Manchmal fragt man sich schon, ob die pränatale Diagnostik nur geschaffen wurde, um die werdenden Eltern zu beunruhigen.
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
als ich diesen Blog begann, hatte ich schon Sorge, nicht genug zu finden, worüber ich schreiben könnte. Aber inzwischen habe ich das gegenteilige Problem: es gibt so viel, über das ich schreiben möchte. Insofern ist mein Blog wieder mal sehr lang. Aber Ihr habt ja eh nichts Besseres zu tun ...........
Unser erneuter Wochenende-Kurzurlaub in einem anderen Ferienresort war trotz regnerischen Herbstwetters und einem Morgen, an dem Tanja bereits um 5 Uhr wach war (ARGH!), recht erfolgreich. Diesmal war das Appartment größer, dafür aber das Schwimmbad so schlecht, dass wir es nur einmal benutzten. Stattdessen haben wir zwei weitere Spaßbäder der Region ausprobiert. Dabei ist es gar nicht so einfach, ein Bad mit Rutschen zu finden, die für unsere 3-jährige Tanja richtig ist. Die Rutschen dürfen nicht zu leicht sein, aber auch nicht zu wild. Und da liegt der Hase im Pfeffer. Denn Rutschen für die Kleinkinder („Babyrutschen“) gibt es meistens und auch richtig rasante Rutschen für die Kinder ab 8 Jahren. Aber dazwischen? Jedenfalls haben wir jetzt alle Spaßbäder der Region nun durch und wissen, dass von fünf Bädern genau zwei so sind, dass wir uns und Tanja auch wirklich beschäftigen können.
Einmal mehr waren wir in dem schon im letzten Wochenblog beschriebenen Museum, wo Tanja sich wieder und wieder die interaktive Ausstellung mit den Vögelrufen anschauen und anhören wollte. Und uns macht das auch Spaß.
Es ist interessant, wie sich durch Kinder auch der Blick auf die Region ändert. Wie man plötzlich gar nicht weit entfernt Gegenden oder einzelne Sehenswürdigkeiten entdeckt, die man sonst keines Blickes gewürdigt hätte.
Ansonsten wechseln Tanjas Stimmungen leider extrem. So habe ich an einem Nachmittag mit ihr einen Ikea-Schrank aufgebaut. Tanja hat mir die Teile zugereicht und begeistert mit dem Gummihammer diese Holzstöpsel in die Löcher reingehauen. Abgesehen von einigen unnötigen Bemerkungen wie „Oh Papa, ich glaube, Du hast alles falsch gemacht“ war das richtig nett und Tanja war auf das Ergebnis ganz stolz. Kurz darauf trieb sie die einfache Frage, was sie zum Abendessen will, in einen halbstündigen hysterischen Anfall, der uns an den Rand unserer Nerven brachte.
Inzwischen fahren wir eine neue Strategie gegen die Trotzanfälle. Wir haben gemerkt, dass es absolut nichts bringt, selbst laut zu werden, wenn sie ihre Ausraster hat. Dann schaukelt sich das alles hoch und zum Schluss sind alle fix und fertig. Wir versuchen nun einfach durchzuatmen und nicht laut zu werden. Entweder nehmen wir sie in den Arm oder versuchen die Situation durch Scherze aufzulockern („Oh nein, da wachsen ja Bockhörner auf Deinem Kopf. Schnell abmachen und wegwerfen!“).
Diese neue Strategie ist leider anstrengender als es sich anhört. Denn wenn das Kind wegen irgend einer Kleinigkeit komplett ausrastet, ist es unendlich schwer, äußerlich ruhig zu bleiben, wenn man innerlich kocht.
Na ja, kleine Anekdote zum Abschluss des Wochenberichts:
Im Spaßbad schlage ich Tanja vor, dass sie noch 10 mal rutschen darf und wir dann wieder gehen. Tanja ist das zu wenig. Sie meint, dass sie 6 mal rutschen will. Na gut, dann lasse ich mich eben auf 6 mal hochhandeln ;-)
Wenden wir uns jetzt einem viel ernsteren Thema zu: pränataler Diagnostik. Keine Angst, meiner Frau und dem Baby geht es gut. Die letzte Untersuchung mit Ultraschall brachte gute Ergebnisse.
Pränatale Diagnostik gibt es ja erst seit ein paar Jahren. Wenn man mal mit den Eltern oder älteren Bekannten spricht, so beschränkten sich die Untersuchungen noch vor 20 Jahren auf gelegentliches Abhören der Herztöne des Kindes. Mehr konnte man nicht machen. Punkt. Seit der Entwicklung eines wirklich einsetzbaren Ultraschalls (die ersten Geräte zeigten einfach nur kaum verständliche Wellen auf dem Bildschirm) und weiterer Testmöglichkeiten erlebt die pränatale Diagnostik einen Boom.
Bei Tanja vor 3 Jahren hatten wir noch Glück. Wie schon mal erzählt, hatten wir die Schwangerschaft dämlicherweise erst im 4. Monat festgestellt, so dass es für einige Tests schlicht zu spät war. Insofern fuhren wir nur zur Feinsonografie.
Auf der einen Seite ist so eine Feinsonografie eine interessante Sache. Weiß man bis dahin eigentlich nicht so genau, warum der Bauch sich rundet (zuviel gegessen, ein Baby oder doch ein Alien?), kann man es jetzt im Detail erkennen. Das Geschlecht lässt sich bestimmen und Papas Nase scheint auch vererbt zu werden (sorry!).
Auf der anderen Seite sind Aussagen des Arztes wie „Schön, da ist Fruchtwasser im Magen des Embryos. Dann wissen wir wenigstens, dass es auch eine Speiseröhre hat“, nicht unbedingt beruhigend. Mal ehrlich, welche Schwangere will schon wissen, dass es Kinder ohne Speiseröhre gibt?
Noch beunruhigender sind dann Aussagen wie: „Ich muss Ihnen sagen, dass die Harnröhre des Embryos ein Millimeter breiter ist als üblich. Damit steigt Ihr Risiko für ein Trisomie-Kind um ein bis zwei Prozent.“
Was soll das denn? Welcher Nutzen bringt so eine Aussage? Bei jeder Schwangerschaft besteht ein Risiko auf ein behindertes Kind (wobei man wissen muss, dass die meisten Behinderungen bei der Geburt entstehen). Was bringt nun das Wissen, dass sich ein Risiko um ein Prozent erhöht hat?
Insofern brachte die Feinsonografie bei Tanja einerseits Beruhigung (es ist kein Alien) und andererseits Beunruhigung (plus ein Prozent.....).
Bei unserer jetzigen Schwangerschaft wurde es noch schlimmer. Denn diesmal bekamen wir das volle Programm. Die Frauenärztin hatte einen so genannten PAPP-A-Test empfohlen, da meine Frau ja nunmehr über 35 Jahre ist und damit sofort als Risikoschwangere eingestuft wird. Der PAPP-A-Test besteht aus drei Komponenten. Der Messung der Nackenfalte des Embryos per Ultraschalll sowie der Bestimmung zweier Blutwerte. Daraus berechnet man die Wahrscheinlichkeit eines Trisomiekindes. In der Altersgruppe meiner Frau liegt der normale Wert bei 1:180, das heißt also, dass von 180 Kindern eines Trisomie 21 hat (das ist die Behinderung, die man früher „mongoloid“ und später „Down-Syndrom“ nannte). Okay, die Nackenfalte war in Ordnung, und auf die anderen Werte mussten wir 2 Wochen warten.
An einem Nachmittag kam ich mit Tanja vom Spielplatz zurück und fragte routinemäßig meine Frau „Na, alles klar?“ und meinte Frau heulte los. 1:37 – diesen Wert hatte ihr die Frauenärztin telefonisch genannt. Meine Frau war natürlich am Boden zerstört. Umso mehr als die Ärztin in absolut kalter Art gemeint hatte, man müsse das bald per Feinsonografie überprüfen, „bevor das Kind lebensfähig ist“.
Ich habe weite Teile des Abends nach einigen Internetrecherchen damit verbracht, meine Frau zu beruhigen.
Das Wichtigste ist nämlich, dass all diese Tests nichts, absolut nichts darüber sagen, ob das spezielle Kind tatsächlich behindert ist. Es wird nur eine Wahrscheinlichkeit berechnet. In unserem konkreten Fall: Von 37 Frauen mit diesen Werten wird eines möglicherweise ein behindertes Kind bekommen.
Dann besagt auch ein niedriger Wert von 1:37 wenig. Normal war ja eine Wahrscheinlichkeit von 1:180. Also bei 180 Geburten ein möglicherweise behindertes Kind. Rechnet man mal die Quote von 1:37 auf 180 hoch, ergeben sich nun ca. 5 Kinder, die möglicherweise behindert sind. Das muss man sich mal in Zahlen klarmachen. Bei den schlechten Werten meiner Frau sind bei 180 Geburten 5 Kinder möglicherweise behindert. Aber 175 sind es nicht!
Stellt Euch mal vor, dass Ihr ein Kind wollt. Und ein Arzt würde Euch zuvor sagen, dass Ihr eine Wahrscheinlichkeit von 2-3 Prozent auf ein behindertes Kind hättet (die Werte meiner Frau auf 100 Prozent berechnet). Würdet Ihr deswegen auf Euren Kinderwunsch verzichten? Wohl kaum, denn es bedeutet nichts Anderes, als dass Ihr eine Wahrscheinlichkeit von 97 – 98 Prozent habt, dass Euer Kind gesund ist. Und das ist doch eigentlich eine verdammt gute Quote, oder? Wie will man bei solchen Zahlen ernsthaft eine Abtreibung in Erwägung ziehen?
Am nächsten Morgen habe ich alles daran gesetzt, schnellstmöglich einen Termin bei der Feinsonografie zu bekommen. In unserer Stadt waren alle Termine die nächsten vier Wochen belegt. Erst in der nächsten Universitätsstadt bekam ich nach intensivem Betteln einen Termin schon für den nächsten Tag.
Diesen Tag werde ich noch lange in Erinnerung behalten. Es war extrem heiß und schwül. Mangels anderweitiger Möglichkeiten zur Kinderbetreuung mussten wir Tanja mitnehmen. Im Warteraum der Klinik war es noch heißer als draußen. Letztlich schaffte ich es doch, Tanja die drei Stunden, die wir erst auf die Untersuchung und dann während der Untersuchung warten mussten, zu beschäftigen.
Endlich, endlich, endlich kam meine Frau wieder raus. Und es war natürlich alles klar. Nicht der geringste Hinweis in der Feinsonografie auf eine Behinderung.
Wer übrigens glaubt, dass damit wirklich alles klar ist: Vergesst es. Auch die Feinsonografie bringt keine hundertprozentigen Ergebnisse. Ein Embryo mit den besten Ergebnissen kann durchaus behindert sein.
Oder andersherum bei meinem Kollegen: Bei seinem Kind waren sich die Ärzte nach Feinsonografien sicher, dass es behindert sei. Gott sei Dank wurde das Kind dennoch weiter ausgetragen. Denn tatsächlich zeigten sich nach Geburt einige Anomalien (so sind die Organe auf der jeweils falschen Körperseite), aber das Kind ist quicklebendig und gesund.
Mal ehrlich: manchmal wünsche ich mir, dass dieser ganze Mist gar nicht erfunden wäre.
Auch in der nächsten Woche werde ich genug zu schreiben habe. Der erste Elternabend im Kindergarten mit gemeinsamen Basteln(!) droht. Und meine Eltern kommen zu Besuch.
Ach ja: Ein Gutes hatte die Feinsonografie: wir wissen das Geschlecht des Kindes. Aber darüber das nächste Mal.....
Bis dann