PEKiP – Den nächsten kleinen Schritt begleiten
Der Raum in Berlin-Mitte ist kuschelig warm. Acht nackte Babys liegen im Kreis auf dem Bauch. Sie quietschen und
brabbeln, Mia lutscht zuerst an ihren Zehen, dann an Jules Daumen. Jonathan widmet sich hingebungsvoll einem Holzlöffel. Und die Mamas? Sie beobachten, wie ihre Kleinen Kontakte knüpfen. Einmal pro Woche treffen sich Mütter und Babys zum Kurs, der eineinhalb Stunden dauert. „Meine erste Tochter ist inzwischen sieben Jahre alt, nach ihrer Geburt habe ich sehr früh wieder angefangen zu arbeiten. Unsere gemeinsame Spielzeit kam dabei viel zu kurz“, erzählt uns die 34-jährige Ute. Das soll bei ihrer Tochter Mia anders laufen, fünf Monate ist sie jetzt. „Im PEKiP-Kurs kann ich mich ganz meinem Baby widmen, das ist für uns beide ein Luxus. Und ich bekomme Ideen für das Spielen zu Hause.“
Eltern-Kind-Kurse
Neben PEKiP gibt es noch andere Eltern-Kind-Kurse wie zum Beispiel FenKid, DELFI, Pikler oder Fabel. Sie unterscheiden sich in ihrem pädagogischen Konzept, ihren Schwerpunkten und im Alter der Kinder.
Alle Kursbeschreibungen im Überblick findest du hier:
Babys unter sich
Im ersten Lebensjahr tut sich so viel im Leben eines Babys. Es ist wunderschön, ihm beim Heranwachsen zuzuschauen und seine Entwicklungsschritte zu begleiten. Genau darum geht es in den unterschiedlichen Krabbel-, Spiel- und Entwicklungsgruppen: Ob Pikler, FenKid, ElBa oder PEKiP (Prager-Eltern-Kind-Programm) – überall steht das Baby im Mittelpunkt. Anfang der siebziger Jahre entwickelte die Bochumer Psychologin Christa Ruppelt das „Prager-Eltern- Kind-Programm, das auf den Erkenntnissen des Prager Psychologen Dr. Jaroslav Koch beruht.
Mittlerweile ist es zum Klassiker unter den Spielgruppen geworden, wöchentlich besuchen etwa 50 000 Babys in ganz Deutschland einen PEKiP-Kurs. PEKiP ist ein geschützter Name, nur qualifizierte PEKiP-Gruppenleiter dürfen unter dieser Bezeichnung eine Gruppe anleiten. Zusätzlich zur pädagogischen Fachausbildung ist dafür eine spezielle PEKiP-Ausbildung nötig.
Schon Babys sind gern in Gesellschaft, das lässt sich in der Gruppe genau beobachten. Spielend erkunden sie die Welt, probieren aus, was sie schon können und lernen neue Fähigkeiten dazu. Bereits mit drei Monaten nehmen Säuglinge Blickkontakt auf, später kommen Greifen, Aufeinanderzurobben und die Verständigung durch Mimik und Babylaute hinzu. Mit einem halben Jahr tauschen sie ihre Spielsachen: Ball gegen Tuch, Holzklotz gegen Rassel.
Die Idee, dass Mama und Papa bei einzelnen Schritten ihr Kind unterstützen und begleiten, ist Kern des Prager-Eltern-Kind-Programms: Dem Baby Zeit und Aufmerksamkeit widmen, ihm die Möglichkeit geben, vielfältige Erfahrungen zu machen.
Ungeheure Möglichkeiten
„Im Kind sind ungeheure Entwicklungsmöglichkeiten verborgen, von denen wir bis heute keine Ahnung haben“ - Mit dieser Beobachtung legte der Prager Psychologe Dr. Koch in den 60er Jahren den Grundstein für PEKiP. Das war zu einer Zeit, als Eltern ihre Kinder meist sich selbst überließen, sie ins Bettchen legten und auf ihr Weinen nicht reagierten, um sie nicht zu verwöhnen. Koch bemerkte, dass sich Babys schon ab den ersten Lebenswochen deutlich besser entwickelten, wenn ihre Eltern regelmäßig mit ihnen spielten. Und er stellte auch fest, dass die Kinder sich ohne Kleider am wohlsten fühlten: Sie waren viel aktiver und zufriedener, wenn sie sich ohne Strampler und dicke Windel bewegen durften. Deshalb sind alle acht Babys während der PEKiP-Stunde nackt. Das Aus- und Anziehen ist fester Bestandteil, und so ist jeweils die erste und letzte Viertelstunde eines Treffens eigens dafür reserviert: Die Mütter nehmen sich Zeit für diese Zeremonie und sagen ihren Kindern, was sie tun: „Jetzt knöpfe ich dein Jäckchen auf, dann ziehe ich erst den linken Ärmel aus, danach den rechten.“ Im Raum ist es circa 27 Grad warm, damit die Kleinen während der Spielzeit nicht frieren.
Eine kleine Pfütze auf der Matte? Kerstin, die die Gruppe leitet, ist da sehr entspannt: „Natürlich pinkeln die Babys ab und zu, aber das Pipi wischen wir mit Wasser weg. Babyurin ist praktisch steril, er enthält keine Keime, die den Spielkameraden schaden könnten."
Wenn Mütter während der Gruppenstunde stillen, rät sie dazu, dem Baby eine Windel anzulegen. Schließlich ist PEKiP kein starres Konzept, das keine Abweichung duldet. Und Mamas fühlen sich mit nasser Hose nicht gerade wohl.
Weitere Konzepte
Neben den bekannten vorgestellten Konzepten gibt es weitere Konzepte, die aber regional begrenzt sind.
Das Kurskonzept „PerLe – Positives erstes Lebensjahr“ wurde von der Katholischen Familienbildung Frankfurt entwickelt. PerLe-Gruppen vermitteln Anregungen, die gemeinsame Zeit mit dem Baby bewusst zu erleben, ermöglichen den Kindern Sinnes- und Materialerfahrungen sowie den Erwachsenen den Austausch untereinander. Regelmäßige Beobachtungseinheiten schärfen den Blick für die Stärken und Interessen der Kinder. Und ab und zu gibt es noch ein ganz besonderes Angebot: „Mama/Papa hat frei“…
Geeignet für: Babys ab dem 3. Lebensmonat
Informationen: Kath. Familienbildung Frankfurt, Tel. 069 133077900 und Kath. Familienbildungsstätte Wiesbaden, Tel. 0611 174118
Dieses Angebot gibt es z. Zt. nur im Rhein-Main-Gebiet
Das erste (zweite und dritte) Lebensjahr
Eltern-Kind-Kurse in Orientierung an Emmi Pikler: Dem Kind Zeit lassen, Raum geben für Bewegung und Spiel in eigener Initiative, vertraut werden durch einfühlsame Pflege und den Dialog von Anfang an. Die Kurse folgen dieser Pädagogik. Die Kinder haben eine anregende Spielumgebung, die Eltern Zeit, ihnen aufmerksam zuzuschauen, und Zeit für Infos und Gespräch. Die Kursleiterinnen werden qualifiziert durch die Pikler Gesellschaft Berlin e.V. in Kooperation mit dem Bildungswerk der Erzdiözese Köln.
Geeignet für: Neugeborene, Babys und Kleinkinder
Homepage: www.das-erste-lebensjahr.de
Dieses Angebot gibt es zur Zeit in Köln und im Düsseldorfer Raum
Der Mit-Kindern-wachsen-EntdeckungsRaum
Der Verein "mit Kindern wachsen" rief diese neue Form von Eltern-Kind-Gruppen ins Leben. Im Aussehen und der freien Bewegungsentwicklung des Kindes orientiert sich der EntdeckungsRaum an der Arbeit von E. Pikler und deren SpielRäumen. Das besondere Merkmal spiegelt sich im Vereinsnamen wieder. Der achtsame und respektvolle Umgang, das Prinzip der "Nichteinmischung" am Kind und deren Eltern liegt im Fokus des wöchtenlichen Treffen.
Geieignet für: Babys ab 3 Monaten
Homepage: www.mit-kindern-wachsen.de
Dieses Angebot gibt es z.Zt. nur im Düsseldorfer Raum
Entwicklungs- und Lerntherapie nach PäPKi
Die frühkindliche Entwicklung und der damit verbundene neuromotorische Aufrichtungs-prozess aus der liegenden Position bis zum aufrechten Stand, insbesondere in den ersten 18 Lebensmonaten, spielen eine besonders bedeutende Rolle. Bestimmte Symptome, wie z.B. Schieflagen oder Verhaltensauffälligkeiten können Hinweise auf entwicklungsbedingte Defizite sein. PäPKi setzt an dieser Stelle an. Auffälligkeiten werden diagnostiziert und den Eltern erläutert. Spezielle PäPKi Übungen helfen ihnen, im Alltag die körperlichen Defizite ihres Kindes spielerisch zu reduzieren. Das Wissen über körperliche und kognitive Zusammenhänge erleichtert den Umgang mit dem Kind bei Erziehungsaufgaben.
Geieignet: ab Geburt
Homepage: www.paepki.de
Dieses Angebot gibt es z.Zt. nur im Düsseldorfer Raum
Individuelle Bedürfnisse
Was während der Stunde geschieht, entscheidet jedes Kind nach seinem individuellen Bedürfnis. Die Babys sollen sich frei und selbstständig bewegen dürfen, sie geben das Tempo vor und bestimmen, womit sie sich gerade beschäftigen möchten. Gruppenleiterin Kerstin bietet verschiedene Anregungen für Bewegung und Sinneserfahrung: Sie zeigt den Müttern, wie sie die Babys über die Seite hochnehmen, wie die Kleinen über einen Wasserball rollen und dabei die Beinchen einsetzen oder wie sie ihre Kinder im Tuch schaukeln können. Mia quietscht vor Vergnügen, Philip interessiert sich nicht die Bohne dafür.
Dann bindet Kerstin den Wasserball an eine Schnur und lässt die Babys danach greifen oder mit den Beinen danach strampeln. Spielzeug aus unterschiedlichen Materialien, Formen und Größen regt die Sinne an: Knisternde Butterbrottüten, Tastsäckchen, Holzspielzeug, Stapelbecher.
PEKiP- und andere Eltern-Kind-Kurse werden von Familienbildungsstätten, Krankenhäusern, Volkshochschulen, Mütterzentren, caritativen Vereinen oder privaten Einrichtungen angeboten. Sie finden einmal wöchentlich statt, ein Kursblock besteht aus zehn Treffen und kostet etwa 85 Euro. Manche Krankenkassen erstatten einen Teil der Kursgebühren. Maximal acht Eltern-Kind-Paare können an einem Kurs teilnehmen. Der Kurs wird über das gesamte erste Lebensjahr angeboten. Auch die anderen Konzepte verfolgen den Ansatz, den Kindern Freiraum zu lassen, damit sie tasten, fühlen, schmecken, sich bewegen können. Inhalte und Umsetzung sind von Programm zu Programm unterschiedlich, doch alle Kurse begleiten Kind und Eltern durch das erste Lebensjahr, sie geben Halt und Sicherheit im Umgang mit dem neuen Familienmitglied.
„Bei PEKiP geht es nicht darum, die Entwicklung möglichst schnell voranzutreiben, sondern genau zu schauen, was das Baby bereits kann und ihm Hilfestellung zum nächsten kleinen Schritt zu geben“, sagt Gruppenleiterin Kerstin. „Dabei ist entscheidend, was das Baby interessiert und was ihm Spaß macht.“ Wer lutschen möchte, lutscht, woran er will. Wer rollen will, rollt hin und her. Wer müde ist, schläft. Jeder soll sich wohl fühlen, nichts geschieht unter Zwang.
Nette Mütter treffen
Und noch etwas macht die Eltern-Kind-Kurse attraktiv: Andere nette Mütter kennenlernen! „Mir tut es sehr gut, einmal die Woche einen festen Termin zu haben und andere Mütter zu treffen“, sagt Anne, „denn die meiste Zeit bin ich mit Lasse allein.“ Der Kontakt zu jemandem, der in genau dem gleichen Entwicklungsabschnitt steht und der weiß, was eine Mutter gerade beschäftigt, ist nämlich auch für die Großen wichtig: Um Fragen loszuwerden, zum Beispiel, ob andere Mütter ihr Baby auch mit ins Bett nehmen. Oder Tipps zu bekommen, was gut und was weniger gut geklappt hat – etwa wenn es ums Zufüttern geht. „Ich habe bis kurz vor der Geburt gearbeitet und vermisse den Kontakt zu meinen Kollegen. Aber mich beschäftigen gerade ganz neue Themen und mir tut es gut, Frauen zu treffen, denen es genauso geht“, sagt Valerie. „Deshalb verabreden wir uns auch außerhalb des Kurses und besuchen uns gegenseitig."
Freundschaften, die in Krabbelgruppen beginnen, überdauern oft Kindergarten- und Schulzeit – bei Kindern wie bei Müttern. Und es tut gut, andere Babys zu beobachten, ohne die Kinder besorgt miteinander zu vergleichen und festzustellen, was das eigene Baby noch nicht kann. Während ein Kind noch versucht, auf allen Vieren vorwärtszukommen, ist ein anderes vielleicht schon munter auf zwei Beinen unterwegs. Mütter lernen, Geduld zu haben und ihrem Baby die nötige Zeit für seine individuelle Entwicklung zu lassen. Denn schon in dieser frühen Lebensphase wird klar, wie unterschiedlich die Charaktere sind – und wie einzigartig.
Experten-Interview - Was macht PEKiP so wertvoll?
kidsgo: PEKiP, Pikler & Co. – unterscheiden sich die Programme wesentlich voneinander?
A. Lehmann: Alle Kurse haben ein gemeinsames Ziel: Sie sollen die Eltern-Kind- Beziehung stärken und das Baby in seiner Entwicklung begleiten und unterstützen. Jedes Konzept gewichtet Eltern, Kind und Gruppe anders. Bei PEKiP steht das Bedürfnis des Babys im Mittelpunkt. Deshalb bestärke ich die Mütter darin, auf die Bedürfnisse der Kinder zu achten und zu reagieren. Ist das Kind aktiv, will es sich bewegen? Dann zeige ich der Mutter Übungen, die seinem Entwicklungsstand entsprechen. Ist es müde? Dann darf es schlafen, auch wenn die anderen Babys gerade vergnügt spielen.
Experten-Interview
Astrid Lehmann ist Diplom-Pädagogin, Kunsttherapeutin und zertifizierte PEKiP-Gruppenleiterin. Sie bietet PEKiP-Kurse bei FiB e.V. in Köln-Brück an.
kidsgo: Worauf müssen sich Mütter bei PEKiP einstellen?
A. Lehmann: Dem Prager-Eltern-Kind-Programm liegt ein klares Konzept zugrunde. Darin sind bestimmte Standards festgelegt: Zentraler Bestandteil ist zum Beispiel, dass die Kinder sich frei bewegen dürfen – die Räume sind bei 24 bis 27 Grad beheizt, die Kinder sind nackt, weil das den besten Bewegungsspielraum bietet.
kidsgo: Für welche Babys ist PEKiP geeignet?
A. Lehmann: Der Kurs richtet sich an Eltern mit Babys ab der 4. - 6. Lebenswoche, auch ein späterer Einstieg ist möglich. Ob das Baby ein Frühchen ist, ob es Entwicklungsauffälligkeiten zeigt, spielt keine Rolle. Die Bewegungs- und Sinnesanregungen passen sich immer dem individuellen Entwicklungsstand an. Die Babys sollen weder trainiert noch gefordert werden – es geht nicht darum, eine Entwicklung voranzutreiben, sondern sie zu begleiten.
kidsgo: Gibt es PEKiP für Zuhause?
A. Lehmann: Der Austausch zwischen Müttern und der Kontakt unter den Babys sind natürlich nur in einer Gruppe möglich. Aber die Mutter- Kind-Bindung zu stärken, ist natürlich auch Zuhause möglich: Zum Beispiel, indem Mütter sich ganz bewusst eine gemeinsame Spielzeit pro Tag einräumen. Dabei kommt es nicht auf die Dauer sondern auf den richtigen Zeitpunkt und die Intensität des Spiels an. Wenn das Kind und die Mutter an der Anregung Freude haben und sich ganz auf das Spiel einlassen können, wird die Entwicklung am besten unterstützt. Das Baby sollte sich frei bewegen können – dazu braucht es Platz. Zum Spielen reichen ganz einfache Dinge aus dem Haushalt, Papiertüten, Kochlöffel, Korken oder Becher. Dabei immer beachten: „Weniger ist mehr“ und Wiederholungen sind für die Entwicklung des Kindes wichtig, damit sie die Dinge „be-greifen“ lernen und sich Bewegungsabläufe verfestigen können. Besonders wichtig ist es, Geduld zu haben und nicht einem Entwicklungsschritt vorzugreifen, also das Baby z.B. nicht hinzusetzen, bevor es das von allein tut.
kidsgo: Liebe Frau Lehmann, wir danken Ihnen für das Gespräch!