Im Notfall: Wie Eltern richtig handeln
Als ihr neun Monate altes Baby nicht mehr trinken wollte, apathisch wirkte und schließlich einschlief, überkam die Mutter ein Verdacht und griff ahnungsvoll zum Beipackzettel des Nasensprays. „Nur für Erwachsene“, las sie erst jetzt. Obendrein hatte sie ihrem erkälteten Kind das vermeintlich harmlose Medikament viel zu oft verabreicht. Besorgt wählte sie die Nummer der Giftnotrufzentrale. „Damit hat diese Mama zum Glück genau richtig reagiert“, sagt Janko von Ribbeck. „Sie wurde nun befragt, was passiert sei, und dann konnte gleich Entwarnung gegeben werden: Das Kind könne zu Hause bleiben, es würde nur noch eine Weile schlafen. Nach einer halben Stunde rief die zuständige Toxikologin sogar zurück und erkundigte sich nach dem Befinden des Kleinen. Alles war in Ordnung.“
Für den Experten, dem die Mutter dies bei einem seiner Erste Hilfe-Kurse berichtete, ist es eine der schönsten Geschichten. „Sie zeigt, mit welcher Freundlichkeit und Professionalität bei den Giftnotrufzentralen geholfen wird. Wenn die Lage es erfordert, wird von dort auch direkt der Rettungsdienst in die Wege geleitet. Es braucht sich niemand scheuen, dort anzurufen. Bei Verdacht auf eine Vergiftung sollte dies vielmehr immer der erste Schritt sein – alles Weitere ergibt sich dadurch.“
Erste Hilfe bei Erstickungsgefahr: Das Heimlich-Manöver
Die Entwarnungsquote bei den Vergiftungsnotrufen liegt bei über 85 Prozent. Oft handelt es sich um typische, aber letztlich harmlose Situationen. Anders verhält es sich bei einem anderen häufigen Notfall: Ein Kleinkind hat zum Beispiel ein Stück Karotte oder ein Spielzeugteil verschluckt, in die Atemwege bekommen und droht zu ersticken. Auch solche Geschichten hört von Ribbeck häufig, und sie gehen nicht immer gut aus. „Positiv ist aber, dass es seit einigen Jahren besser geworden ist, weil zunehmend richtig gehandelt wird, wenn man den Fremdkörper mit Auf-den-Rücken-Klopfen nicht entfernen kann: Beim sogenannten Heimlich-Manöver werden auf bestimmte Weise Druckstöße auf den Bauch ausgeübt, wodurch sich das verschluckte Stück aus den Atemwegen löst.“
Buchtipp
In seinem 2017 komplett überarbeiteten Buch "Schnelle Hilfe für Kinder" beschreibt Notfall-Experte und Autor Janko von Ribbeck auch den Heimlich-Handgriff. Mit seinen lebensrettenden Sofortanleitungen gibt das von Kinderärzten empfohlene Werk Auskunft, welche Erste Hilfe-Maßnahmen Eltern oder Betreuer bei Fieberkrampf, Verschlucken, Verbrennungen, Vergiftungen u.v.m. ergreifen sollten. Ein Ratgeber, der in keinem Haushalt mit Baby oder Kleinkind fehlen sollte!
„Schnelle Hilfe für Kinder“, Kösel Verlag, 5. Auflage 2017, ISBN 978-3-466-34661-5, 17,99 Euro
Diese Methode wird etwa in Großbritannien und den USA schon lange praktiziert, in Deutschland hingegen war man skeptisch. „Das Heimlich-Manöver kann die Situation aber nur verbessern, schließlich würde das Kind sonst ersticken. Daher ist es schon immer Teil meiner Erste-Hilfe-Kurse gewesen. Für alle Fälle sollten Eltern ihr Kind nach solch einem Vorfall ärztlich untersuchen lassen.“
Bei einem Notfall ist die Sorge, es schlimmer zu machen, oft größer als die Bereitschaft etwas zu tun – auch bei der leicht zu erlernenden Herz-Lungen-Wiederbelebung, die standardmäßig in Kursen vermittelt wird. „Dabei kann doch nicht wirklich etwas schiefgehen, wenn das Kind sowieso schon nicht mehr atmet und das Herz stillsteht. Mit einer effektiven Erste Hilfe hingegen kann man sein Leben retten und Folgeschäden durch etwa Sauerstoffmangel vermeiden“, betont er. „Denn auch wenn professionelle Hilfe auf dem Weg ist, können die wenigen Minuten bis zum Eintreffen des Rettungswagens entscheidend sein.“
Unfälle vermeiden: Wo Vorbeugung besonders wichtig ist
Viele schlimme Situationen und Unfälle lassen sich durch Umsicht von vornherein vermeiden. Das gilt ganz besonders auch für Verbrühungen und Verbrennungen, ebenso häufige Notfälle bei Kindern. „Da passiert einfach zu viel“, resümiert von Ribbeck. „Besonders in einem Alter von sieben bis zehn Monaten, wenn die Kleinen schon am Tisch sitzen können. Es reicht schon ein Teller mit heißer Suppe, in den das Kind hineinpatscht, oder eine umgekippte Tasse Tee. Denn während eine Temperatur von 60 Grad Celsius bei einem Erwachsenen nur eine Rötung verursachen würde, verbrüht die zarte Kinderhaut dabei so sehr, dass sich Brandblasen bilden können. Daher sollte man auf alles achten, was heiß ist und verschüttet werden kann.“
Falls dennoch etwas passiert, ist die Erste Hilfe einfach. „Kühlen mit kühlem, also nicht eiskaltem Wasser für mindestens fünf bis zehn Minuten.“ Brandwunden empfiehlt er als Erstversorgung mit Frischhaltefolie abzudecken. „Die ist sauber transparent und sehr beweglich, während ein Brandwundenverband sofort verklebt. Natürlich gilt auch hier: Sofort ins Kinder-Krankenhaus oder in schlimmeren Fällen die 112 anrufen.“
Erste Hilfe wie ein Profi
Janko von Ribbeck unterrichtet Erste Hilfe-Kurse in Berlin und München und gibt Online-Kurse. Für 69 Euro bekommst du das Wissen vom Profi und kannst kinderleicht von zu Hause lernen. Seit 2018 gibt es auch einen speziellen Babysitter-Online-Kurs geben. Für 39 Euro können Betreuer/innen bequem online alle wichtigen Handgriffe lernen – mit Test und Zertifikat. Auch eine englische Version ist verfügbar.
Mehr Infos unter www.erste-hilfe-fuer-kinder.de
Auf Prävention kommt es auch in anderen Situationen ganz besonders an. So ist Ertrinken die Todesursache Nummer eins bei Unfällen von kleinen Kindern. „Es passiert oft gerade dort, wo Eltern sich sicher fühlen, zum Beispiel im Planschbecken oder in der Badewanne. Auch wenn man Kindern einiges zutrauen sollte, je nach Alter und Situation muss man sie einfach etwas mehr im Blick haben. Gewisse Dinge, wie zum Beispiel den Straßenverkehr, verstehen Kinder unter circa sieben Jahren einfach nicht. Sie leben da noch in ihrer magischen Welt. Mein Sohn hat mir das sehr eindrucksvoll gezeigt, als er mit drei Jahren mit dem Bobby Car die Treppe heruntergefahren ist.“
Das „Sonntagsärmchen“: Wenn Eltern zu doll am Kind ziehen
Eine vergleichsweise harmlose, aber schmerzhafte Erfahrung kann man Kindern leicht ersparen: das sogenannte Sonntagsärmchen. Auch dazu kennt von Ribbeck eine Geschichte. „Ein Papa war mit seinem dreijährigen Kind im Auto unterwegs. Weil es nicht aussteigen wollte, verlor er die Geduld und zog es am Arm heraus. Plötzlich schrie das Kind vor Schmerz, und der Arm war wie gelähmt, weil der Ellenbogen ausgerenkt war.“ Man spricht hier vom „Sonntagsärmchen“, vielleicht eine Anspielung auf gemeinsame Ausflüge. „Viele Eltern wissen einfach nicht, wie leicht dies bei Kindern im Alter von bis zu vier Jahren passieren kann und wie extrem schmerzhaft es ist. Das einzig Positive daran ist, dass jeder Kinderarzt den Ellenbogen sehr schnell und fast schmerzlos wieder einrenken kann.“ Auch Dinge wie diese möchte er daher in seinen Kursen vermitteln.
Von Ribbeck ...? Der Name kommt einem irgendwie bekannt vor. Genau, da war doch dieser Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland aus dem berühmten Gedicht von Theodor Fontane. Der darin beschriebene Adelsmann schenkte kleinen Kindern saftige Birnen und sorgte noch nach seinem Tod für sie. Auf seinem Grab wuchs ein Birnbaum, von dem die Kinder nun pflücken konnten. „Ja, das war mein Ur-Ur-Ur ... -Urgroßvater“, schmunzelt Janko von Ribbeck, dessen Vater noch immer auf dem Gut in Brandenburg lebt. Auch ein Nachfolger des besagten Birnbaums wächst dort. Die Freude daran, kleinen Kindern zu helfen hat sich hier wohl vererbt.
Experten-Interview: „Es ist hilfreich, informiert zu sein“
Was sollte man grundsätzlich bei Notfällen mit Kleinkindern und der Auswahl eines Babysitters beachten? kidsgo hat bei Janko von Ribbeck nachgefragt.
kidsgo: Herr von Ribbeck, wie sollten sich Eltern verhalten, wenn sie bei einem Unfall nicht unbedingt den Rettungswagen rufen mussten, aber eine ärztliche Behandlung nötig sein könnte?
Janko von Ribbeck: Wichtig ist zu unterscheiden: Alle chirurgischen Behandlungen erfolgen nicht beim Kinderarzt, sondern in der Klinik. Man sollte dann oder im Zweifelsfalls also lieber gleich ins Krankenhaus fahren – und zwar nicht ins nächstbeste, sondern unbedingt in eine Kinderklinik. Wer sich vor Ort nicht auskennt, etwa in einer fremden Stadt, kann auch die 112 anrufen und sich erkundigen.
Wie können Eltern lernen, bei Unfällen ihres Kindes oder im Notfall ruhig zu bleiben?
Zunächst ist es hilfreich informiert zu sein, also zu wissen, wie typische Situationen aussehen und wie man reagieren sollte. So ist etwa der Fieberkrampf ein regelrechter Schock für Eltern, die davon noch nie etwas gehört haben. Viele glauben in dem Moment ihr Kind würde sterben, es verdreht die Augen und hat einen heftigen Anfall. Doch der Fieberkrampf ist an sich harmlos und tritt bei drei Prozent der Kinder auf. Grundsätzlich hilft es in Notfällen außerdem, bei sich selbst auf eine ruhige, tiefe Atmung zu achten. Dadurch wird man auch insgesamt ruhiger.
In Ihrem Buch schreiben Sie, Betreuungspersonal für Kinder müsse alle zwei Jahre ihr Wissen in einem Erste Hilfe-Kurs auffrischen. Sie bieten auch selbst einen Online-Kurs speziell für Babysitter an. Sollten also Eltern darauf achten, dass etwa eine Studentin, die sich etwas dazu verdient, sich entsprechend auskennt?
Auf jeden Fall. Sofern nicht klar ist, ob der ausgesuchte Babysitter einen Erste Hilfe-Kurs am Kind gemacht hat, sollten Eltern dafür sorgen, dass einer gemacht wird. Gerade wenn man keine eigenen Kinder hat, muss man einige Sachen einfach wissen. Und es gibt allen Beteiligten ein sichereres Gefühl.
Lieber Herr von Ribbeck, herzlichen Dank für das Gespräch!
Janko von Ribbeck
Janko von Ribbeck, selbst Vater von vier Kindern, ist seit mehr als zwanzig Jahren im Bereich Erste Hilfe tätig. Nach seiner Ausbildung und Tätigkeit als Rettungssanitäter spezialisierte er sich darauf selbst Kurse zu geben und verfasste das Fachbuch „Schnelle Hilfe für Kinder“ – das meistgelesene Werk zu diesem Thema. Da er die Eltern-Kurse nur in München anbietet, findet man den gesamten Kurs online im Internet.