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Tagebücher aus der Schwangerschaft von Kristin

Eine neue wunderbare, aufregende und vielleicht auch lang erwartete Lebenszeit beginnt. Für unsere Tagebücher-Blogs haben wir immer 3-4 schwangere Frauen in unterschiedlicher Schwangerschaftsphase, die in freudiger Erwartung über jede Woche dieser spannenden Zeit schreiben, uns und die vielen tausend Follower:innen daran teilhaben lassen und damit unvergessliche Momente schaffen.

Geburt

Ein Brief an mich

Wir haben in dieser Nacht ein Wunder vollbracht.

Liebe Kristin,

wie sollst du diese letzten aufregenden Tage nur beschreiben, wie in Erinnerung behalten? Wie kann man in Worte fassen, was so schwer in Worte zu fassen ist? Zwischen den Zeilen müsste man schreiben können. Das Wunder ist zu groß, um allem gerecht zu werden. Dennoch möchte ich dir etwas festhalten, das du später lesen kannst und dich daran erinnerst, was du laienhaft versucht hast auszudrücken.

Der Freitag war wunderschön frühlingshaft. Früh morgens begann für euch der Tag. Im Kreißsaal solltest du dich vorstellen zur Geburtseinleitungsplanung, da deine Frauenärztin die Sache mit der Niere und vielleicht alleine die Vorstellung, du könntest damit über den Termin gehen, schaudern ließ. Angefressen von dieser unprofessionellen Einstellung, fandet ihr euch also in Weimar ein. Ein CTG war gänzlich unauffällig und auch die anschließende Ultraschalluntersuchung zeigte wie immer ein zeitgerecht entwickeltes Kind, genügend Fruchtwasser und eine intakte Plazenta. Auch deine Nieren gaben der Ärztin dort keinen Anlass, die Schwangerschaft künstlich zu einem Ende zu bringen. Für Montag wurde ein nächster Termin vereinbart und ihr durftet erleichtert wieder nach Hause. #

Was also anfangen mit diesem warmen Tag? Ein Kaffeetrinktreffen mit Judith, der Babytagebuchschreiberin, stand auf der Agenda. Hattest du ihr schon vorsorglich angekündigt, dass vielleicht „etwas Kleines“ dazwischen kommen könnte, konnte das Date aber doch stattfinden. Herrlich schnackend übers Schwangersein, die Geburt, Babys und Studium, dabei immer beäugt von ihrem gnadenlos bezaubernden Ruben, ging der Nachmittag doch wirklich schnell vorbei. Noch ein paar Besorgungen hast du erledigt, die Sonne genossen und dich dann unendlich bettschwer gegen 16 Uhr auf das Sofa verabschiedet.

Ein Ziehen im Unterbauch lässt dich um 18 Uhr erwachen. Nanu, eine Darmverstimmung? Schon wieder vorbei. Augen zu, weiter schlafen! Sebastian kommt zur Tür herein, kuschelt sich an dich. Aua, schon wieder der Bauch. Und der Rücken. Will dir jemand das Kreuz brechen? Kein Wort zu Sebastian! Das ist doch bestimmt ein Fehlalarm. Doch die Schmerzen kommen in Wellen alle zehn Minuten, unterhalten kannst du dich aber noch. Liegen geht jetzt nicht mehr, Sebastian ist zum Glück eingedöst. Von wegen langsam einwehen…

Eine Stunde lang quälst du dich von Ecke zu Ecke. Über den Tisch gebeugt, auf dem Boden kniend, ins Handtuch beißend. Sebastian wird von seinem Handy geweckt und telefoniert. Relaxed beantwortet er die Frage des Anrufers, ob es denn schon los gehe mit: „Da passiert so schnell nichts. Bisher alles ruhig.“ Pustekuchen. Du musst ihn jetzt aufklären!

Im Kopf war die Situation schon eintausend Mal durchgespielt, die Sätze kommen wie geübt aus dir heraus. So cool wie geplant bist du aber lange nicht. Und Sprechen während der Wehe ist nicht mehr möglich. Dein Mann soll sich Abendessen besorgen, seine Tasche packen und noch etwas Ruhe suchen, du steigst in die Badewanne. Es wird bald losgehen. Du zitterst ja - vor Aufregung?

Die Badewanne ist zu klein, Sebastian versucht dich mit Bundesliga Ergebnistippen bei Laune zu halten. Denken ist jetzt auch nicht mehr möglich. Der Schmerz findet hauptsächlich im Kreuzbein- und Lendenwirbelbereich statt. Du wirst zerbrechen, denkst du.

Und dann muss es doch schnell gehen. Die Wehe dauert länger als eine Minute, die Zeit dazwischen wird wahrlich kurz. Zu kurz, um sich alleine anzuziehen. Zusammen schafft ihr das. Sebastian soll schöne Socken aussuchen, möglichst zwei gleiche, die Überforderung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Dann geht es los Richtung Auto.

Am Auto die nächste Wehe, bei der du dich festklammern musst. Peinlich berührt nimmst du die vorbeilaufende Menschentraube wahr. Schmerzen angeschnallt auf dem Beifahrersitz aushalten macht keinen Spaß. Sebastian rast über die Autobahn. Drei Wehen später steht ihr auf dem Krankenhausparkplatz - Wehe, der Aufzug - Wehe, Kreißsaaltür geht auf - Wehe, „ich glaube, ich habe Wehen“, „ich sehe es“, antwortet die Hebamme und nimmt euch in Empfang. Geschafft. 21.30 Uhr.

Sie ist eine gute Seele, die Hebamme, das spürt ihr sofort. Mitte 50, freundlich, keck und sehr verständnisvoll. „Möchten Sie etwas gegen die Schmerzen?“ „Nein“. Ihr einigt euch auf eine venenzugangsfreie Geburt.

Die Schmerzen rollen mit wahnsinniger Geschwindigkeit an, geht es einmal los, gibt es kein Aufhalten mehr. Durch Herumrobben auf dem Kreißsaalbett, die Hände in die seitlichen Plastikhalterungen gekrampft, kannst du die eineinhalb Minuten irgendwie überstehen, dann eine sehr erholsame kurze Pause und wieder von vorne. Zehnmal, hundertmal, du hast kein Gefühl mehr für Zeit und Raum. Du verlässt dich nur auf Sebastian, der tapfer an deinem Kopf steht und dich sanft durch jede Kontraktion pusht. Und die Hebamme, die genau sagt, was passiert. Warum es sich anfühlt als müsstest du auf Toilette, warum sie nicht abschätzen kann, wie lange es noch dauert und warum die Fruchtblase aber gleich platzen wird. Sie hat nämlich eben das erste Mal vorsichtig nach dem Muttermund getastet. Fünf Zentimeter. Stark! Das Köpfchen in Sternenguckerposition. Weniger stark! Sie lagert dich zuerst auf die Seite, dann in den Vierfüßlerstand. Mit fünf Akupunkturnadeln im Rücken, die Beine schlafen ein. Wieder Hinlegen, Peng, Fruchtblase geplatzt.

Dein Becken scheint zu zerreißen, der Druck nach unten lässt dich um Schmerzmittel bitten. Die Hebamme verneint, da ja keine Flexüle liege. Mist, was hast du dir bei eurem Deal vorhin nur gedacht?

Du darfst schon mit schieben. Wehe kommen lassen, einatmen, pressen. Noch einmal. Noch einmal. Noch einmal. Ruhig atmen, entspannen. Von vorne.

Du hast die Kontrolle über sämtliche Ausscheidungen verloren. Gut so. Zuvor war es dein größtes Problem, es einfach zuzulassen, über deinen Schatten zu springen. Du hast zugemacht, weil du voller Scham warst. Jetzt ist es dir egal. Die Geburtshelferin hält dich und das Bett sauber, lässt keine Unannehmlichkeiten zu. Sie ist ein großer Schatz. Sebastian auch.

Auf einmal kann sie den Kopf sehen. Viele dunkle Haare hat er, sagt sie. Sebastian lobt dich in den Himmel, hält deine Hand ganz fest. Dreimal Pressen, der Kopf ist mit brennendem Schmerz geboren. Wir können ihn alle sehen. Kein Sternengucker, ganz Lehrbuch. Die Hebamme ist eine Zauberin! Aber jetzt? Keine Wehe mehr. Es wird sich unterhalten, während der Kopf zwischen deinen Schenkeln steckt. Der Moment ist ganz klar, du erinnerst dich an jedes Detail, nicht wahr? Die Herztöne sind perfekt, die ganze Zeit schon. Es besteht kein Grund zur Eile, die Zeit steht einfach still, während alle im Raum auf die Geburt des Körpers warten.

Hebamme und Ärztin blicken sich an, ziehen deine Beine lang und drücken sie wieder an dich zurück. Mit einer letzten überwältigenden Wehe rutscht dein Baby ganz aus dir heraus. Mathilda liegt zwischen deinen Beinen. 1.30 Uhr.

Sie ist wunderschön! Darf ihre Nabelschnur noch eine ganze Weile lang behalten, quäkt vornehm und leise. Dann trennst du eure Verbindung eigenhändig und legst sie dir auf die Brust. Ihr schaut euch lange und tief in die Augen, Sebastian euch ganz nah. Ihr seid jetzt Familie!


Was in dieser Nacht passiert ist, kann nur ein Wunder sein. Durch sagenhafte Schmerzen, nie erlebte Körpergewalten und so viel Liebe kam ein Schatz in euer Leben, der euch mit größerem Stolz nicht erfüllen könnte. Ihr wart mutig, tapfer und laut. Ihr wurdet leise, verzaubert und belohnt.
Sie ist wie er, sie ist wie du und ganz viel sie – einfach unglaublich!

Kristin

Bild: privat

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Kommentare von Lesern:

Anni, Jena30.04.2016 12:19

Ich bin immer mal über das Tagebuch gestolpert. Toll. Herzlichen Glückwunsch! Ich habe auch beide Kinder interventionsfrei in Weimar geboren. Ein wunderbarer Ort. Es lebe die Hebamme Brigitte, die zufällig beide Kinder mit geboren hat.

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Stefanie, Frankfurt23.04.2016 08:54

Wunderschöner Brief.
Ich hab Tränen in den Augen.
Druck ihn dir aus und lies ihn an Tagen, an denen alles doof ist.
Nur das Beste für euch!
XX Stefanie

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Luise, Fritzlar22.04.2016 20:29

Liebe Kristin <3
Herzlichen Glückwunsch zu eurer zauberhaften Tochter! Ich bin zu Tränen gerührt. Das Geburtserlebnis hast du toll eingefangen.
Euch dreien ein wunderbares Familienleben :-)

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Kathrin, Stuttgart22.04.2016 07:37

Wunderbar........... genießt es.............

und schreib weiter, für Dich, für Euch! Du kannst das!

Liebe Grüße,

Kathrin

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aus Berlin21.04.2016 21:50

Vielen Dank für diese Tagebuch!

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Gast20.04.2016 22:36

Wirklich fantastisch geschreiben!
Und was ich ganz magisch finde: Obwohl bei euchdie äußeren Umstände natürlich anders waren, passen die Gefühle, bzw. das "zwischen den Worten" ganz genau zu meiner zweiten Geburt.
Irre, absolut irre
Alles Liebe

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Brigitte, Ahornberg20.04.2016 22:00

Ein wunderschöner Brief !
Du bist eine tolle fantastische Schreiberin.

Mathilda ist das Ergebnis Eurer Liebe

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Judith Berlin, Jena19.04.2016 21:05

zum weinen schön!

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Sandra, Osthessen18.04.2016 21:26

Liebe Kristin,
ich gratuliere euch ganz, ganz herzlich zur Geburt eurer süßen kleinen Tochter und danke dir für diesen einmaligen Geburtsbericht!
Ich wünsche euch eine wunderschöne Kennenlern- und Kuschelzeit, diese Zeit ist echt einmalig! Genauso wie dein Tagebuch- so schade, dass es nur noch einen Bericht gibt!
Alles Liebe und Gute für euch!

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Anita Regensburg18.04.2016 17:58

Herzlich Willkommen kleine Erdenbürgerin und Glückwunsch den Eltern. So eine süße Maus.

Wow so hab ich das noch nie gelesen. Hammer. Magst nicht weiter schreiben. Von Tränen der Rührung und Lachen war alles dabei. Sehr schön geschrieben.

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Gast18.04.2016 11:00

Ja, genau so ist es - einfach eine Lebensgewalt! Man könnte es nicht treffender beschreiben. Schade, dass dein Tagebuch dem zu Ende zu geht, ich hätte es gern weiter gelesen. Alle guten Wünsche für euch 3!

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Dieter, Fulda18.04.2016 09:27

Wow, welch schöner Brief!

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