Beim dritten Kind bitte vor Klinik campieren…
2. März
Zehn*
Wieder mit drückender Blase aufgewacht. Oh nein! Am Vorabend bin ich alle 5 Minuten gelaufen, das hätte mich eigentlich schon misstrauisch machen müssen… Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich aber immerhin ein paar Stunden geschlafen hab. Drei Uhr fünfundzwanzig leuchtet mir das Handy entgegen. Uhh, jetzt aber schnell über die Bettkante gen Klo gewälzt das tut ja schon richtig weh!
Neun
Ahh mein zweites Zuhause, die Toilette...Erleichterung und Entspannung für meinen schwangerschaftsgeplagten Unterleib! Apropos! Frage mich wo eigentlich die Erleichterung bleibt und wunder mich, dass meine Blase sich schwallweise entleert. Und seit wann haben wir rosa Toilettenpapier? Geschmacklos! Beim Aufstehen kralle ich mich am Heizkörper fest und krümme mich unfreiwillig. Das ist es: Das Gefühl als ob man wie Schneewittchen zu Tode geschnürt wird (sehr weit unten…)! Wieder frage ich mich, wieso man sich vorher so oft gefragt hat, ob dies oder das Wehen seien... Egal! Das Baby kommt!
Acht
Eigentlich erscheint die Lage eindeutig. Wecke ich meinen Mann oder warte ich noch ab? Vielleicht messe ich ja erst bei ein paar Wehen die Abstände? Ehhh... Füße und Fußboden nass, beschließe ihn zu wecken. Wie in einem öden 80er Film rufe ich seinen Namen gefolgt von den Worten: "Es geht los!" Wir laufen beide planlos im Zickzack durch die Wohnung. Ich suche die Fruchtwasserteststreifen, heißt grün jetzt ja oder vielleicht? Versuche das auf dem Handy zu googlen, beschließe aber, lieber im Kreissaal anzurufen. Schaffe es nach der Wehe meinem Mann zu sagen, es bestehe kein Grund zur Hektik und rufe im Kreissaal an. Bin ganz cool und gelassen und schildere die Lage. Hebamme ist leicht verwirrt, sagt, ja ich solle ruhig reinkommen. Kann nicht mehr sprechen, Hebamme nervt, lege schnell auf. Vielleicht sollte ich etwas anziehen?
Sieben
Sage meinem Mann es besteht doch Grund zur Hektik, er bringt mir ein Handtuch dass ich mir zwischen die Beine klemme und das Babyfon für den Großen zu den Nachbarn. Versuche mir eine Jogginghose anzuziehen, geht nicht. Tausche großes gegen kleines Handtuch (geistige Notiz: morgen Flur wischen!). Jogginghose geht an, Stiefel nicht. Drohe in den leeren nächtlichen Flur, dass ich jetzt pressen muss. Gebe Gehirntätigkeit auf und an meinen Mann ab - zusammen mit der Stiefelanziehaufgabe. Er nimmt beides an und schickt mich vor zum Auto. Ruft mir "nicht pressen!" in den Hausflur nach. Gott was sollen die Nachbarn denken! Steige schnell ein und verhechle den Pressdrang im Schutz der Dunkelheit auf der Beifahrerbank.
Sechs
Mann ist angemessen schnell im Auto und startet. Erste Ampel ist grün. Wir passieren sie mit der nächsten Wehe. Bin kurzfristig souverän, veratme und verhechle, mache aber kurz drauf völlig unsouveräne Laute von denen ich hoffe, dass sie nicht aus dem Auto dringen. Wehe geht, wir kommen zur nächsten Ampel. Die ist rot. Mein Mann macht Anstalten weiterzufahren im Wehental der Vernunft rufe ich ihn zur Ordnung. Vor uns biegt ein großer weißer Transporter in die Straße ein den ich als großes wegversperrendes Hindernis wahrnehme. Er hält vor uns an der nächsten roten Ampel ca. 500m von der Klinik entfernt.
Fünf
Ich schreie "Fahr!", mein Mann hat die Lage schon längst erkannt, das Tempo erhöht und umfährt den verdutzten Transporter. Während ich mich fühle, als ob das Köpfchen schon ins Handtuch zwischen meinen Beinen gedrückt wird und weitere Tierlaute von mir gebe, beschließe ich, dass er der Allerbeste ist. Als nächstes durchfährt er fast die Schranke zum Storchenparkplatz und das Auto kommt zum Stehen. Ich springe raus; umklammere meinen Bauch und eile im Laufschritt zum Eingang. Vor der Tür steht ein rauchender Patient der mir einen guten Morgen wünscht. Die Frau am Empfang sieht mich und ruft "3. Stock!". Weiß ich doch, schließlich war ich mittags gerade erst zum Kontroll-CTG hier! Frau nervt auch.
Der Fahrstuhl in dieser Klinik ist berüchtigt für seine Langsamkeit, kann mein Glück kaum fassen als sich die Fahrstuhltüren sofort nach Knopfdruck öffnen. Mann ist wieder an meiner Seite und hechelt schon mal vor als ich beginne das Gesicht zu verziehen.
Vier
Die Fahrstuhltüren öffnen sich. Registriere leicht entsetzt dass die Station völlig verlassen aussieht. An der Kreissaaltür mache ich eine Gestalt und einen Rollstuhl aus, beide kommen auf mich zu. Mann und Hebamme wollen, dass ich mich setze, während mein Körper auf die nächste Wehe mit einer Planking-Pose reagiert. Hinsetzen! Atmen! Na klar, sonst noch was? Vielleicht entspannen? Beide nerven. Überhaupt - die Hebamme sieht anders aus als die, die ich bisher hier getroffen habe. Alle waren dunkelhaarig und sanft und ruhig. Diese hier ist wasserstoffblond und ein wenig hektisch. Als sie den Rollstuhl in der letzten Kurve gegen die Wand setzt, überlege ich kurz ob ich mir einen Ausweis zeigen lassen soll, um sicherzugehen dass sie hier arbeitet. Sonst ist weit und breit niemand zu sehen. Vielleicht kann sie mir zumindest beim Ausziehen behilflich sein? Jetzt telefoniert sie auch noch! "...zur Geburt..." Erinnere mich auf einmal wieder warum ich hier bin. Für das CTG bleibt wohl keine Zeit, Hebamme drückt den Cardiotaster tief unten auf meinen Bauch und scheint zufrieden.
Drei
Die Wehen kündige ich an, indem ich „Achtung!“ rufe. Oder denke ich nur „Achtung“? Mann und Hebamme zwingen mich zu hecheln und die Hebamme sagt, das Kindchen komme langsam immer tiefer. Langsam? Noch tiefer? Es hat doch bestimmt schon Handtuchfusseln an der Nase?
Kurz darauf erscheint eine Ärztin, auch sie ist dieselbe wie heute Mittag. O Gott, ist die schon so lange im Dienst?! Sie grüßt freundlich und Hebamme, Mann und Ärztin sagen immer wieder, dass ich das sehr gut mache. Na klar, das würde ich auch sagen, wenn ich nur daneben stehen muss!
Zwei
Kann ich jetzt pressen oder was? Ärztin und Hebamme sagen „atmen“ aber das ist ja klar…nur wie? Der Drang ist auf jeden Fall unwiderstehlich und so presse und stöhne und schreie ich einfach was das Zeug hält…sollen sie mich doch aufhalten! „Oh das Köpfchen ist schon zu sehen, wollen sie mal mit der Hand fühlen?“ Ich blaffe sehr unhöflich „Nein!!!“ Geht weg mit blöder Erlebnisgeburt, oder verfl…. Geburtserlebnis oder wie heißt das noch….!!! Ich fühle das Köpfchen auch so, wenn auch nicht mit der Hand, dafür in 3D! Gefühl sehr unangenehm, Kind scheint es da gemütlich zu finden und die Wehe ist weg. Oder? Es ist schwer zu sagen, denn eine scheint nahtlos auf die andere zu folgen. Die Hebamme mahnt regelmäßig in meine Richtung „Augen zu!“ – ja dann erzähl doch nicht, es gäbe dies und das zu sehen! Verd#*@§! und zugenäht!!! Jetzt reicht es mir aber wirklich.
Eins
Zwischen all dem „Sie machen das sehr gut“ und „Augen zu“ flüstert Mann mir zu „Der Kopf ist schon draußen“, Was, wie, ist dann nicht vorbei? Was kommt jetzt noch? Die nächste Wehe kommt mit aller Macht und diesmal erinnere ich mich, dass man die Energie für die Tierlaute, besser nach unten richtet und schiebe doppelt kräftig mit.
Zero (Die Stunde Null)
An das Gefühl wie Schultern und der Rest des Körpers hinausgleiten erinnere ich mich gut von der letzten Geburt, das Kind, das mir jetzt auf die Brust gelegt wird ist aber rund 800 g schwerer als das letzte und schreit wie am Spieß. Sie ist genauso wütend wie ich es eben noch war und wir sind uns schon mal das erste Mal im Leben einig das Geburt und geboren werden eigentlich eine Zumutung sind. Meine Tochter!!! Stark, rasant und zornig. Nicht die schlechtesten Eigenschaften für eine Frau, finde ich. Bin erleichtert, dass „es“ vorbei ist, unendlich glücklich über das zappelnde rote schreiende Etwas auf meinem Bauch und frage meinen Mann, wie spät es ist. Außerdem soll er mir bitte den Kopf streicheln. 4:16, sagt er.
* Die Zahl der Wehen betrug bestimmt nicht genau zehn, höchstens ungefähr...Hebamme und Ärztin waren sehr nett und kompetent!