Wie heißt es doch: Eltern werden ist nicht schwer, Eltern sein dagegen sehr. Da ist was dran.
Hallo liebe Leser und Leserinnen,
auch uns hat der frühe Winteranfang erwischt. Bei Temperaturen am Gefrierpunkt und Schneeregen haben sich unsere Wochenendaktivitäten erstmal auf einen Indoor-Spielplatz und ein Spaßbad gerichtet. Seltsamerweise hatten alle anderen Eltern den gleichen Gedanken, so dass beide Einrichtungen aus allen Nähten platzten. Der Lärmpegel erinnerte an startende Düsenjäger in einem Meter Entfernung. Hauptsache, Tanja hatte ihren Spaß.
Tanja hat auch ihr erstes Lieblingslied („Häschen in der Grube“ gilt einfach nicht). Sie verlangt im Auto kategorisch „das Lied mit dem Herz“. Okay, soll sie bekommen, nämlich „Blaue Flecken“ auf der neuesten CD von Rosenstolz. Und dann sitzt Tanja in ihrem Kindersitz, nickt mit dem Kopf im Takt, klatscht mit und singt “Ohne dich dreh ich durch, trag mein Herz in der Hand und ich werf´s dir hinterher, fang es auf, halt es fest oder schmeiß es einfach weg, vielleicht brauch ich´s ja garnicht mehr.“
Meiner Frau geht es gut. Ein zeitweiliger Bluthochdruck hat sich wieder normalisiert. Ihre Ernährungsgewohnheiten sind wieder weitgehend normal. Abgesehen davon, dass sie das Fruchtjoghurt inzwischen in 1-Kilo-Packungen kauft (wusste gar nicht, dass es sowas gibt).
Irgendwie kommt die Geburt mit Riesenschritten näher, ohne dass wir eigentlich groß drüber nachdenken. Schon nächste Woche geht meine Frau in den Mutterschutz.
Das Baby ist nach den letzten Untersuchungen 2300 Gramm schwer und gesund. Zu den Terminen bei der Frauenärztin gehe ich übrigens nicht mit. Meine Frau legt darauf keinen besonderen Wert und für mich ist es schwer zu organisieren. Denn die Termine sind meistens vormittags und da muss ich ja arbeiten. Stundenweises Freinehmen ist in meiner Behörde unerwünscht, so dass ich für diesen Termin jeweils einen Urlaubstag nehmen müsste. Und die Urlaubstage möchte ich mir ja ganz gerne für die Zeit nach der Geburt aufheben. Ach ja, ich plane 4 Monate Elternzeit parallel mit meiner Frau nach der Geburt.
Der erste Elternabend im Kindergarten verlief ganz anders als erwartet. Da diese Angelegenheit abends stattfand und meine Frau regelmäßig Tanja ins Bett bringt, fiel mir das Los zu hinzugehen. Ich war wenig begeistert, wahrscheinlich würde ich als einziger Mann unter quatschenden Frauen sitzen und – wie ich es oft auf Spielplätzen erlebt habe – komplett ignoriert werden. Dass dann auch noch in der Ankündigung stand, wir würden Nikolausstrümpfe für die Kinder basteln, war auch nicht unbedingt ermutigend. Habe ich doch höchst unschöne Erinnerungen an den Werk- und Handarbeitsunterricht in meiner Grundschulzeit, wo ich weitgehend versagte. Noch heute bin ich handwerklich nicht gerade geschickt.
Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
Die erste Überraschung gab es schon, als ich den Raum betrat. Es waren zwar mehrere Mütter, aber auch schon zwei Väter da. Und alle waren nett und ich wurde freundlich aufgenommen. Nach und nach trafen noch einige andere Eltern ein und zum Schluss waren im Raum mehr Väter als Mütter. Wer hätte das gedacht.
Auch das Basteln des Nikolausstrumpfes ging einigermaßen. Jedenfalls versagte ich nicht komplett. Ich bin nur froh, dass Tanja noch kein ästhetisches Empfinden hat, somit bleiben mir Äußerungen wie „Warum sind alle anderen Strümpfe viel schöner als meiner?“ jedenfalls dieses Jahr erspart.
Die zweite Überraschung: die leider recht negative Einschätzung der Leiterin des Kindergartens zu Tanja. Zunächst berichtete sie mir, dass Tanja einen ihrer hysterischen Schreianfälle auch im Kindergarten gehabt hatte und die Leiterin so beschimpft hatte, dass die Leiterin mir gegenüber die Worte nicht wiederholen wollte. Unsere schüchterne Tochter? Okay, uns gegenüber rastet sie ja mal aus, aber gegenüber Dritten?
Als sie mir die Situation geschildert hatte, verstand ich, wie es dazu gekommen war. Tanja hasst es, allein gelassen zu werden. U.a. deswegen hatten wir diesen Kindergarten ausgesucht, weil sich hier die Kinder beim Mittagsschlaf nicht alleine hinlegen, sondern die Erzieherinnen dabei bleiben. Nun schläft Tanja zwar dort nicht, aber sie ruht sich wenigstens solange mit aus. In dem speziellen Fall war die Leiterin bei ihr im Ruheraum, musste dann aber auf die Toilette. Sie sagte also Tanja, dass sie gleich wieder da sei und ging hinaus. Vermutlich in ihrer Angst, alleine gelassen zu werden (obwohl ja rundrum die anderen Kinder schliefen), ging Tanja hinterher, was die Leiterin natürlich nicht so lustig fand. Als sie versuchte, Tanja in den Ruheraum zurückzubringen, rastete Tanja aus.
Noch mehr als dieser einzelne Vorfall verstörte mich aber die Gesamteinschätzung der Leiterin. Nach ihrer Schilderung ist Tanja extrem schüchtern, spricht kaum mit den Erzieherinnen und den anderen Kindern, spielt alleine oder sieht zu, wie die anderen spielen. Die Leiterin macht sich entsprechend Sorgen um Tanja, weil sie meint, dass sie nicht an Tanja „rankomme“.
Ich war von diesen Schilderungen natürlich recht betroffen. Es ist absolut richtig, dass Tanja schon seit jeher schüchtern ist. Dass sie Schwierigkeiten hat, auf andere zuzugehen. Und mit anderen Kindern kaum spielt. Aber dass es so schlimm ist?
Irgendwo habe ich mal gelesen, dass Kinder oft so werden wir ihre Eltern. Das würde bei Tanja sicher zutreffen. Wir - meine Frau als auch ich - sind beide zurückhaltende, ruhige Menschen. Auch wir sind bei unbekannten Menschen eher schüchtern und haben Schwierigkeiten auf andere zuzugehen. Hat Tanja das also von uns geerbt? Dabei haben wir alles versucht, um sie mit anderen Kindern aufwachsen zu lassen. Wir hatten regelmäßig unsere Krabbelgruppen und auf den Spielplätzen waren wir auch bis zum Exzess. Im Sommer sind wir oft bei unseren Nachbarn im Garten, die Zwillinge im gleichen Alter wie Tanja haben.
Aber es war schon immer so. Auch wenn andere Kinder da sind, spielt Tanja eher für sich oder beobachtet die anderen Kinder beim Spielen.
Uns ist auch nicht klar, was wir tun könnten, um das zu ändern. Bei uns zuhause ist sie ganz normal, von ruhig bis quirlig, redet viel (manchmal zu viel) und spielt mit uns. Im Kindergarten ist sie ja nun schon und kommt da eigentlich nach unserer Einschätzung gut zurecht. Sie geht nicht allzu widerstrebend hin und nachmittags berichtet sie begeistert davon. Wenn ich sie frage, ob es ihr im Kindergarten gefällt, sagt sie „Na klar“ und meint es auch so. Und wir merken auch in letzter Zeit Verbesserungen bei ihr. Wenn andere Leute sie ansprechen und Fragen stellen, antwortet sie (was sie früher nie getan hat).
Ach Mann, haben wir was falsch gemacht? Sind wir schlechte Eltern? Haben wir uns zuviel, zuwenig, falsch um sie gekümmert? Hätten wir Tanja nicht drei Jahre zu Hause erziehen sollen, sondern sie – wie hier üblich – schon früh in eine Krippe geben sollen? Wir wissen es nicht. Hoffen wir mal, dass sich ihre Schüchternheit mit der Zeit gibt.
Apropos Eltern:
Diese Woche wurde durch den Besuch meiner Eltern geprägt. Meine Eltern sind nun schon 72 und 79 Jahre alt und wir sehen uns sehr selten. Mehr als einmal im Jahr klappt das kaum. Schon allein deswegen, weil sie an die 800 km entfernt wohnen. Außerdem verbringen sie regelmäßig die Zeit von Mai bis Oktober in einem Ferienhaus im Ausland.
Unser Verhältnis ist auch nicht unbedingt eng. Es ist nicht so, dass wir uns streiten, und wenn wir uns sehen, können wir auch durchaus Zeit miteinander verbringen. Aber eine wirkliche Beziehung zueinander haben wir auch nicht. Es mag daran liegen, dass mein Vater ein sehr kontrollierter, eher gefühlskalter Mensch ist. Ich erinnere mich nicht, dass er mich jemals umarmt hätte.
Ich mache ihm da auch keine Vorwürfe, er ist eben wie er ist. Und wir waren 3 (höflich formuliert) anstrengende Jungen zuhause, mit denen es eigentlich ständig Ärger gab, das war für unsere Eltern bestimmt nicht leicht. Interessanterweise ist auch die Beziehung meiner Brüder zu meinen Eltern nicht gerade eng. Genauso wenig wie die Beziehung zwischen uns Brüdern. Meine Frau hat unsere Verhältnisse in der Familie mal als „höfliches Desinteresse“ beschrieben. Das trifft es ziemlich genau.
Für mich ist es allerdings sehr wichtig, dass wir unserem Kind bzw. unseren Kindern ein warmherziges, liebevolles Zuhause geben. Ich möchte nicht, dass unsere Kinder später einmal ein genauso distanziertes Verhältnis zu uns haben wie ich zu meinen Eltern.
Ich habe ja noch erwähnt, dass wir vom Ultraschall das Geschlecht unseres Kindes kennen. Als meine Frau mit dem Wunsch nach einem zweiten Kind kam, sagte ich gleich: „Aber nur ein Mädchen“. Ich kann es schlecht erklären, aber ich finde Jungs eher nervig. Laut, aufdringlich, aggressiv, irgendwie gar nicht so, wie ich mir kleine Kinder vorstelle. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich eben selbst mit 2 Brüdern aufgewachsen bin und weiß, wie Jungs sind. Oder es liegt daran, dass ich ohnehin wenig mit Männern anfangen kann und lieber mit Frauen zusammen bin? Auch von den drei klassischen Männerthemen Fußball, Auto und scharfe Weiber interessieren mich zwei nicht.
Als meine Frau dann zur Feinsonografie ging, meinte ich noch: „Na ja, wenn es ein Junge wird und nach mir kommt, dann wird man es ja beim Ultraschall sehr deutlich sehen“ (höhöhö, cooler Männerhumor).
Beim ersten Bild des Ultraschalls schauten der Arzt und meine Frau dann auf den Bildschirm. Der Arzt grinste und sagte: „Da muss man jetzt aber kein Arzt sein, um das Geschlecht zu erkennen“.
Es wird also ein Junge.
Inzwischen habe ich mich auch an den Gedanken gewöhnt. Es kommt halt wie es kommt und es gibt auch nette Jungen. Vielleicht wird der dann wenigstens nicht so schüchtern wie Tanja.
Ganz interessant finde ich die Reaktion der Umfeldes. Wenn sie hören, dass wir nun nach einem Mädchen noch einen Jungen bekommen, meinen viele, dass das ganz toll wäre, sozusagen die perfekte Durchschnittsfamilie. Dieser Gedanke ist mir nie gekommen.
Ich bin mal gespannt, ob sich unserer Junge dann anders entwickeln wird als Tanja. Wird er mit dem gleichen Spielzeug spielen, wird er mehr oder weniger Ärger beim Schlafen oder während der Trotzphasen machen? Wird er so anhänglich sein?
Das Wissen über das Geschlecht hat auch den Vorteil, nur nach einem männlichen Vornamen suchen zu müssen. Inzwischen haben wir auch einen, nämlich „Wilhelm-Giacomo“.
Ne, war nur ein Spaß, wir sind ja nicht bescheuert. Wir haben uns für einen Klassiker entschieden, der aber natürlich bis zur Geburt strengst geheim gehalten wird.
Bis zur nächsten Woche