Alleinerziehend mit Mann – Wenn einer im Familienalltag nicht mitspielt
6:15 Uhr – der Wecker reißt Tina unsanft aus dem Schlaf. Müde reibt sie sich die Augen. Die Nacht war kurz und voller Unterbrechungen. Der Kleine scheint etwas auszubrüten. Mal wünschte er eine Wärmflasche, mal wollte er kuscheln. Und Tina würde einfach nur gerne mal wieder durchschlafen. Aber daran ist jetzt nicht zu denken.
Working-Mom-Studie
Bei einer repräsentativen Umfrage des Rheingold Instituts gab rund ein Drittel der über tausend berufstätigen Mütter an, sich trotz Partner alleinerziehend zu fühlen. Der Partner, so ein weiteres Ergebnis der Studie, sei für sie eigentlich ein weiteres Kind. Über zwei Drittel der befragten Frauen gaben an, dass sie sowohl die Mutter- als auch die Vaterrolle übernehmen.
„Vielleicht gönne ich mir am Wochenende einen kleinen Mittagsschlaf“, denkt Tina. „Natürlich nur, wenn Jochen nicht arbeiten muss. Oder mal wieder etwas Zeit für sich braucht. Die verbringt er dann am liebsten in seinem Hobbykeller, beim Fußball oder seinen Freunden. Wo auch immer – Hauptsache weit weg von der Familie. Irgendwie habe ich mir das mit der Kindererziehung und dem Familienleben anders vorgestellt“, sinniert Tina melancholisch und seufzt, während Jochen noch schnell einen Schluck Kaffee im Stehen trinkt. „Tschüss Schatz, wird spät heute Abend“, ruft er und dann fällt hinter ihm die Tür ins Schloss.
Bei den wichtigen Dingen ist sie allein!
Tina schaut ihm nach. Seit Monaten geht das schon so. Das Familienleben beschränkt sich momentan auf ein gemeinsames Mittagessen am Wochenende. Kindererziehung, Haushaltsführung – alles macht sie allein. Ist sie undankbar? Alle profitieren von Jochens beruflichem Erfolg. Und trotzdem ist Tina unglücklich. Familiencoach Jörg Schnauer sagt hierzu: „Diese Situation ist ganz typisch für viele Paare und Eltern. Im Grunde plant man den nächsten Urlaub oder einen Autokauf präziser und freudiger als die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Würde man mit der gleichen Begeisterung auch die Kindererziehung oder die Aufgabenverteilung im Haushalt planen, gäbe es deutlich weniger Differenzen zwischen den Partnern bzw. Eltern.“
Erziehung nur Frauensache
„Am Wochenende werde ich mit Jochen reden“, nimmt sich Tina vor. Jetzt ist keine Zeit für Trübsal. Um 6:45 Uhr geht die allmorgendliche Hektik los: Frühstück machen, Brote schmieren, waschen, anziehen, Zähne putzen, den Großen in die Schule schicken, den Kleinen in den Kindergarten bringen. Geschafft.
Leicht gestresst und etwas verspätet kommt Tina bei ihrer Arbeit an. Der Teilzeitjob ist eine gute Möglichkeit, um in der Arbeitswelt wieder Fuß zu fassen und etwas anderes zu erleben als den Alltag daheim. Zum Glück ist ihr Chef selbst Familienvater und zeigt viel Verständnis, wenn sie wieder mal unerwartet zu Hause bleiben muss, weil ein Kind krank ist. Sie bewundert ihren Chef, nicht als Mann, sondern in seiner Rolle als Vater. Er hatte sich Elternzeit genommen, für ihn ist es selbstverständlich, im Haushalt mitzuhelfen und seinen Teil zur Erziehung beizutragen. „Wieso kann das nicht auch Jochen?“, fragt sich Tina etwas frustriert.
Jedes Elternteil sollte mit erziehen!
„Natürlich wird nicht jeder als Superpapa oder Supermama geboren. Wichtig ist jedoch, dass sich jeder Elternteil seiner Aufgabe in der Erziehung bewusst ist. Je nach Alter des Kindes benötigt es mal mehr den Vater, mal mehr die Mutter“, erläutert Familiencoach Schnauer.
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Mittagszeit. Jetzt aber schnell. Der Große kommt von der Schule, der Kleine aus dem Kindergarten. Beide bekunden erst mal gleichzeitig ihre Bedürfnisse: „Huuunger“, schreit der eine. „Mir ist laaangweilig“, der andere. Also schnell kochen, nebenbei puzzeln und zwischendurch noch die Waschmaschine anstellen. In einer halben Stunde beginnt schon das Kinderturnen. Mittendrin ruft Jochen an: „Hallo Schatz, wie geht´s dir?“ „Etwas gestresst“, antwortet Tina leicht genervt, während sie mit einer Hand versucht, dem Kleinen die Schuhe anzuziehen. „Warum?“, fragt Jochen erstaunt. „Du hast doch den ganzen Nachmittag frei!“ „Frei? Was genau meint er mit ‚frei‘“, denkt Tina entsetzt. „Kochen oder bei den Hausaufgaben helfen? Den alltäglichen Streit schlichten oder Fahrdienst spielen? Einkaufen, spülen, waschen oder bügeln?“ Von Freizeit spürt Tina gerade herzlich wenig.
„Jedes Paar sollte sich gegenseitig auch Raum für eigene Wünsche geben. Wenn man die alltäglichen Aufgaben gut verteilt, kann sich jeder Elternteil auch mal eine Auszeit nehmen. Wichtig ist dabei, dass man Veränderungen im Alltag klar definiert und umsetzt. Absichtserklärungen reichen nicht aus“, rät Kay Rurainski, staatlich anerkannter Heilpädagoge und Familiencoach.
„Gute Elternschaft wird durch gute Partnerschaft viel leichter.“
Es ist jetzt spät am Nachmittag, Tina kommt vom Kinderturnen und muss dringend noch etwas für das Essen einkaufen. Im Supermarkt trifft sie ihre Freundin Petra. Auch in deren Ehe lief es lange nicht rund, doch jetzt kommt sie ihr strahlend entgegen. „Du siehst so zufrieden aus, was ist passiert?“, fragt Tina. Petra lacht: „Gute Gespräche mit Hans, klare Aufgabenverteilung und Frau Maas – unsere neue Babysitterin! Wir nehmen uns wieder mehr Zeit für unsere Beziehung. Und Hans hat zwei verbindliche ‚Kinder-ins-Bett-bring-Abende‘.“ Familiencoach Rurainski bestätigt: „Gute Elternschaft wird durch gute Partnerschaft viel leichter.“
„Wow“, meint Tina, „wie hast du das geschafft?“ „Ich war so am Ende, dass ich endlich explodiert bin. Das hat dann vieles ins Rollen gebracht. Redet doch auch endlich mal“, rät Petra, „solange du bei Jochen deine Wünsche und Vorstellungen nicht klar äußerst, wird sich bei euch auch nichts ändern“. Tina schmunzelt: „Ja, ich glaub, ich bin soweit!“ Heute Abend wird sie in Ruhe mit Jochen reden. Sie wird ihm sagen, wie sie sich fühlt und ihm klarmachen, dass er nicht nur im Büro, sondern auch zu Hause eine wichtige Rolle spielt. Als Vater ihrer Kinder und als Ehemann.
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Paare müssen miteinander reden
Wie Eltern gute Erziehung und Partnerschaft definieren, bleibt ihnen selbst überlassen. Umso mehr lohnt es sich, darüber nachzudenken und Lösungen zu finden. Ein bewusstes Reflektieren der Situation ist dafür der beste Anfang“, erklärt Rurainski. Optimalerweise in einer entspannten Atmosphäre und ohne Vorwürfe. Veränderungen brauchen Zeit, um sich bei beiden Partnern zu festigen. Wunder über Nacht oder nach einem Gespräch wird es nicht geben. Wichtig ist, dass ein Anfang gemacht wird und beide Partner kontinuierlich an den Veränderungen arbeiten.
Es ist jetzt kurz nach 20:30 Uhr. Jochen kommt nach Hause, die Kinder schlafen endlich. Tina hat eine Kerze angezündet, eine Flasche Wein aufgemacht und zwei Gläser hingestellt. Sie lächelt und schaltet den Fernseher aus: „Lass uns mal reden, Schatz. Ich hab da so einige Ideen ...“