Wo soll ich bloß anfangen? In meinem Kopf ist zur Zeit einiges los, von dem ich allerdings manches gar nicht steuern kann und den Rest wie in Watte verpackt erlebe. Oder so. Schwierig.
Nun also, Julian hat es in der letzten Woche geschrieben. Mein Papa ist gestorben. Selbst beim Schreiben des Satzes ist es so unrealistisch für mich, dass ich keine Emotionen reinstecke. In den letzten Tagen habe ich mich oft gefragt, ob das noch normal ist. Warum ich so gut funktioniere, warum ich gar nicht weine, warum ich all das, was organisiert werden muss, organisieren kann, ohne dabei zusammen zu brechen. Aber gibt es ein ‚normal’ wenn man trauert? Allein wegen Max muss ich doch stark sein und kann mich nicht in eine Ecke verkriechen. Ich habe nur auch nicht das Gefühl, dass es mir schwer fällt, stark zu sein. Es ist einfach so. Allerdings bereitet es mir schon Sorgen, denn irgendwann muss es doch raus!? Vielleicht morgen. Morgen ist die Trauerfeier. Einen Tag vor Papas 51. Geburtstag. Ich kann es einfach immer noch nicht fassen, dass es wirklich er ist, den wir da morgen verabschieden sollen. Geht ja auch gar nicht, sich verabschieden. Tschüss sagen, oder was? Eben war er doch noch da. Wir wussten alle, dass seine Krankheit, der Lungenkrebs, irgendwann tödlich enden wird. Das war klar. Aber dass es jetzt passieren kann, das war zumindest mir wirklich nicht klar. Nicht so schnell. Es hieß immer, dass wir uns darauf einstellen sollten, dass mein Papa ein Pflegefall wird. Dass er nach und nach immer weniger kann, zu schwach ist, vielleicht wenig Luft kriegt, im Bett liegen muss. Letztendlich dauerte es dann keine 12 Stunden. Dabei fing die Woche so normal an! Voller Eifer hatte ich ein neues Kinderbett für Max gekauft. Obwohl mir mein Schwiegervater angeboten hatte, es mit mir zusammen zu kaufen und aufzubauen, wollte ich unbedingt meinen Papa fragen. Ich wusste, dass ihn das sehr anstrengen wird, aber ich wollte ihm immer das Gefühl geben, dass ich ihn nach wie vor brauche, dass er helfen kann. Wir sind also zusammen zu uns gefahren und haben das Bett aufgebaut. Es war schon sehr anstrengend für ihn, aber ich weiß, dass er es gerne gemacht hat, schließlich ist es das Bett für seinen geliebten Enkel.
Am Dienstag rief mich Papa mittags an und fragte, ob ich Lust hätte mit ihm und meiner Mama essen zu gehen. Ich hatte gerade erst gefrühstückt und immerhin sind es jedes Mal 20 Kilometer Fahrt bis dorthin, trotzdem hatte ich zugesagt – ich bin so unendlich froh darüber!! Den Nachmittag haben wir dann noch gemeinsam bei meinen Eltern verbracht, wie meistens, wenn ich nach Göttingen fahre.
Mittwoch hatte ich mich mit einer lieben Freundin für einen Kaffee + Spaziergang vorm Babyschwimmen verabredet. Natürlich sind wir in den dicksten und längsten Regenschauer des Universums geraten, aber nett war’s trotzdem. Beim Babyschwimmen sind wir schließlich eh nass geworden. Max war echt gut drauf. Zumindest war er nicht schlecht drauf, ist vielleicht etwas realistischer ausgedrückt. So freudig wie die anderen Kinder planscht er zwar noch nicht, aber das kommt vielleicht noch.
Nach dem Schwimmen hatte ich kurz überlegt, noch zu meinen Eltern zu fahren, da ich wusste, dass meine Mutter arbeitet und mein Papa sich immer über Besuch gefreut hat. Dann hatte ich aber doch keine Lust mehr, Max war müde und ich wollte ihn nicht wieder wecken, an- und ausziehen, bin also nach Hause gefahren. Zuhause blinkte schon das Telefon, meine Eltern hatten angerufen. Aus irgendeinem Grund habe ich das Zurückrufen aber auf später verschoben. Hätte ich doch….. Gegen 20.00 Uhr rief mein Papa an. So panisch habe ich ihn noch niemals gehört. Japsend sagte er mir, dass er keine Luft mehr kriegt, dass er Angst hat. Dieser eine Satz hat gefühlte Minuten gedauert. Ich sagte ihm, er soll den Notarzt rufen und sich ruhig hinsetzen, tief einatmen. Er sagte immer nur wieder „Ich kriege keine Luft“. Ich hatte solche Angst um ihn! Wir haben sofort meine Schwiegereltern zu uns gerufen, die auf den, zum Glück schon schlafenden, Max aufpassen sollten.
Bei meinem Vater angekommen war der Notarzt gerade dabei, Formulare auszufüllen, Papa saß auf dem Sofa, mit Tropf und Atemmaske bereit zum Abtransport. Ich werde nie vergessen wie ängstlich er ausgesehen hat, als er mir seinen Arm entgegen gestreckt hat. Ich hab ihn noch beruhigt und gesagt, dass die im Krankenhaus ihn wieder hinkriegen.
Es folgten Stunden voller Angst und Hoffnung im Krankenhaus, mal war er stabil, mal sackten die Werte ab. Eine starke Blutvergiftung hätte eine intensivmedizinische Behandlung erfordert, die mein Papa aber per Patientenverfügung und auch vor Ort persönlich abgelehnt hat. Ich habe gar nicht realisieren können, was es bedeutet, dass plötzlich diese Fragen aufkommen. „Sollen wir Sie soundso behandeln“ und Papa sagt „Nö. Nur keine Schmerzen will ich haben“. Zu dem Zeitpunkt war mir klar, dass wir ihn in den nächsten Tagen wieder abholen und ich mit ihm schimpfe, weil er so lange gewartet hat, bis er Hilfe gerufen hat.
Weil die Ärzte dann auch sagten, er sei stabil, und ich wegen Max (er war wohl die ganze Zeit wach) ganz unruhig wurde, habe ich Papa gesagt, dass wir nun nach Hause zu Max fahren und ihn morgen früh direkt besuchen. Noch bevor wir zu Hause waren, kam der Anruf. Es ginge ihm schlechter, genaueres weiß man nicht. Zu Hause habe ich Max gestillt, kurz danach kam der Anruf, dass die Ärzte nun mit Gewissheit sagen könnten, dass mein Papa die Nacht nicht überleben wird.
Ich glaube, das war die schlimmste Nacht in meinem Leben. Wir haben Max eingepackt und sind wieder in die Notaufnahme gefahren. Max hat dann im Kinderwagen geschlafen. Als wir ankamen, war Papa schon so voller Morphium, dass ich nicht genau weiß, ob er uns noch gesehen hat. Es standen ein paar Verwandte an seinem Bett um sich zu verabschieden. Es war alles wie im Film.
Die folgenden Stunden haben wir abwechselnd an seinem Bett gesessen. Es fiel mir sehr schwer, ihn so zu sehen. Die Lunge ist nach und nach voll Wasser gelaufen, während ein Organ nach dem anderen versagte. Um 4.36 Uhr am 31.01.2013 hatte er es geschafft. Sein Alptraum ist zu Ende, unserer hat begonnen. Worte können nicht beschreiben, was ich fühle, wie ich ihn vermisse. Es ist unheimlich. Obwohl ich am nächsten Morgen noch einmal in Ruhe Abschied nehmen konnte, (der Bestatter hatte ihn aufgebahrt), geht es nicht in meinen Kopf, dass es das gewesen sein soll. Nicht jetzt schon.
Die folgenden Tage, im Prinzip bis heute, bestanden daraus, alles Mögliche zu organisieren, Papiere zu suchen, Gespräche mit Bestatter, Gärtnereien etc. zu führen. Hätte mir vorher jemand gesagt, dass ich eine Urne für meinen eigenen Vater aussuchen kann, ohne dabei verrückt zu werden, ohne mit dem Kopf gegen die Wand zu laufen, ich hätte ihm den Vogel gezeigt. Aber irgendwie kriegt man es hin.
Max ist uns in diesen Tagen, vermutlich unwissentlich, die größte Stütze, die es in so einer Situation geben kann. Wir sind täglich bei meiner Mutter, und auch ihr hilft es so sehr, den Kleinen um sich zu haben. Er ist so unsagbar niedlich, er lacht, brabbelt, macht erste Drehversuche. Es lenkt uns wirklich gut ab, macht aber auf der anderen Seite auch wieder traurig, weil ich doch weiß, wie sehr Papa sich darauf gefreut hat, Max aufwachsen zu sehen. Die kleinen Schritte zu verfolgen. „Wenn Max im Sommer erstmal anfängt, hier rum zu flitzen“ hat er immer gesagt. Viele wollen uns damit trösten, dass Papa seinen Enkel kennen lernen durfte. Das ist auch wirklich wunderbar. Aber es macht mich so fertig, dass Max sich nie an seinen Opa, der ihn so sehr geliebt hat, erinnern wird. Max war so gewollt und willkommen in meiner kleinen Familie, wie ein Baby es nur sein kann. Wenn mein Papa sich mit ihm beschäftigt hat, dann hat Max immer ganz aufmerksam zugehört, was der große Mann da erzählt. Oft fand er ihn auch unglaublich lustig und hat sein schönes Zahnloslächeln ausgepackt. Aber wenn mein Papa ihm erzählt hat, dass sie bald ‚endlich’ zusammen Schnitzel essen gehen können, hat er ihn angeguckt als wollte er sagen „Waaas? Eeeeeeecht? Keine Milch?“
Viele Freunde und Verwandte bieten uns in diesen Tagen an, uns Max abzunehmen. Dabei tut es wirklich gut, ihn bei uns zu haben. Wäre er nicht da, würde ich vermutlich wirklich nur noch in der Ecke sitzen und sauer auf das Universum sein. Aber so… es muss ja weiter gehen. Und das wird es auch. Um mich mache ich mir dabei auch weniger Sorgen als um meine Mutter. Aber zusammen werden wir das schaffen und irgendwann hoffentlich nur noch schöne Erinnerungen an meinen Papa haben. Und nicht immer diese letzten Stunden vor Augen haben, in denen der Krebs sein schlimmstes Gesicht gezeigt hat. Er wird immer fehlen und ich werde bei allem, was Max lernt, immer in Gedanken meinen Papa dazu wünschen.
Zu mehr Tagebucheintrag bin ich heute nicht im Stande, glaube ich. Ich habe unglaubliche Angst vor der Trauerfeier morgen. Das ist dann wirklich der letzte Weg. Es wird schlimm werden. Aber es tröstet mich auch ein bisschen, dass es viele liebe Menschen gibt, die uns begleiten werden. An dieser Stelle auch ganz lieben Dank für eure Anteilnahme, für die Worte und auch für das Päckchen der kidsgo-Redaktion. Danke danke danke.
Ich möchte dennoch kurz auf die neueste Entwicklung von Max eingehen, immerhin ist das hier sein Babytagebuch. Wie ich oben schon geschrieben habe, ist er wirklich meistens gut drauf und brabbelt, pardon, erzählt uns viel. Wenn ich ihn auf den Bauch lege, dann schiebt er immer schon den Popo in die Luft, als würde er gleich loskrabbeln. Er schafft auch schon eine viertel Drehung nach rechts oder links, den so genannten Kreisel. Aber vom Bauch auf den Rücken oder anderes herum, gehört nach wie vor noch nicht zu seinem Repertoire. Nee, ich lüge. Also vom Bauch auf den Rücken klappt jetzt doch schon ab und zu, aber so richtig zählt’s ja eigentlich nicht, weil er ja nicht selbst auf den Bauch kommt. Also nur wenn wir ihn auf den Bauch legen, dreht er sich zurück. Aber es wird! Und wir lassen uns da auch gar nicht hetzen…
Die größte Veränderung besteht aber beim Speiseplan! Seit etwa einer Woche gibt es nämlich Brei! Und da Max vom ersten Löffel an isst, als hätte er mittags noch nie etwas anderes bekommen, werte ich das mal als Kompliment für meine Kochkünste Bisher gab es nur pure Karotte, jetzt wo alle unsere Lätzchen orange Flecken haben, die nicht mehr rausgehen, habe ich mal Pastinake ausprobiert. Nimmt er auch super. Mitte der Woche wollte ich dann mal anfangen, etwas Kartoffel mit bei zu mischen. Ein Kürbis liegt auch schon bereit. Ich koche richtig gerne für Max, auch wenn es bisher nur darin besteht, Gemüse zu schnippeln und dann zu pürieren… Es macht auch echt Spaß, den kleinen Mann zu füttern, zwar landet nicht jeder Löffel auch im Mund, aber er macht das fantastisch. Und wir können uns das Füttern teilen, der Papa kann nun auch mal ran. Noch stille ich Max nach dem Brei, aber auch hier habe ich teilweise schon zwanzig Minuten Abstand dazwischen. Ich bin mir gerade noch unsicher, wie ich es mit der Flüssigkeit zum Essen halte. Der Brei ist ja noch mehr flüssig als alles andere, aber Max sollte ich wohl trotzdem schon ans Wasser trinken zum Brei gewöhnen. Aus dem Trinklernbecher klappt es noch nicht so gut, aus dem Schnapsglas kann ich es nicht beurteilen, da immer die Hälfte daneben geht. Tipps???????
Jetzt möchte ich aber wirklich aufhören.
Nächstes Mal dann wieder mehr von Max!
Alles Liebe,
Patrizia
Every step I take, every move I make
Every single day, every time I pray
I'll be missing you
Thinking of the day, when you went away
What a life to take, what a bond to break
I'll be missing you
“I’ll be missing you” (P. Daddy)
Bild: privat