Dienstagabend, kurz nach neun
Es läuft. Wenn auch holperig. Mal gibt es gute Tage. Mal gibt es weniger gute Tage.
Langsam bereite ich mich wieder auf das Unterrichten vor. Johanns erste Eingewöhnungswoche lief sehr gut. Dem Gruppenkonzept gegenüber bin ich positiv eingestellt. Den Erziehern kann ich vertrauen. Die ersten Elternkontakte waren angenehm. An den Nachmittagen und an den Abenden suchte Johann meine Nähe. Benötigt viel Zuwendung. War fiel auf meinem Arm. Alles ganz normal.
Von Freitag auf Samstag litt Johann unter seinem ersten Kita-Keim. Fieberte. Erbrach sich. Bekam starken Schnupfen. Am Sonntag ging es ihm besser. Jedoch fiel es ihm gestern und heute schwer, die Stunde in der Kita durchzuhalten. Meist saß er auf dem Schoß der Erzieher. Kuschelte. War erleichtert, wenn ich ihn abholen kam. Ich denke, auch das ist normal.
Dafür haben sich nun mein Mann und ich einen dicken Schnupfen geholt. Sind müde. Sind etwas gereizt. Nur die Große ist putzmunter. Im wahrsten Sinne des Wortes. Abends findet sie gerade wieder keine Ruhe. Kommt immer wieder aus ihrem Zimmer geschlichen und steht plötzlich neben mir. Möchte auf den Schoß. Möchte, dass ich nochmal zu ihr ins Bett kuscheln komme. Selbst wenn wir Eltern spätabends endlich den Weg in unser Schlafzimmer finden, hören wir sie noch rumoren. Ich weiß nicht, ob dass für ein 3-jähriges Mädchen, die auch mittags kaum noch schläft, normal ist.
Allen Familienmitgliedern ist langsam bewusst, dass es mit den gemütlichen Morgen, an denen ich noch anwesend sein werde, bald vorbei ist. Umso mehr fordert meine Große jetzt ein, dass ich sie morgens abdusche und ich ihr Frühstücksbrot schmiere. Johann hockt dann oft mit erhobenen Ärmchen auf dem Boden und will auf den Arm. Mein Mann fragt sich immer wieder seufzend, wie er es bald morgens allein mit den beiden schaffen soll. Ganz normale Unsicherheiten.
Auch ich mag gerade nicht daran denken, wie ich ab kommender Woche regelmäßig vor sieben aus dem Haus marschiere, Eis vom Auto kratze, mich im Dunkeln durch den Morgenverkehr wurschtel. Allen ist etwas mulmig vor dem Neubeginn. Logisch. Normal.
Ich glaube, wir vier werden es schon schaffen. Wenn wir Eltern etwas gut können, dann Organisieren. Vielleicht müssen wir uns einfach in Geduld üben. Ein Nachsehen haben. Mit der Umstellung. Mit den Bedürfnissen unserer Kinder. Mit unseren Bedürfnissen. Sanft in den Alltag gleiten, ohne sofort in Panik und Hektik zu verfallen. Ganz normale Übergänge schaffen.
Für Johanns ersten Geburtstag am Mittwoch nächster Woche habe ich mir mit meinem Mann ein paar kleine Geschenke überlegt. Wachsmalstifte. Bücher, für die er jetzt doch immer mehr Interesse zeigt. Und ein elektronisches Spielzeug, auf das wir uns noch nicht richtig geeinigt haben. Tja, diesmal kein Öko-Holz-Spielzeug, welches hier nur uninteressiert in die Ecke fliegt. Sondern etwas mit Tasten zum Drücken, die blinken und auch noch mit ihm sprechen sollen.
Beim zweiten Kind wird man eben doch pragmatisch und schüttelt seinen Montessori-Waldorf-Was-Auch-Immer-Anspruch endgültig ab. Denn Johann interessiert sich hier nur für LAN-Kabel, Steckdosen, Elektrostecker, Notebooks, Drucker, Smartphones. Für Dinge, die er hier nicht haben darf. Für die er sich normalerweise nur interessiert.
Wir haben für den Geburtstagsnachmittag zwei befreundete Familien eingeladen. Wir werden auf unseren Sohnemann anstoßen. Auf dieses kleine ganz besondere Menschlein, dass uns vor ungefähr einem Jahr geschenkt wurde. Ein Sohn. Ein kleines unruhiges von seiner eigenen Neugier unheimlich getriebenes Bündel an Energie. Ein Sohn, der mich letzte Woche verschmitzt anlächelte, um sich im nächsten Moment eine Reiswaffel vom Esstisch zu stibitzen und sie blitzschnell in den Schlitz des Flusensiebs im Wäschetrockner zu verstecken. Ein Sohn, der sich heute Mittag auf seinem Stühlchen wütend nach vorn und nach hinten schmiss und schrie, weil mein Mann ihm die Kartoffeln zu einem Brei zerdrückte, obwohl er ganze Kartoffeln essen wollte. Ein Sohn, der vorgestern, als ich kurz in der Küche war, den Wäscheberg von der Couch auf den Wohnzimmerboden kippte, um von dort leichter auf die Couch zu klettern. Er kroch dann von der Armlehne auf den Beistelltisch an der Wand und mopste sich eine Fernbedienung. Ein Johann, der unglaublich verschmust ist, mich umarmt, meine Wange streichelt und mir Küsschen gibt. Ein Johann, zudem ich eine so starke körperliche Verbindung spüre, wie ich sie bisher nicht kannte. Ein Johann, der hier gestern auf Knien durch die Wohnung rutschte und fleißig das freihändige Stehen übte. Ein ganz normaler Sohn eben, der uns manchmal in den Wahnsinn treibt und uns oft zu schallendem Gelächter veranlasst.
Ich bin froh, dass wir jetzt zwei kleine Menschlein bei uns haben, die sich gegenseitig immer mehr wahrnehmen. Die Große sieht in Johann keine Bedrohung mehr. Mal darf er morgens beim gemeinsamen Kuscheln kurz sein Köpfchen auf ihrem Bauch ablegen. Mal erzählt sie ihm wichtige Neuigkeiten: „Du wirst bald eins, Johann. Du bist schon ein Kita-Kind. Du bist kein Zuhause-Kind mehr.“ Mal ermahnt sie ihn: „Du musst mal mit dem Sabbern aufhören.“ Mal sitzt sie zusammen mit ihm auf dem Schlitten und sagt: „Du bist mein Johann. Ich beschütze meinen Johann.“
Es gäbe noch so viel zu berichten: Von unserer neuen Putzfee, deren Ergebnisse auch mich zum Strahlen bringen. Vom Treffen mit meinen früheren Uni-Freunden am Wochenende. Von den Büchern, die mich zum Nachdenken über unsere Familienkonstellation und über kindliche Entwicklung bringen. Von meinen Gedanken, inwieweit Johanns Geburtsjahr und die politischen Geschehnisse desselben weittragenden Einfluss auf sein weiteren Leben haben werden….
Aber ich möchte nun enden. Ich möchte hier Platz machen für die kommenden Baby-Blog-Schreiber und Schreiberinnen. Meine Geschichte vom ersten Lebensjahr mit Johann ist nun erzählt. Bis auf einen Nachbericht in einigen Wochen verabschiede ich mich nun.
Macht es gut! Macht es besser! Genießt eure Kinder!
Antje
PS: Jetzt noch ein Bild von Johann. Als er vorhin zum ersten Mal allein auf den Stuhl seiner Schwester kletterte, klatschte er begeistert in die Hände, weil ihm etwas Neues gelungen war. Das stolze Strahlen ist hier auf dem Foto dokumentiert.
Bild: Privat