels, vor allem die Tochter meiner Freundin, ich nenne sie in Folge jetzt mal die Große, nur so auf die Torte zustürzen, als sie sie sahen. Als wir dann vorsichtshalber eine Plastiktischdecke auf den Boden legten und die Torte in der Mitte platzierten, wurden sie irgendwie skeptisch und trauten sich nicht mehr heran. Irgendwann wagte die Große sich dann doch wieder heran und griff in die Sahne. Hmm, was für ein Gefühl. Nun traute sich auch Anna. Meine Freundin feuerte beide an. Anna tat noch ein zwei Griffe, dann wurde es ihr schon unangenehm und sie suchte Schutz auf meinem Schoß. Die Große begann dagegen die Torte komplett zu zerlegen und hatte nun sichtlich Freude daran einmal so richtig manschen zu dürfen. Sie griff unbekümmert in die Sahne, erwischte eine der Teigplatten, zog sie heraus, setzte sich selbst noch in die Sahne und war irgendwann überall voll. Das Ende der Geschichte war ein schnelles Bad für die Große und Anna und ich machten uns danach auch auf den Heimweg und Anna schlief ziemlich erschöpft ein.
Insgesamt war es toll zu beobachten, wie sich die beiden nun doch auch mal miteinander beschäftigen. Meist ist es zwar noch ein Nebenher, aber ab und an geben sie sich gegenseitig was, meist nehmen sie sich was. Anna lässt sich schon nicht mehr unterbuttern. Sie hält Sachen fest und sie mussten jeweils abmachen, wer es dann bekommt. Diesmal wollte Anna die Große immer anfassen und die Haare streicheln. Man merkt wirklich, dass da wieder was im oder mit dem Bewusstsein passiert ist.
Der Dienstag war ein Räumtag, mein Mann blieb zuhause, damit wir mal ein bisschen mehr vorankommen. Wir gingen morgens Annas Kleidungsvorrat durch und packten schon mal einen Rucksack damit voll. Während mein Mann dann noch ein letztes Mal zu seinem Sprachkurs ging, erledigten Anna und ich den Einkauf. Auf dem Heimweg schlief sie ein. Ich konnte noch ein paar Kleinigkeiten erledigen in der Wohnung, dann machte ich mich auf den Weg zum YWCA, wo der Sprachkurs stattfindet. Der Verein betreibt auch ein Nachbarschaftscafe und wir wollten dort Mittagessen. Anna schlief den ganzen Weg. Zurück Zuhause räumte ich in der Küche ein Regal und mein Mann säuberte unsere Matchapresso Maschine für einen Interessenten. Spontan ergab sich dann noch der Besuch einer Interessentin für unsere großen Matratzen. Juhu, sie nimmt sie und dazu noch einigen anderen Hausrat, so dass ich ihr ein ganzes Paket zusammenstellen kann aus Geschirr, Küchenkram, Handtüchern und Bettwäsche.
Den Kindertreff am Mittwoch verschlief Anna leider komplett. Momentan schläft sie meist noch zweimal und einmal davon relativ lang, bis zu drei Stunden. Das kann gerade der Vormittags- oder der Nachmittagsschlaf sein. Etwas unberechenbar. Ich glaube, sie ist da in der Umstellung zu nur noch einem Schlaf und das ist halt doch noch etwas wenig. Wenn sie vormittags lang schläft, hält sie jedenfalls nicht durch bis zum Abend. Somit besuchte ich dann einmal mehr das Kodomo Miraikan, von dem ich schon einmal geschrieben habe. Es war wieder toll und eine Dame erinnerte sich sogar an Anna. Danach konnte Anna noch mal etwas schlafen, perfekt.
Ach ja, sie kann seit ungefähr zehn Tagen winken und entzückt damit zum Beispiel andere U-Bahnfahrer, die mit ihr schäkern. Außerdem versucht sie inzwischen die Kappe auf ihre Flasche zu machen und auch weiter selbst zu trinken – noch mit Flasche nach unten. Irgendwann wird es schon klappen, denkt sie sicher. Donnerstag bin ich gleich morgens mit aus dem Haus mit Anna und sie schlief im Wagen ein. So hatte ich mir das gewünscht. Sie schlief auch, bis ich im Fitnessstudio meine Kündigung ausgefüllt hatte. Dann gings noch mal zum Arzt, weil ich noch ein letztes Rezept für meine Schilddrüsenhormone brauchte.
Zuhause schaffte ich es irgendwie zu kochen. Anna war sehr müde und quengelte. Vom Tisch fielen wir praktisch direkt ins Bett. Ich schlief eine gute Stunde mit. Nachdem ich aufwachte und raus bin, wachte sie auch schnell auf, kam mir hinterher und entgegengekrabbelt. Als ich sie hochnehme, hängt sie mir ganz schlapp im Arm. Ich setze mich aufs Sofa und sie schläft im Arm wieder ein. Ich erzähle ihr, wie lieb ich sie habe und welch Geschenk sie für uns ist. Es wird mir irgendwann unbequem und ich ziehe zurück ins Schlafzimmer, lege sie ab und mich daneben. Bei einem späteren Versuch, mich davonzuschleichen, wacht sie auf. Sie hat mich wohl gerade richtig nötig. Ich bleibe, lege mich auf den Bauch und sie schließt die Augen, schläft weiter. Etwas später dreht sie sich und legt mir ihr Köpfchen auf die Schulter. Ich dreh mich weiter und ziehe sie wieder auf meinen Bauch.
Wenn ich mir hier und jetzt nicht die Zeit für sie nehme, wann denn dann?
Dann bleibt die Waschmaschine halb ausgeräumt und der Tisch dreckig, nicht wichtig. Jetzt gibt es nur dich und mich, meine Kleine.
Den Nachmittag ließen wir mit einem Besuch bei meiner deutschen Freundin in der weiteren Nachbarschaft ausklingen. Sie hatte einen Babypool in den Schatten vor ihrem Haus gestellt und Anna hatte damit und mit den Steinchen aus dem Beet zu tun. Ihre Tochter schlief und wir konnten uns eine Weile einfach unterhalten.
Freitag war ich eigentlich wieder im Kodomo Miraikan verabredet. Ich wollte endlich die junge Japanerin treffen, der ich über eine andere Ausländerin schon im Winter einige Babysachen abgegeben hatte. Nun, Anna schlief natürlich wieder genau so ein, dass ich die verabredete Zeit nicht einhalten konnte. Glücklicherweise war die Japanerin so flexibel, einfach noch ein Stück weiterzufahren und mich zuhause zu besuchen. Das stellte sich dann als Win-Win für uns beide heraus, denn sie nahm einiges an Babykleidung und auch noch von meiner aussortierten Kleidung mit und die „richtig“ japanischen Lebensmittel, die ich nicht mehr aufbrauchen werde. So Sachen wie getrocknete Wakame-Algen und Fischflocken. Ich hatte schon mal etwas mehr Japanisch gekocht zwischenzeitlich, aber jetzt mit Anna, wo sie auch beginnt mehr und mehr mitzuessen. Und ich brauche für japanische Gerichte einfach noch so lange. Die Zeit habe ich jetzt nicht. Ach ja, das restliche Pflegegeöl von Paediprotect habe ich ihr auch mitgegeben für die Kopfhaut von ihrem kleinen Schatz. Der hat eine dicke Mähne, aber auch ganz viel Schorf.
Der Kleine ist noch so süß klein und leicht, gerade fünf Monate alt und hat schon so eine Wuschelmähne…
Als wir noch zum Indoor-Spielplatz hier in der Nähe sind, erzählte sie mir ihre Geschichte. Sie hatte in einem Guesthouse gearbeitet. Ihre direkte Chefin hat selbst kleine Kinder und so hoffte sie bei ihr auf Verständnis zu stoßen, als sie darum bat, keine Futons mehr herumwuchten zu müssen. Die Chefin war zuerst auch freundlich, gratulierte und versprach ihr noch Sachen abzugeben von ihren Kindern.
Davon hat meine Bekannte nie etwas gesehen, stattdessen stellte die Chefin ganz schnell jemand neu ein und kündigte ihr quasi auf „Japanisch“. Das bedeutet, dass sie ihr nicht direkt ins Gesicht sagte, dass sie nicht mehr kommen brauche, sondern es so formulierte, als würden sich alle solche Sorgen um sie und ihre Gesundheit machen, dass sie es nicht verantworten könne, noch zu kommen. Sie solle sich bitte ganz arg schonen und um sich selbst kümmern.
Meine Bekannte wendete sich an so etwas wie eine Schlichtungsstelle, genauer habe ich das nicht verstanden. Denn auch hier ist es illegal, einer Schwangeren zu kündigen. Allerdings passiert es wohl noch relativ oft. Oder Schwangere hören von selbst auf zu arbeiten.
Von den geforderten zwei Monatsgehältern, die sie noch bis zur Geburt hätte verdienen können, hat sie nur noch eines bekommen. Weiterarbeiten möchte meine Bekannte bei diesem Guesthouse-Betreiber nicht mehr. Sie möchte und muss bald wieder arbeiten, aber momentan ist es ja noch schlecht um den Tourismus bestellt hier.
Ich wusste schon vor unserer Einreise, dass Japan in Punkto Frauenrechte ein Schlusslicht ist, aber man liest ja viel in der Zeitung und da kommen natürlich auch reißerische Geschichten vor. Es war insofern schon interessant, eine Frau kennen zu lernen, die es selbst erlebt hat.
Am Abend kam der Interessent für die Matchapresso-Maschine. Er hatte sich außerdem eins unserer kleinen Regale und die Abdeckplatten für die Badewanne reserviert, auf die wir die Babywanne immer gestellt hatten. Nun, ich dachte, ich wäre gut oder schon ein Meister darin, Dinge mit dem Rad zu transportieren, und ich habe schon mal ein Dreisitzsofa in mehreren Teilen mit meinem Rad umgezogen. Aber er stellte das alles in den Schatten indem er mit Regal, den Platten, einigem Kleinkram – alles das im Fahrradrucksack und dann noch der Maschine in der Tüte in der Hand mit dem Rad auch noch fuhr.
Samstag ging ich morgens zum Sport. Diesmal ging mein Mann mit Anna gleichzeitig raus und auf den Spielplatz. Das klappte dann ohne Geschrei. Außerdem gingen wir ins Einkaufscenter zum Friseur und shoppen. Die Möbelabteilung wurde kurzerhand zum Spielplatz, Sitzsäcke sind ganz besonders gut geeignet. Da können selbst erfahrene Krabbler noch dazulernen.
Sonntag wollten wir noch ein weiteres Tiercafé ausprobieren, das neben Katzen auch Hunde hatte. Aber das war ja so ein Reinfall! Für etwas ältere Kinder mag es besser sein, aber auch für die, ich weiß nicht. Sie hatten ganz viele kleine Hunde, die auch zu uns kamen und sich streicheln ließen. Anna hielt sich aber auf meinem Arm selbst fern von ihnen und das laute Gebell eines Schäferhundes ließ uns alle angespannt bleiben. Der Schäferhund war sicher freundlich und ohne Anna wäre ich auch auf ihn zu und hätte ihn gestreichelt. Er wollte sicher nur Aufmerksamkeit und spielen, aber er bat eben bellend darum. Das kann man ihm auch wiederum nicht anlasten. Wir fragten uns nur, warum man so einen Hund denn in ein Tiercafé setzen muss. Die Schoßhündchen sind doch ausreichend. Die ganze Atmosphäre war dort aber auch angespannt. Wir baten dann nach nicht einmal 10 Minuten darum, zu den Katzen wechseln zu dürfen. Leider stießen wir auf wenig Verständnis und mussten den Aufpreis für das Kombipaket zahlen. Der Katzenraum war dann so armselig gestaltet, dass es jedem Tiercafé-Gegner in die Hände spielt. Wenig Platz für viele Katzen, kein Spielzeug, keine Rückzugsmöglichkeit. Mein Mann aß sein Essen, das man bestellen muss, übernahm Anna, ich schlang mein Essen hinunter und wir gingen so schnell wir konnten. Mit Tiercafés haben wir abgeschlossen.
Ein Eis bei unserem Lieblingseisladen und endlich ein Besuch auf dem Spielplatz versöhnten uns alle mit dem Tag.
Damit wünsche ich euch eine schöne Woche! Passt auf euch auf und bleibt gesund,
Silke aus Kyoto