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Abschied vom Kinderwunsch – ein Trauerprozess, aber nicht unüberwindbar

Tewes Wischmann ist psychologischer Psychotherapeut und Professor am Institut für medizinische Psychologie im Universitätsklinikum Heidelberg. Dort bietet er Paaren eine spezielle Beratung bei unerfülltem Kinderwunsch an. Wir haben mit ihm gesprochen.

In diesem Artikel:

Herr Wischmann, wenn es mit dem Kinderwunsch – oft nach einer jahrelangen Kinderwunschbehandlung – trotzdem nicht klappt, trifft das die Betroffenen schwer. Werden zu viele Hoffnungen in die moderne Medizin gesetzt?

Ein Problem das ich sehe: In den Kinderwunschzentren arbeiten nur wenige geschulte Psychologen die Paare begleiten und auch darauf vorbereiten könnten, dass es oft trotz aller Bemühungen nicht klappt. Ihnen wird dort nur stets geraten, sie sollen positiv bleiben und man sagt ihnen, sie hätten gute Chancen. Dann machen solche Paare vielleicht zwei oder drei Zyklen einer künstlichen Befruchtung mit und merken erst nach drei bis vier Jahren, dass sich ihr Wunsch wahrscheinlich nicht mehr erfüllen wird.

Unser Experte

Tewes Wischmann ist psychologischer Psychotherapeut und Professor am Institut für medizinische Psychologie im Universitätsklinikum Heidelberg. Dort bietet er Paaren eine spezielle Beratung bei unerfülltem Kinderwunsch an.

Der psychologische Psychotherapeut und Professor Tewes Wischmann arbeitet am Institut für medizinische Psychologie im Universitätsklinikum Heidelberg. Dort bietet er Paaren eine spezielle Beratung bei unerfülltem Kinderwunsch an.

Vielleicht ist es ja aber auch besser, wenn man während einer Kinderwunschbehandlung optimistisch und hoffnungsfroh bleibt?

Um jeden Preis positiv zu bleiben wirkt sich sicher nicht auf den Behandlungserfolg aus. Den Eizellen ist das nämlich ziemlich egal. In der psychosomatischen Forschung wurde tatsächlich lange Zeit immer gesagt, dass etwas psychisch nicht stimmt, wenn es mit dem Kinderwunsch nicht klappt.

In einer sehr groß angelegten Untersuchung an der ich beteiligt war, haben wir aber nichts dergleichen festgestellt. Ich sehe vielmehr ein Problem darin, wenn alles nur auf den Plan A, den Kinderwunsch ausgerichtet ist. Denn ist es wichtig, auch einen Plan B für die Lebensgestaltung zu haben. Wo will man die ganze Energie reinstecken, die man in dieses eine Ziel investieren wollte? Das sollte man sich unbedingt schon vor einer Kinderwunschbehandlung überlegen.

Werden wirklich übertriebene Hoffnungen geweckt? Es werden doch immer Daten zu den Erfolgsraten bei einer Kinderwunschbehandlung veröffentlicht.

Dabei wird zum einen immer die Schwangerschaftsrate angegeben, diese liegt pro Behandlungszyklus bei etwa 30 Prozent. Die Rate der Lebendgeburten ist aber um gut zehn Prozent niedriger, sie liegt nur bei etwa 20 Prozent. Das bedeutet: Nach drei Versuchen einer künstlichen Befruchtung ist immer noch knapp die Hälfte der Paare ohne Kind.

In den vergangenen Jahren ist zwar die Schwangerschaftsrate, nicht aber die Rate der Lebensgeburten nach einer künstlichen Befruchtung gestiegen. Das liegt auch daran, dass die Frauen die sich für eine solche Behandlung entschließen, immer älter werden. Bei den Erfolgsraten einer künstlichen Befruchtung wird zudem meist der Mittelwert für alle Altersgruppen angegeben. Die Chancen fallen aber umso geringer aus, je höher das Alter einer Frau ist. Die Natur ist da leider unerbittlich. Medienberichte über Hollywoodstars, die noch im Alter weit über 40 Jahren schwanger werden, vermitteln da oft ein falsches Bild. Meist ist das nämlich nur mit einer Eizellspende möglich. In Deutschland sind Eizellspenden aber verboten.

Wie lange sollte man an einem unerfüllten Kinderwunsch festhalten?

Bei einer Kinderwunschbehandlung sollte man einen Fahrplan haben und der muss immer auch eine Grenze enthalten. Man kann zum Beispiel von Anfang an festlegen, bis zu drei Behandlungszyklen in Anspruch zu nehmen oder aufzuhören, wenn die Frau ein bestimmtes Alter erreicht hat. Die festgelegte Grenze kann sich auch verschieben, wenn sich an der Situation etwas geändert hat, man die Behandlung zum Beispiel weniger belastend findet als zunächst vermutet, oder man finanziell neue Mittel hat. Man sollte jedenfalls nicht warten bis die Ärzte sagen, es gibt keine Chance mehr, denn das kann mitunter sehr lange dauern. Eine statistisch gesehen winzige Chance kann es ja fast immer noch geben.

Was ist der häufigste Grund, aus dem Paare den Kinderwunsch schließlich aufgeben?

Das Ende ist für viele in dem Moment erreicht, wenn die Krankenkasse sich nicht weiter an den Kosten der Kinderwunschbehandlung beteiligen möchte. Es müssen dann die vollen 3000 Euro pro Behandlungszyklus selbst finanziert werden und nicht mehr nur die Hälfte. Bis zu diesem Moment haben aber die Paare schon mehrere tausend Euro ausgegeben.

Es geht oft um äußere Zwänge, ist also nicht unbedingt eine freie Entscheidung. Was raten Sie denn aus psychologischer Sicht, wann man eine Kinderwunschbehandlung abbrechen sollte?

Der Moment ist gekommen, wenn Sie nicht mehr können. Was die meisten unterschätzen, ist diese Achterbahn der Gefühle aus Hoffnung und Enttäuschung. Das kann sehr belastend sein und man sollte dann möglichst nicht noch andere Baustellen im Leben haben. Ich weise die Paare auch darauf hin, dass es meist eine Restwahrscheinlichkeit gibt, dass es noch klappen könnte. Dass es aber an ihnen und ihren Ressourcen liegt, also eine ganz persönliche Entscheidung ist. Wenn Paare wirklich vom Kinderwunsch Abschied nehmen wollen, gebe ich auch den Rat, ab diesem Moment zu verhüten, denn sonst bleibt weiterhin eine letzte Hoffnung. Das ist meine Empfehlung, die meisten machen es aber nicht, denn es kommt ihnen komisch vor.

Sind ein unerfüllter Kinderwunsch und eine wiederholte, erfolglose Kinderwunschbehandlung für Frauen belastender als für die Männer?

Es ist für beide sehr anstrengend, für die Frauen, die das Ganze körperlich erleben, aber auch für deren Partner, die oft große Hilflosigkeit empfinden. Es ist ein großer Herzenswunsch und wenn der nicht in Erfüllung geht, ist das eben sehr schwer. In meiner Praxis wird viel geweint. Auch die Männer sind oft sehr emotional und stark betroffen. Es scheint so, dass sie sich bei mir leichter öffnen und leichter Gefühle zeigen können, weil ich selber ein Mann bin. Von Kolleginnen höre ich, dass das in ihren Sprechstunden nicht immer so ist.

Zu Ihnen kommen Paare, die sich bewusst Unterstützung suchen, weil es ihnen so schwer fällt sich vom Kinderwunsch zu verabschieden. Wie können Sie helfen, wie arbeiten Sie mit den Betroffenen?

Ich sage ihnen, dass es keinen Ersatz für das Kind gibt, das sie gerne gehabt hätten. Und dass es ganz klar ein Trauerprozess ist, den man durchlaufen muss, dass die Trauer aber nicht unüberwindbar ist. Ich frage dann zum Beispiel, ob jemand in der Vergangenheit schon einmal Krisen durchlebt hat und was in dieser Phase geholfen hat. Dann versuchen wir, dies auf die Situation zu übertragen. Ich frage auch, in welchen Momenten es jemandem gelingt, den Kinderwunsch zu vergessen. Vielleicht beim Spazieren im Wald, bei seinen Hobbys, beim Sport oder wenn man lustige Filme schaut. Es können kleine Dinge sein, die einem gut tun, das gilt es wertschätzend auszubauen. Falls es sich nicht um alleinstehende Frauen handelt beharre ich übrigen immer auf einer Paarberatung.

Weil der unerfüllte Kinderwunsch auch die Paarbeziehung belastet?

Partner haben oft unterschiedliche Arten, zu trauern. Tendenziell eher „weiblich“ ist das Trauern - das gefühlsorientierte Auseinandersetzen mit dem Schmerz. Bei Männern beobachte ich hingegen öfter, dass sie schnell neue Pläne machen, vielleicht über „Alternativen“ wie eine Adoption nachdenken. Das sind zwei unterschiedliche Bewältigungsstrategien. Man sollte das akzeptieren, wie zwei Seiten einer Medaille und nicht versuchen, den anderen von seiner Strategie zu überzeugen. Und natürlich kann der Abschied vom Kinderwunsch belasten. Aber langfristig gilt für Paare, dass ein unerfüllter Kinderwunsch als durchgemachte Krise sogar eher zusammenschweißt. Paare mit unerfülltem Kinderwunsch bleiben im Durchschnitt länger zusammen als solche mit Kindern und auch als Paare, die gewollt kinderlos sind.

Wenn im Freundeskreis oder unter den Geschwistern alle anderen Nachwuchs haben wird man ständig mit dem unerfüllten Kinderwunsch konfrontiert. Was kann da helfen?

Eine rein vermeidende Strategie, bei der man auf Familienfeste mit Nichten und Neffen komplett verzichtet, wäre sicher der schlechteste Weg. Man sollte sich aber auch nicht überfordern. Ab und zu ist es gut, ruhig egoistischer zu sein: Wenn vor kurzem erst ein neuer Versuch nicht geklappt hat und einem deshalb nicht der Sinn nach dem großen Familienweihnachtsfest steht darf man auch mal eine Migräne vortäuschen und absagen. Langfristig entscheiden sich aber übrigens viele Menschen, die ungewollt kinderlos bleiben, sogar bewusst, ihre Onkel oder Tantenfunktion aktiver wahrzunehmen.

Und wie sollten sich Menschen im Umfeld verhalten?

Jedenfalls sollten sie nicht versuchen, den unerfüllten Kinderwunsch zu bagatellisieren, nach dem Motto: Seid doch froh, ihr habt ja noch eure Freiheit. Das tut nur noch mehr weh, wenn man sich Kinder nun einmal wirklich wünscht.

Es gibt doch tatsächlich viele schöne Dinge im Leben, die man ohne Kinder besser genießen kann. Man kann sich viel stärker anderen Zielen widmen. Warum hilft dieser Gedanke nicht?

Einen Trost kann man erst dann darin finden, wenn die Trauerphase abgeschlossen ist. Viele Menschen entscheiden sich dann zum Beispiel dafür, sich beruflich noch einmal neu zu orientieren. Grade Frauen, die beruflich oft nicht so zufrieden sind, haben sich auch deshalb auf den Kinderwunsch fokussiert Es ist aber wichtig, sich zunächst Zeit für die Phase der Trauer zu geben. Bei einem sehr starken, aber unerfüllten Kinderwunsch wird zudem immer eine Narbe bleiben und manchmal kann diese auch wieder aufreißen. Oft ist das dann der Fall, wenn im Freundeskreis viele Großeltern werden. Oder die Trauer kommt zu bestimmten Jahrestagen wieder hoch, wenn sich zum Beispiel das Datum einer Fehlgeburt jährt. Wenn man das weiß, kann man aber versuchen sich darauf vorzubereiten.

Was möchten Sie Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch noch mit auf den Weg geben?

Einem Kinderwunsch sollte man immer Raum geben, aber auch Grenzen setzen. Wenn ich bei mir in der Paarberatung merke, dass eine Frau sehr darauf fixiert ist, bitte ich zum Beispiel den Mann, dafür zu sorgen, dass noch andere Dinge im gemeinsamen Leben gelebt werden.

In den Kinderwunschzentren hängen immer Fotos von Babys und glücklichen Familien in den Wartezimmern und es ist natürlich schön, wenn man zu denen gehört, die Erfolg hatten. Ich würde mir in meiner Praxis aber manchmal gerne Bilder von den vielen Paaren aufhängen, die kinderlos auch wieder glücklich geworden sind.